Wissenschaftler haben Muskelproteine analysiert und den Molekülen mit bislang unerreichter Genauigkeit bei der Arbeit zugesehen. So könnte man die Ursachen von Muskelerkrankungen und die Leistungsfähigkeit der Muskulatur von Spitzensportlern aufklären.
Warum können manche Menschen so viel schneller rennen als andere? Mit einer Gewebeprobe des Weltrekordlers Usain Bolt könnten Forscher des Max-Planck-Instituts diese Frage vielleicht beantworten. Die Wissenschaftler haben das Zusammenspiel von Schlüsselproteinen bei der Muskelkontraktion aufgeklärt. „Mit der Kryo-Elektronenmikroskopie können wir natürliche Veränderungen von Muskelproteinen beobachten. Damit könnten wir auch herausfinden, ob sich das Zusammenspiel der Proteine bei Usain Bolt von dem bei anderen Menschen unterscheiden“, erklärt Stefan Raunser, Leiter der Abteilung Strukturelle Biochemie am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie.
„Wahrscheinlich besitzen alle Spitzensportler Gene, die sie zu Höchstleistungen befähigen“, sagt Raunser. Besondere Konstellationen könnten also zu einer optimalen Kraftentwicklung führen, die andere Sprinter nicht erreichen. Zudem könnte Bolts Muskulatur aus einer besonders leistungsfähigen Kombination aus Fasern zusammengesetzt sein, denn Skelettmuskeln enthalten schnelle, wenig ausdauernde Muskelfasern sowie langsame, dafür aber ausdauernde Fasern. Auf den Bildern seines Elektronenmikroskops kann Stefan Raunser (links) selbst winzigste Details im Zusammenspiel der Muskelproteine erkennen. © MPI f. molekulare Physiologie Auf den Bildern seines Elektronenmikroskops kann Stefan Raunser (links) selbst winzigste Details im Zusammenspiel der Muskelproteine erkennen. © MPI Die Protagonisten der Muskelbewegung sind das Protein Aktin, das 20 Prozent des Gewichts der Muskulatur ausmacht, und das Motorprotein Myosin, das chemische Energie in die eigentliche Bewegung umwandelt. Das Aktin bildet im Muskel lange, fadenartige Stränge. Bei genetisch bedingten Muskelerkrankungen arbeiten Aktin und Myosin nicht mehr ausreichend zusammen – die Folge: Die Muskulatur ist geschwächt. Warum die Proteine schlechter miteinander interagieren, ist unbekannt, denn bislang konnten Wissenschaftler das Zusammenspiel der Proteine nicht mit der nötigen Genauigkeit untersuchen. Leistungsfähigere Muskulatur dank veränderter Grenzflächen Nun konnten Forscher aber zeigen, dass sich viele genetisch bedingte Veränderungen in einem kritischen Bereich befinden, der essenziell für die Ausbildung der Grenzfläche zwischen den Muskelproteinen ist. Veränderungen dieser Grenzfläche könnten dann beispielsweise dazu führen, dass die Aktin- und Myosin-Moleküle bei Usain Bolt & Co. besonders gut miteinander interagieren und die Muskulatur dadurch leistungsfähiger wird. „Wir stehen mit unserer Forschung erst ganz am Anfang, denn die Kontraktion eines Muskels läuft enorm schnell ab. Deshalb müssen wir den kompletten Ablauf in viele einzelne Schritte unterteilen. Trotzdem können unsere Ergebnisse als Grundlage zur Erforschung neuer Medikamente genutzt werden“, sagt Raunser. Originalpublikation: Cryo-EM structure of a human cytoplasmic actomyosin complex at near-atomic resolution Julian von der Ecken et al.; Nature, doi: 10.1038/nature18295; 2016