Pharmazeutische Hersteller veröffentlichen in Deutschland erstmals Zahlungen an Health Professionals auf freiwilliger Basis. Lobenswert – aber die Transparenzinitiative hat ihre Schwächen. Wichtige Details bleiben im Dunkeln, was bald den Gesetzgeber auf den Plan rufen könnte.
Ende Juni haben Mitgliedsunternehmen des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) und der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA) erstmals geldwerte Leistungen detailliert veröffentlicht. Alle 54 Konzerne geben für das Jahr 2015 rund 575 Millionen Euro als Gesamtsumme an. Davon gingen 366 Millionen Euro an Health Professionals, medizinische Organisationen beziehungsweise weitere Einrichtungen. Ein Ziel war, klinische Studien und Anwendungsbeobachtungen durchzuführen. Gerade Anwendungsbeobachtungen bezeichnen vfa und FSA als „unverzichtbares Instrument in der Arzneimittelforschung“. Diese führten zu „einem besseren Verständnis des Arzneimittels in der praktischen Anwendung“. Diese Einschätzung ist allerdings umstritten – Gegner sehen Anwendungsbeobachtungen vor allem als Verkaufsvehikel. Weitere 119 Millionen Euro lassen sich Vortragshonoraren und Fortbildungen zuordnen. Und 90 Millionen flossen als Sponsoring an medizinische Organisationen, um beispielsweise Veranstaltungen zu unterstützen. © FSA
Die hoch gepriesene Transparenzinitiative hat jedoch etliche Schwächen, wie ein Blick auf Details zeigt. „Ärzte können mit Berufung auf den Datenschutz einer Veröffentlichung widersprechen – es ist daher zu erwarten, dass gerade bei den Ärzten mit vielen Interessenkonflikten keine Transparenz erreicht wird – im Gegensatz zum gesetzlich zur Transparenz verpflichtenden Physician Payment Sunshine Act in den USA“, sagt Prof. Dr. Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz. Zwei von drei Kollegen haben prompt ihr Veto eingelegt. Allerdings schwankt der Prozentsatz von Hersteller zu Hersteller erheblich. Lieb verweist darüber hinaus auf Firmen, die sich der Transparenz-Initiative noch nicht angeschlossen haben.
Auch so mancher Fachgesellschaft bereitet das Projekt Kopfschmerzen. Für die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) bezogen Professor Dr. Carsten Bokemeyer, Professor Dr. Michael Hallek, Professor Dr. Diana Lüftner und Professor Dr. Florian Weißinger Stellung. Sie sprechen speziell bei innovativen Krebstherapien von einer „bewussten politischen Entscheidung in Deutschland und Europa, die Entwicklung, Testung und Markteinführung dieser neuen Arzneimittel an gewinnorientierte Wirtschaftsunternehmen zu übertragen“. Gleichzeitig seien akademische Studien durch bürokratische Hürden deutlich erschwert worden. „So ist es heute kaum noch möglich, ohne Mitfinanzierung der pharmazeutischen Industrie klinische Prüfungen durchzuführen“, ergänzt der Vorstand.
Vor allem werde „zwischen Kontakten im Rahmen wissenschaftlicher Projekte wie klinischer Studien, Register, Beratungen und Fortbildungen u. ä. oder Zuwendungen ohne klar definierte Gegenleistung, die eindeutig das Verschreibungsverhalten der Ärzte beeinflussen sollen, kaum differenziert“. Es sei problematisch, „Details über finanzielle Beziehungen durch die Publikation im Internet einer globalen Öffentlichkeit und eben nicht nur einem definierten Personen- oder Institutionenkreis" zur Verfügung zu stellen. Vor dem Hintergrund, dass die DGHO Service GmbH - der kommerzielle Arm der DGHO - mit hohen Zuwendungsbeträgen in den FSA-Listen auftaucht, kann man den Wunsch nach Ausschluss der Öffentlichkeit verstehen.
Neben inhaltlicher Kritik gibt es auch technische Schwachstellen. „Die Zuwendungen werden in zusammengefasster (aggregierter) Form auf einer Homepage dargestellt – damit wird es nur mit großem Rechercheaufwand möglich sein, über individuelle Ärzte Informationen zu finden“, sagt Lieb. Bei der Zusammenstellung handelt es sich lediglich um Links zu Dokumenten der beteiligten Unternehmen. Datenbanken mit Möglichkeiten zur freien Recherche plant die FSA momentan nicht. Dieses Problem haben allerdings mittlerweile andere gelöst: Spiegel Online und die Initiative „Correctiv“ haben die FSA-Angaben in einer öffentlichen zugänglichen Datenbank aggregiert. Aufschlüsselung geldwerter Leistungen anhand einer Stichprobe. Grafik: DocCheck
Ende Juni hat das Science Media Center deshalb Angaben von acht großen Unternehmen ausgewertet: Actelion Pharmaceuticals Deutschland GmbH, Amgen GmbH, Grünenthal GmbH, Janssen-Cilag GmbH, Lilly Pharma Holding GmbH, Merck KGaA/Merck Serono GmbH, Sanofi Pasteur MSD GmbH, Takeda Pharma Vertrieb GmbH &Co KG. Hier zeigte sich, dass 96 Prozent aller Zahlungen unterhalb von 5.000 Euro lagen. Eine gute Nachricht?
Wohl kaum. Dass selbst kleine Geschenke die Freundschaft erhalten, zeigt eine amerikanische Studie. In den USA sind Zuwendungen von pharmazeutischen Herstellern an Ärzte offen einsehbar – dem „Sunshine Act“ (Physician Financial Transparency Reports) sei Dank. Berichte können beim Projekt „Dollars for Docs“ und bei den Centers for Medicare and Medicaid Services abgerufen werden. Tools wie das „Open Payment Programm“ erleichtern Abfragen.
Colette DeJong von der University of California, San Francisco School of Medicine, wertete Daten von 279.669 Medizinern aus. Sie konzentrierte sich auf Statine, Betablocker, ACE-Hemmer und SSRI/SNRI. Mit diesen Arzneistoffklassen standen 63.524 Zahlungen an Mediziner in Zusammenhang. Bereits ein einziges Essen unter 20 US-Dollar führte dazu, dass Rosuvastatin im Vergleich zu anderen Statinen signifikant häufiger auf dem Rezeptblock stand. Ähnlich sah es mit Nebivolol bei Betablockern, Olmesartan bei ACE-Hemmern und Desvenlafaxin bei SSRI/SNRI aus. Weitere Einladungen der Industrie führten zu noch deutlicheren Zusammenhängen.
Zu vergleichbaren Resultaten kamen Ryann Grochowski Jones und Charles Ornstein vom Recherchenetzwerk ProPublica. Ärzte verordneten patentgeschützte Präparate umso häufiger, je mehr Geld sie von Firmen bekamen. Bei Psychiatern, die mindestens 5.000 US-Dollar pro Jahr erhalten hatten, waren es 19 Prozent – verglichen mit knapp 14 Prozent bei Kollegen ohne Zuwendung. Grochowski und Ornstein arbeiteten ebenfalls mit offen zugänglichen Pflichtangaben.
Ein Verein in privater Trägerschaft wie die „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.“ (FSA) ohne gesetzlichen Auftrag kann diese Funktion nicht übernehmen. „In diesem Zusammenhang plädieren wir eindringlich dafür, die Aufdeckung und Beseitigung von jeglicher Form der Korruption der Aufsicht von staatlichen Organen zu überlassen“, schreibt der DHGO-Vorstand. Hoffentlich weiß er, was er sich da wünscht.