Wenn der Beruf zur Gesundheitsgefahr wird: Chemikalien, aber auch Sonnenlicht oder ionisierende Strahlung führen zu höheren Krebsrisiken. Trotz hoher Sicherheitsauflagen sind diverse Berufsgruppen, auch Ärzte, gefährdet.
Eine Reise in die Vergangenheit der Medizin: Am 20. April 1895 sprach Dr. Ludwig Rehn (1849 bis 1930) über gehäuft auftretende Harnblasentumore bei Anilin-Arbeitern. Jahre später wies Dr. Wilhelm Carl Hueper (1894 bis 1978) den Zusammenhang im Tierexperiment nach. Die erste Berufskrankheit stand wissenschaftlich fest.
Fast 125 Jahre später hat das Thema trotz diverser Arbeitsschutzrichtlinien Relevanz. Jahr für Jahr erkranken bundesweit 16.000 Menschen an einem invasiven Harnblasenkarzinom. Rauchen ist der vorherrschende Risikofaktor, gefolgt von beruflicher Exposition. James Catto von der Universität Sheffield hat jetzt 25 Studien mit 702.941 britischen Arbeitern ausgewertet. Chemische Prozesse gehen immer noch mit einem statistisch signifikanten höheren Risiko einher (RR 1,87). Speziell für die Gummi-Industrie (RR 1,82) oder die Farbstoffherstellung (RR 1,80) gelten ebenfalls höhere Risiken. Die höchste krankheitsspezifische Mortalität hatten Elektriker (RR 1.49) und Arbeiter, die chemische Verfahren durchführen (RR 1.35).
Kennzeichnung einer Flasche mit wässriger Formaldehyd-Lösung. Quelle: Wikipedia / CC BY SA Doch welche Chemikalien sind schuldig im Sinne der Anklage? Nicht immer ist die Sachlage so klar wie bei aromatischen Aminen und Blasenkrebs. Lange Zeit stritten sich Experten über die Einstufung von Formaldehyd. Das Molekül kommt in etlichen Branchen vor, die mit Holz, Kunststoffen oder Bekleidung arbeiten. Es hat als wässrige Lösung (Formalin) nach wie vor Bedeutung, um Präparate haltbar zu machen. Auch in manchen Flächendesinfektionsmitteln ist die Chemikalie zu finden. Im Tierexperiment fanden Wissenschaftler – wenn auch bei höheren Konzentrationen – eine kanzerogene Wirkung. Lassen sich die Befunde auf Menschen übertragen? Darüber stritten Experten mit Leidenschaft. Schließlich reagierte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC). Sie änderte ihre Einstufung vom „Verdacht auf krebserregende Wirkung“ auf „krebserregend für den Menschen“. Die Verordnung 2008/1272/EG über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen schreibt vor, Formaldehyd als „wahrscheinlich karzinogen beim Menschen“ zu kennzeichnen. Wissenschaftliche Daten belegen diese Einschätzung auf Basis einer Studie mit 25.000 Arbeitern. Wer regelmäßig mehr als 4,0 ppm Formaldehyd ausgesetzt war, erkrankte zu 37 Prozent häufiger an Lymphomen oder Leukämien. Als Vergleich diente eine Gruppe mit weniger als 2,0 ppm der Chemikalie. Für Morbus Hodgkin fanden Epidemiologen sogar ein vierfach erhöhtes Risiko.
Neben chemischen Stoffen ist kurzwellige elektromagnetische Strahlung im Fokus von Ärzten. „Freiluftarbeiter haben ein rund doppelt so hohes Risiko, Hautkrebs zu entwickeln, wie der Durchschnittsdeutsche“, sagt Prof. Dr. Swen Malte John, Leiter der Abteilung Dermatologie, Umweltmedizin und Gesundheitstheorie an der Universität Osnabrück. Besonders gefährdet sind Landwirte, Bauarbeiter, Sport- und Skilehrer, aber auch Briefträger. Schätzungsweise zwei bis drei Millionen Menschen arbeiten in diesen Bereichen. Seit 2015 haben sie bei Plattenepithelkarzinomen oder multiplen aktinischen Keratosen einen besseren Stand. Die Erkrankungen wurden unter „BK 5103“ in die Liste aller Berufserkrankungen mit aufgenommen. Beim „Hautarztverfahren“ rechnen Dermatologen bestimmte Leistungen wie die photodynamische Therapie von Hautläsionen sowie die Behandlung von aktinischen Keratosen zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Um den Schutz Beschäftigter zu verbessern, braucht es valide Daten. Experten raten zu UV-Dosimetern wie GENESIS-UV (GENeration and Extraction System for Individual expoSure). Die Auswertung erfolgt in regelmäßigen Abständen online über zentrale Server: Prinzip der UV-Dosimetrie mit GENESIS-UV. Arbeiter tragen ein elektronisches Dosimeter zur Messung der UV-Exposition. Nach Ende einer Messperiode werden ihre Daten via Tablet-PC über einen Webserver an das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) zur Auswertung übertragen. Quelle: DGUV
Beim Umgang mit ionisierender Strahlung sind Dosimeter längst zur Pflicht geworden. Für beruflich exponierte Personen schreibt die Strahlenschutzverordnung, Paragraph 55, als Grenzwert der effektiven Dosis 20 Millisievert pro Jahr vor. Die Behörde kann 50 Millisievert zulassen, wobei für fünf aufeinander folgende Jahre 100 Millisievert nicht überschritten werden dürfen. Für empfindliche Gewebe gelten spezielle Organdosis-Grenzwerte, wie etwa für die Augenlinsen (150 mSv), die Haut (500 mSv), die Keimdrüsen und das Knochenmark (50 mSv), die Schilddrüsen (300 mSv) und weitere Organe (150 mSv). Bleischürzen lassen Kopf, Hals, Arme und Hände unbedeckt. Quelle: Flickr / Ted Eytan CC BY SA Mediziner tragen zwar Bleischützen, um sich vor Strahlung zu schützen. Arme, Hals oder Kopf werden jedoch nicht bedeckt und könnten Schaden nehmen, vermutet Maria Grazia Andreassi aus Pisa. Zusammen mit Kollegen hat sie Ärzte und Assistenten aus Herzkatheterlabors befragt. Health Professionals litten 2,6-mal häufiger an Hautläsionen, verglichen mit einer Kontrollgruppe ohne Exposition. Ihr Katarakt-Risiko war um den Faktor 6,3 erhöht. Ob Krebserkrankungen, hier gibt die Forscherin den Faktor 3,0 an, tatsächlich häufiger auftreten, bleibt offen. Hier war der Unterschied statistisch nicht signifikant. Trotz methodischer Schwächen – Andreassi hatte keine Messwerte, und die Rücklaufquote ihrer Fragebögen war gering – lässt sich ihr Verdacht nicht von der Hand weisen. Dafür sprechen auch Resultate der methodisch hochwertigen „International Nuclear Workers Study“ (INWORKS). Eine bessere Ausrüstung durch Strahlenschutz-Brillen, -handschuhe, Kopfbedeckungen sowie Sternumschutz für den Hals ist kurzfristig die beste Strategie. Mittelfristig bleiben auch technische Alternativen. So zeigten Studien beispielsweise, dass Rechtsherzkatheteruntersuchungen auch per Magnetresonanztomographie möglich sind – also ganz ohne Strahlenbelastung.