„Übergewicht ist der größte Risikofaktor für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und durch eine Diät alleine ist das zunehmende Adipositas-Problem leider nicht in den Griff zu bekommen, weshalb medikamentöse Therapieansätze unerlässlich sind“, sagt Prof. Matthias Tschöp vom Helmholtz Zentrum München. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern hat er daher eine neue Strategie entwickelt. Es ist ihnen mit einer neuen Kombinationstherapie gelungen, überschüssige Fettpolster schmelzen zu lassen, indem gleichzeitig der Appetit gezügelt und der Energieumsatz erhöht wird.
Den Effekt von Kälte medikamentös simuliert
Die Vorlage der neuen Kombinationstherapie stammt aus der Natur. „Es ist lange bekannt, dass wir mehr Energie verbrauchen, wenn wir in einer kalten Umgebung sind. Der Körper versucht dann, die Körpertemperatur aufrecht zu erhalten“, sagt Dr. Christoffer Clemmensen. Säugetiere wie der Mensch haben dazu braune Fettzellen, welche darauf spezialisiert sind, Energie in Wärme umzuwandeln. Ein Schlüsselmechanismus in diesem Prozess basiert darauf, dass spezielle Kälterezeptoren (Trpm8-Kanäle) aktiviert werden, die das Kältesignal an das braune Fettgewebe weitergeben. Eine Komponente der neuen Wirkstoffkombination, das Molekül Icilin (vom englischen Wort ‚ice‘ abgeleitet), zielt darauf ab, genau diesen Effekt hervorzurufen.
„Icilin aktiviert Trpm8-Kanäle und führt so zu einer Erhöhung des Energieumsatzes, jedoch ohne dass wir uns in eine kalte Umgebung begeben müssen“, erklärt Sigrid Jall. In adipösen Mäusen führte die medikamentöse Aktivierung von Trpm8 zu einer Aktivierung des braunen Fettgewebes; der Energieumsatz stieg und das Körpergewicht verringerte sich.
Kampf dem Hungergefühl
Die zweite Komponente der Wirkstoffkombination zielte darauf ab, den Appetit zu zügeln und somit die Nahrungsaufnahme zu reduzieren. Hier verwendeten die Forscher ein Molekül, welches im Gehirn ähnlich wie Nikotin sogenannte nikotinerge Acetylcholinrezeptoren (nAChR) anspricht. Diese Rezeptoren befinden sich auf speziellen Nervenzellen im Hypothalamus. Werden sie aktiviert, führt dies zu einem gesteigerten Sättigungsgefühl und der Appetit sinkt.
In ihren Experimenten verwendeten die Forscher jedoch nicht das giftige Nikotin zur Aktivierung der Rezeptoren, sondern das harmlosere, aber weitaus spezifischere Dimethylphenylpiperazin (DMPP). Wiederum in adipösen Mäusen führt DMPP nicht nur zu einer Reduzierung der Nahrungsaufnahme, sondern auch zu einer deutlichen Verbesserung des Zuckerstoffwechsels.
Doppelt hält besser
Bei ihren Experimenten machten die Wissenschaftler eine besonders wichtige Entdeckung: Die Kombination von Icilin und DMPP reduzierte das Körpergewicht und verbesserte den Zuckerstoffwechsel weitaus stärker, als wenn die Effekte der Einzelbehandlung von Icilin und DMPP einfach aufaddiert würden. So führte die alleinige Behandlung mit Icilin oder DMPP nur zu geringen Effekten auf das Körpergewicht. „Kombiniert man jedoch beide Behandlungen in einer einzigen Therapie, so werden das Körpergewicht und der Zuckerstoffwechsel nachhaltig verbessert, ein wichtiger Erkenntnisgewinn zur Entwicklung neuer Therapieansätze für die Behandlung von Adipositas und Diabetes“, ordnet Matthias Tschöp die Ergebnisse ein.
In weiteren Experimenten versuchen die Forscher nun herauszufinden, warum die Kombination der beiden Moleküle so viel besser wirkt als die Einzelsubstanzen. „Die Ergebnisse dieser Studien können wichtige neue Erkenntnisse liefern, wie Moleküle sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken, was maßgeblich die Entwicklung zukünftiger Therapien verbessern könnte“, so Timo Müller abschließend.
Bisher haben die Forscher die Kombination aus Icilin und DMPP nur an adipösen Mäusen getestet. Auch wenn der Ansatz der Kombitherapie vielversprechend klingt, muss man weitere Studien abwarten, vor allem klinische Studien.
Der Text basiert auf einer Pressemitteilung des Helmholtz Zentrums München.