Als einer der ersten EU-Staaten empfiehlt Deutschland HPV-Vakzine für Jungs. Das stellt Ärzte vor ein Problem: Schon die Mädchen wurden schlecht erreicht, nur 45 Prozent der 17-Jährigen sind vollständig geschützt. Was können Mediziner tun, um die Impfquote zu verbessern?
Die HPV-Schutzimpfung wird in Deutschland bislang zu wenig genutzt: Nur knapp 45 Prozent der 17-jährigen Mädchen waren 2015 vollständig gegen Humane Papillomviren (HPV) geimpft. Die Viren können in vielen Fällen Gebärmutterhalskrebs, aber auch verschiedene Karzinomarten bei Männern hevorrufen. Nachdem die STIKO beschlossen hat, Impfungen gegen Humane Papillomviren (HPV) nun auch für Jungen zwischen 9 und 14 Jahren zu empfehlen, stellt sich die Frage: Was können Mediziner tun, um etwas an der schlechten Impfquote zu ändern? Welche Maßnahmen sind notwendig, um die Jungen zu erreichen? Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat bis Ende September Zeit, zu entscheiden, ob HPV-Schutzimpfungen für Jungen eine Pflichtleistung der Gesetzlichen Krankenkassen werden. Noch erstatten viele Versicherungen die Spritze freiwillig. Jetzt liegt es in den Händen von Experten der Gesundheitsbranche, Strategien gegen die Impfmüdigkeit zu entwickeln.
„Ich hoffe, dass möglichst viele Jungen die HPV-Schutzimpfung nutzen und die neue Empfehlung auch ein weiterer Anstoß für bislang nicht geimpfte Mädchen ist, die Impfung nachzuholen“, kommentiert Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, in einer Pressemitteilung. „Bedauerlicherweise werden viel zu wenige Mädchen geimpft, dabei schützt diese Impfung vor Krebs“. Die Impfeffektivität gegen HPV-assoziierte Läsionen bei Männern schwankt laut RKI-Metaanalyse je nach Studie zwischen 47 und 67 Prozent, was nicht besonders zufriedenstellend ist. Teilweise wurden die Nachbeobachtungszeiten nicht lang genug gewählt, um Krebserkrankungen überhaupt zu bemerken. Wurden nur Arbeiten mit Jungen, die zu Beginn HPV-negativ waren, eingeschlossen, konnten die Forscher einen Impfschutz von bis zu 100 Prozent erreichen. Die Zahlen verdeutlichen, wie entscheidend es ist, Jugendliche bereits vor dem ersten Kontakt mit HPV zu impfen. Hatten Jungen oder Mädchen schon Kontakt mit HPV, sind in ihrem Körper virale Nukleinsäuren zu finden, aber keine Hüllproteine mehr. Damit sind Vakzine, die unser Immunsystem dazu bringen, Antikörper gegen Hüllproteine zu erzeugen, nutzlos. Dr. Thomas Fischbach © NZFH „Die Impfung schützt Frauen nicht nur vor Gebärmutterhalskrebs, sondern auch vor einer ganzen Reihe von anderen Tumoren“, sagt Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts kommt es bei Jungen bzw. Männern pro Jahr zu etwa 600 Analkarzinomen, mindestens 250 Peniskarzinomen und mindestens 750 Karzinomen in der Mundhöhle oder im Rachen, die auf eine HPV-Infektion zurückzuführen sind. „Viele Eltern wissen das nicht – daher wollen wir in den Praxen verstärkt aufklären.“ Neben dem direkten Nutzen für die Jungen ist die sogenannte Herdenimmunität ein wesentliches Argument für die Impfung: Eine hohe Impfquote der Jungen würde dazu führen, dass es insgesamt einen höheren Schutz in der Bevölkerung gibt.
