Herzinsuffizienz-Patienten sind häufig auch von Depressionen betroffen. Das Antidepressivum Escitalopram soll diese eigentlich lindern. In einer Studie konnte jedoch keine Wirkung des Medikaments festgestellt werden. Die Depression blieb im Vergleich zur Placebo-Gruppe unverändert.
Mehrere Jahre lang untersuchte und behandelte die Kardiologin Professor Christiane Angermann vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) gemeinsam mit Herzspezialisten aus 15 weiteren deutschen Zentren chronische Herzschwächepatienten mit Depression. In einer randomisierten, kontrollierten und doppelblinden klinischen Studie, der sogenannten Multizenter-Studie MOOD-HF, untersuchten sie das häufig verschriebene Antidepressivum Escitalopram auf seine Wirksamkeit. Vermindert es tatsächlich Sterblichkeit sowie Krankenhausaufnahmen und kann es Depressionen mildern? Zu ihrer Überraschung konnten die Wissenschaftler keinen therapeutischen Effekt der Arznei feststellen.
„Das Antidepressivum half weder die Stimmung aufzuhellen, noch verminderte es ungünstige klinische Ereignisse. Wir empfehlen, Escitalopram bei solchen Patienten mit chronischer Herzschwäche und Depression, wie sie in der MOOD-HF Studie untersucht wurden, nicht zu verabreichen“, so die Schlussfolgerung der Würzburger Medizinerin. Die Wissenschaftler ordneten 372 Patienten, die an eingeschränkter Pumpleistung ihres Herzens, Herzinsuffizienzsymptomen und Depression litten, zufällig zwei Studienarmen zu. Die eine Hälfte bekam Escitalopram in der vom Hersteller empfohlenen Dosierung, die andere Hälfte nahm ein Placebo ein. „Unsere Studie ist nach unserer Kenntnis die erste, die Langzeiteffekte eines Antidepressivums bei chronischer Herzschwäche untersucht. Als wir MOOD-HF planten, gingen wir davon aus, dass wir mit diesem Medikament, dessen stimmungsaufhellende Wirkung gut belegt ist, nicht nur die Depression der Patienten, sondern gleichzeitig auch Sterblichkeit und Krankenhausaufnahmen vermindern würden. Offenbar ist die Wirkung von Escitalopram bei herzinsuffizienten Patienten aber nicht mit der bei körperlich gesunden depressiven Menschen zu vergleichen“, so Angermann.
Während einer medianen Behandlungsdauer von 18 Monaten, in der die Spiegel des Medikamentes im Serum der Patienten immer im therapeutischen Bereich lagen, kam es bei 63% der 185 Patienten in der Escitalopram-Gruppe und 64% der 187 Patienten in der Placebo-Gruppe zu einer Krankenhausaufnahme oder die Patienten verstarben, also vergleichbar häufig. Auch die Depression blieb im Vergleich zur Placebo-Gruppe unverändert. „Wir können nicht ausschließen, dass Escitalopram bei manchen Studienteilnehmern sogar ungünstige Langzeiteffekte auf das Herz hatte, die zu einer Zunahme unerwünschter Ereignisse vor allem bei den schwerer kranken Patienten führte“, warnt die Forscherin. Diese Ergebnisse sind besonders relevant, weil Antidepressiva aus derselben Wirkstoffklasse wie Escitalopram, sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, immer häufiger auch von Hausärzten und Internisten verschrieben werden, wenn sie bei ihren Patienten eine Depression als Begleiterkrankung der Herzschwäche vermuten. MOOD-HF zeigt zwar nicht, dass die fehlende Wirksamkeit dieses Antidepressivums ein Klasseneffekt ist, aber die Möglichkeit besteht.
„Man darf andererseits auch nicht vergessen, dass Depression ein heterogenes Krankheitsbild ist“, fügt die Wissenschaftlerin einschränkend hinzu. Patienten, die an speziellen Ausprägungen der Depression litten, also z.B. sogenannten bipolaren Störungen, wurden von der Studienteilnahme von vornherein ausgeschlossen. „MOOD-HF beweist nicht, dass Antidepressiva bei allen herzkranken Patienten nutzlos sind. Es scheint mir deshalb besonders wichtig, eine optimale Diagnostik durch den Spezialisten anzustreben und danach erst eine antidepressive Behandlung in Betracht zu ziehen. „Patienten mit Herzschwäche versuchsweise ein Antidepressivum zu verordnen und einfach zu schauen, was passiert, ist nicht akzeptabel“, erklärt Angermann. Die Daten aus MOOD-HF könnten dafür sprechen, dass der Depression bei Herzschwäche möglicherweise andere Entstehungsmechanismen zugrunde liegen, die durch klassische Stimmungsaufheller nicht oder weniger beeinflussbar sind. „Vielleicht ist Depression bei Herzschwäche ja gar nicht selbst ein Risikofaktor“, mutmaßt die Wissenschaftlerin, „sondern nur ein Marker für ein erhöhtes Risiko für Tod oder Krankenhausaufenthalte im Rahmen der Herzschwäche. Zukünftige Forschung muss darauf abzielen, die Entstehungsmechanismen besser zu verstehen“, sagt Angermann. „Das könnte nicht nur zu gezielteren Behandlungsmöglichkeiten für die Depression, sondern vielleicht insgesamt zu einem neuen Krankheitsverständnis bei der Herzinsuffizienz beitragen“.
Was für eine Behandlung kommt für Patienten mit Herzschwäche und Depression also in Frage? In MOOD-HF besserte sich die Stimmung in beiden Studienarmen vergleichbar, so dass offenbar die Studienteilnahme selbst sich positiv auswirkte. Zudem war die Sterblichkeit in der Studie gering. Alle Patienten erhielten eine gute, multidisziplinäre Betreuung, bei der Herzinsuffizienzmedikamente optimiert und die Teilnehmer motiviert wurden, aktiv an der Krankheitsbewältigung mitzuarbeiten. „Wenn man auch die Ergebnisse anderer Forscher berücksichtigt, scheint heute ein ‚klassisches‘ Disease Management, in dem Spezialisten und Hausärzte eng zusammenarbeiten und dabei individuelle Patientenbedürfnisse berücksichtigen, ein guter Ansatz“, sagt Angermann. „Kombiniert werden sollte er mit Bewegungstraining und Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie“. Um depressiven Herzschwächepatienten diese Behandlungsform anbieten zu können, muss allerdings erst die Diagnose korrekt gestellt werden. Originalquelle: Was ist MOOD-HF? Christiane Angermann et al.; Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg; 2016