Immer häufiger stellen Ärzte und Apotheker auf Biologicals um. Die Branche boomt, vor allem US-Firmen lassen sich neue Präparate vergolden. Hierzulande aber fehlt Kapital. Und die Kassen warten beharrlich auf Biosimilars.
Wie der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa/vfa bio) und die Boston Consulting Group (BCG) berichten, ist die medizinische Biotechnologie stark im Aufwind. Ein jetzt veröffentlichter Report nennt wissenschaftliche Perspektiven, aber auch wirtschaftliche Eckdaten der Branche. Als Basis wurden die Aktivitäten von 389 Unternehmen aus Deutschland untersucht.
Im Jahr 2015 lag der Umsatz bei 8,2 Milliarden Euro, gemessen an Hersteller-Abgabepreisen. Das entspricht einem Plus von 9,7 Prozent, verglichen mit 2014. Der gesamte Pharmamarkt expandierte um 5,4 Prozent von 34,1 auf 35,9 Milliarden Euro. „Der von 22,0 Prozent auf 22,9 Prozent gestiegene Anteil der Biopharmazeutika am gesamten Pharmamarkt verdeutlicht ihren wachsenden Stellenwert“, heißt es im Report. Wenig überraschend: Rund 70 Prozent aller Präparate kommen aus den Bereichen Onkologie (plus 12,0 Prozent), Hämatologie (plus 11,0 Prozent), Immunologie (plus 11,0 Prozent) und Stoffwechsel (plus 9,0 Prozent). Unter allen 50 EU-Neuzulassungen des Jahres 2015 waren 15 Original-Biopharmazeutika.
Vier Biopharmazeutika auf Basis von Antikörpern kommen bei malignen Melanomen, nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen, Hochrisiko-Neuroblastomen und Leukämien zum Einsatz. Von zwei weiteren Antikörpern profitieren Patienten mit therapierefraktären Hypercholesterinämien. Psoriasis und Asthma bronchiale lassen sich ebenfalls mit Biologicals therapieren. Ein weiteres Antikörperfragment richtet sich als Antidot gegen das direkte orale Antikoagulans Dabigatran. Unter den neu zugelassenen rekombinanten Proteinen befinden sich Präparate zur Behandlung der Hämophilie, der Cholesterinester-Speicherkrankheit sowie der Hypophosphatasie. Ein Impfstoff richtet sich gegen humane Papillomviren, und ein gentechnisch verändertes Herpes-simplex-Virus wird zur Therapie von Melanomen verordnet.
Auch in Zukunft erwarten Experten neue Zulassungen. Die Pipeline ist mir 626 Entwicklungsprojekten (2015) gut gefüllt. Monoklonale Antikörper (plus 8,0 Prozent, verglichen mit 2014) und Impfstoffe (plus 2,0 Prozent) gelten als Spitzenreiter, während es bei sonstigen rekombinanten Proteinen (minus 6,0 Prozent) und Gentherapeutika (minus 8,0 Prozent) leicht abwärtsgeht. Fachkräfte werden vor allem bei Firmen mit eigener Wirkstoffentwicklung gesucht. Die Kehrseite der Medaille: „Deutschland ist als Investitionsstandort für Wagniskapital wegen steuerlicher Rahmenbedingungen – zum Beispiel aufgrund der restriktiven Regelungen zum Verlustvortrag – international unattraktiv“, heißt es im Report. „Deshalb hängt die Finanzierung junger Unternehmen im Life-Science-Bereich bisher vor allem an nur wenigen privaten Kapitalgebern, deren Finanzmittel endlich sind.“ Ernest & Young (EY) kommt zu ähnlichen Resultaten. Vom allgemeinen Trend zum Börsengang würden heimische Biotech-Unternehmen kaum profitieren. Nur eine deutsche Firma, nämlich Curetis, schaffte den großen Sprung im letzten Jahr und akquirierte 40 Millionen Euro. Das Geschäft machen größtenteils Firmen aus den USA, die sich Erfolge vergolden lassen. Ein aktuelles Beispiel: Die Therapie mit Sebelipase alfa (Kanuma®) von Alexion Pharmaceuticals schlägt laut IQWiG-Dossier für Erwachsene mit 810.000 Euro pro Jahr zu Buche. Doch der Patentschutz währt nicht ewig.
Sobald Biosimilars auf den Markt drängen, fordern Kassen, das jeweils günstigere Präparat zu verschreiben. Momentan machen sich seltsame Gepflogenheiten bemerkbar, berichtet die Barmer GEK im Arzneimittelreport 2016. Während Bremens Medizinerschaft in 54,2 Prozent der Fälle brav Nachahmerpräparate verordnete, waren es in Baden-Württemberg 29,5 Prozent und im Saarland 27,4 Prozent. Wissenschaftliche Gründe gibt es dafür nicht – dafür umso mehr Kritik am kostenintensiven Verschreibungsverhalten.
Für Apotheker kommt neben der zeitintensiven Beratung noch ein anderer Aspekt zum Tragen: Biologicals gehören zu den Hochpreisern, Biosimilars mit eingeschlossen. Inhaber müssen die teuren Arzneimittel bis zur Vergütung durch Krankenkassen vorfinanzieren. Dr. Hans Rudolf Diefenbach, ehemals Vize-Vorsitzende des Hessischen Apothekerverbands, zufolge gebe es Kollegen, die mit bis zu 45.000 Euro pro Monat in Vorleistung gingen. Arbeiten sie mit einem Kontokorrentkredit, wird die Sache schnell teuer. Laut „Finanzspiegel für Unternehmer“ des Handwerk-Magazins liegen günstige Angebote derzeit zwischen 9,75 und 11,25 Prozent. Fehlt eine individuelle Zustimmung der Kasse, bleiben Retaxationen als weitere Gefahrenquelle. Daran hat auch der Kompromiss zu Retax-Gründen zwischen Deutschem Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband nichts geändert.