Doch wie bekommt man Zugang zu Kinder und deren Eltern? DocCheck sprach mit Dr. Hermann Josef Kahl, Arzt für Kinder- und Jugendmedizin, Kinder- und Jugendkardiologie, aus Düsseldorf. „In dem relevanten Altersbereich gehen die Jugendlichen einfach nicht zum Arzt“, sagt Kahl. Das betreffe Jungs und Mädchen gleichermaßen: „Wir erreichen sie einfach nicht.“ Kahls Lösungsansatz: „Es wäre daher sinnvoll, wenn alle Krankenkassen Versicherte im Altersbereich anschreiben würden mit dem Hinweis, dass es HPV-Impfungen gibt.“ Primäre Ansprechpartner für die HPV-Schutzimpfung bei Jungs seien Kinder- und Jugendärzte. Wer zur U11 komme, werde informiert. „Nur kommen eben nicht alle zu dieser Untersuchung.“ Genau hier sieht Kahl derzeit eine große Schwachstelle. Die relevanten Zeiträume für Untersuchungen von Jugendlichen sind:
Seit Herbst 2014 rät die STIKO, Jugendliche im Alter von 9 bis 14 Jahren mit zwei Impfdosen im Abstand von 6 Monaten zu impfen. Wird mit der Impfung nach dem 16. Geburtstag begonnen, sind drei Dosen notwendig. Generell sollte die Vakzine verabreicht werden, bevor Jugendliche ihren ersten Geschlechtsverkehr haben. „Leider sind wir in Deutschland noch sehr weit davon entfernt, die notwendigen Impfquoten von etwa 85 Prozent zu erreichen, um Ergebnisse zu erzielen, wie sie z.B. in Australien beobachtet werden“, kritisiert Fischbach.
In Australien bieten Schulen den Schutz gegen HPV an – flächendeckend und kostenfrei. 78,6 Prozent aller Mädchen und 72,9 Prozent aller Jungen im Alter von 15 Jahren waren bei der letzten Erhebung in 2016 geschützt. Zwischen 2005 und 2015 konnte die Infektionsrate von Frauen zwischen 18 und 24 Jahren von 22,7 auf 1,1 Prozent gesenkt werden. „Unser Ziel muss es sein, diese Impfquoten auch in Deutschland zu erzielen“, so Fischbach weiter. Genau hier setzt Hessens Gesundheitsministerium mit einer Kampagne an. Wie die DPA berichtet, sollen Schüler ab 2018/2019 über die Vorteile von HPV-Schutzimpfungen informiert werden. Das RKI selbst spricht sich im „Epidemiologischen Bulletin“ für Schulimpfungen aus, um Kinder zu erreichen, die nicht an J1-Untersuchungen teilgenommen haben.
Nur befürworten nicht alle Jugendlichen die Impfungen. Zahlen dazu lieferteine Befragung via Facebook. An der Studie nahmen 1.161 junge Frauen zwischen 18 und 25 Jahren teil. „Insgesamt war das Bewusstsein für HPV hoch, aber nur 53 Prozent erhielten mindestens eine Impfstoffdosis“, konstatiert Erstautor Cornelius Remschmidt vom RKI. In den häufigsten Fällen wurde eine Entscheidung gegen eine Imfpung mit potenzielle Nebenwirkungen und Sicherheitsbedenken begründet. Ein Grund für die Unsicherheit könnte die Behauptung kanadischer Medien sein, HPV-Schutzimpfungen gingen mit mehr Autoimmunerkrankungen einher. Aufgrund massiver Fehler musste der Artikel von „The Star“ zurückgezogen werden und ist nur noch über Archive abrufbar. Wo lag der Fehler? Epidemiologen fanden heraus, dass es keine signifikante Assoziation gab. Die auflagenstarke Tageszeitung hatte einfach Fallberichte gesammelt, aber nicht in Erfahrung gebracht, dass Autoimmunerkrankungen bei Mädchen ohne Impfung ähnlich häufig auftraten. Ärztliche Beratung hilft, solche Missverständnisse aus der Welt zu räumen. Vielleicht sollten Ärzte auch stärker über Social Media kommunizieren. Oder wie wäre es mit „Impf-Influencern“?
Generelle Aufklärung ist jedenfalls dringend erforderlich. Laut einer Umfrage der Krankenkasse BKK VBU, an der mehr als 1.000 Frauen und Männern über 14 Jahren teilnahmen, bestehen generelle Informationsdefizite. Nur jeder dritte Teilnehmer hatte schon von der HPV-Schutzimpfung gehört – und knapp jeder sechste wusste zumindest rudimentär, worum es medizinisch geht. Einen sehr kreativen Lösungsvorschlag hat Andrea Galle, Vorstand der BKK VBU, anzubieten. Nennen wir die Spritze doch einfach Krebs-Vorsorge-Impfung. „Die Windpocken-Impfung ist ja auch nicht unter dem Begriff Varizellen-Impfung bekannt, sondern unter der Krankheit, die sie bekämpft“, sagt Galle. Hier wäre es allerdings wichtig darauf hinzuweisen, dass die HPV-Schutzimpfung keinen generellen Schutz vor maligne Erkrankungen bieten kann, sondern nur gegen bestimmte Typen der Humanen Papillomviren schützt, die Krebserkrankungen am Gebärmutterhals, an der Vulva, am Penis und im Analbereich hervorrufen können.