Oft erhalten Verbrennungspatienten vorsorglich Antibiotika. Nicht immer bestätigen die gängigen Tests das Vorliegen einer Infektion. Um unnötige Antibiotikagaben zu vermeiden, entwickelten Forscher eine Wundauflage, die die Farbe ändert, sobald die Wunde infiziert ist.
Kurz nach ihrer Entstehung wird eine Wunde von Bakterien aus der umgebenden Haut oder der Umwelt besiedelt – unter ihnen auch opportunistische Pathogene. Diese Erreger kommen ubiquitär vor und können bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder anderen Defiziten Krankheiten verursachen. In vielen Fällen bleibt nach der Besiedlung der Wunde die Bakterienpopulation gering, sodass die Wundheilung nicht weiter eingeschränkt wird. Eine Antibiotika-Therapie ist in diesem Fall nicht notwendig. Manchmal jedoch vermehren sich die Bakterien so stark, dass das Immunsystem des Patienten diese nicht mehr „in Schach halten“ kann. Dringen die Pathogene in das Gewebe ein, entsteht eine klinisch relevante Infektion. Ein extrem hohes Risiko für Wundinfektionen stellen Verbrennungswunden dar. Denn diese nehmen häufig eine große Fläche ein und durch immunologische Komplikationen, die den thermischen Verletzungen folgen, werden sie anfällig. Allerding ist es für Ärzte auch heutzutage noch schwierig, am Bett des Patienten zu entscheiden, ob eine Infektion vorliegt. Denn Beschwerden wie Fieber können, müssen aber nicht von einer bakteriellen Infektion herrühren. Verfahren, mit deren Hilfe eine sichere Diagnose möglich wäre, dauern bis zu 48 Stunden. Bis dahin können jedoch bereits Komplikationen wie Sepsis, Schock oder der Tod eingetreten sein. Oft erhalten die Patienten aus diesem Grund sicherheitshalber erst einmal ein Antibiotikum.
Durch den häufigen Einsatz von Antibiotika in Krankenhäusern, aber auch in der Landwirtschaft, entwickeln Bakterien Resistenzen, sodass die Medikamente wirkungslos werden. Entstehen kann diese sog. sekundäre Resistenz aufgrund genetischer Ereignisse, wie Mutation oder Übertragung von Resistenzgenen und anschließender Selektion. Ein wichtiger Ansatz, um Resistenzen vorzubeugen, ist daher, Antibiotika nur gezielt zu verwenden. „Wenn wir im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen nicht bald handeln, bedeutet dies das Ende der modernen Medizin“, so der englische Chief Medical Officer Dame Sally C. Davies 2015 auf dem World Heath Summit. Auch die Weltgesundheitsorganisation warnt bereits vor einer „postantibiotischen“ Ära, in der gewöhnliche Infektionen und kleine Verletzungen tödlich enden können.
Ein medizinischer Verband, der seine Farbe ändert, sobald die Wunde infiziert ist, soll dabei helfen, unnötige Antibiotikagaben zu vermeiden und Infektionen frühzeitig zu erkennen. Entwickelt wurde er von Wissenschaftlern um Toby Jenkins [Paywall] von der Universität Bath im Vereinigten Königreich in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum für Verbrennungen bei Kindern am Kinderkrankenhaus in Bristol und der Universität von Brighton. „Unser medizinischer Verband funktioniert durch die Freisetzung eines Fluoreszenzfarbstoffs aus Nanokapseln. Diese wird durch Toxine ausgelöst, die die krankheitsverursachenden Bakterien in die Wunde sezernieren,“ erläutert der Projektleiter Toby Jenkins. Die Nanokapseln imitieren Hautzellen. Sie brechen nur auf, wenn toxische Bakterien anwesend sind. Bakterien, die auf der gesunden Haut leben und harmlos sind, haben keine Auswirkung auf die Kapseln. Dadurch können Ärzte – ohne das Pflaster zu entfernen – schnell feststellen, ob eine Wunde infiziert ist, oder nicht. „Es kann wirklich helfen, Leben zu retten“, so Toby Jenkins euphorisch. Brian Jones vom Fachbereich molekulare und medizinische Mikrobiologie der Universität von Brighton fügt hinzu „Diese neue Verbandstofftechnik wird nicht nur Ärzten helfen, Patienten mit Verbrennungen bestmöglichst zu versorgen, sondern könnte uns auch viel darüber sagen, wie Wundinfektionen beginnen und wie sie den normalen Heilungsprozess beeinträchtigen. Dies könnte wiederum zu weiteren Fortschritte in der Behandlung von Infektionen führen.“
Die Wundauflage des Forscherteams um Toby Jenkins besteht aus einem hydrierten Agarose-Film, in welchem ein Gemisch aus Vesikeln mit fluoreszierendem Farbstoff und Agarose verteilt ist. Als Farbstoff verwendete das Forscherteam 5,6-Carboxyfluorescein. Diese Substanz bildet oberhalb einer bestimmten Konzentration Dimere. Ein Dimer ist dabei ein Molekül, das aus zwei identischen oder leicht unterschiedlichen Bausteinen besteht. Innerhalb der Nanokapsel liegt der Farbstoff konzentriert vor, weswegen er Dimere bildet und nicht fluoresziert (Self-Quenching). Wird er aber freigesetzt, wird er verdünnt und fluoresziert grün. Die Sensitivität des Verbandes hängt von dem Erregerstamm ab. Sie ist umso höher, je besser die krankheitserregenden Bakterien Biofilme bilden. Biofilme sind dünne Schleimfilme, in denen die Erreger organisiert vorliegen. Dieser schützt die Bakterien vor dem Immunsystem sowie vor antimikrobiellen Stoffen wie Antibiotika. Gebildet werden Biofilme bei mehr als sechs von zehn bakteriellen Infektionen. Getestet wurde die Wundauflage mit dem Biofilm und den Kulturüberständen der Bakterien, die bei Wunden am häufigsten zu Komplikationen führen, nämlich Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa und Enterococcus faecalis. Hierfür impften die Wissenschaftler eine Polycarbonat-Membran mit den entsprechenden Bakterien und ließen sie eine bestimmte Zeit unter vorgegebenen Bedingungen wachsen. Als Negativkontrollen verwendete das Forscherteam HEPES-Puffer und nichtpathogene Escherichia coli. Sowohl Staphylococcus aureus als auch Pseudomonas aeruginosa zeigten eine starke und klare Fluoreszenzaktivität, die bei den Negativkontrollen, aber auch bei dem pathogenen Enterococcus faecalis, fehlte. Sowohl Struktur als auch Eigenschaften des Biofilms hängen von den physikalischen Umweltbedingungen ab. Aus diesem Grund testete das Forscherteam als nächstes zwei verschiedene Staphylococcus aureus – Biofilme. Den einen hatten die Bakterien in Ruhe, d. h. unter statischen Bedingungen, in einem Umfeld mit geringer Scherkraft gebildet. Der andere war unter dynamischen Umweltbedingungen, im fließenden Medium, entstanden. Kam die Wundauflage mit den „statischen Biofilmen“ in Kontakt, beobachteten die Wissenschaftler, verglichen mit den gleich alten „dynamischen Biofilmen“, eine bessere Fluoreszenz. Allerdings, so schreiben die Autoren, wurde der Biofilm nicht genauer untersucht, sodass die Unterschiede von einer verschiedenen Filmdicke herrühren können. Da auch dieses Modell nicht ganz den tatsächlichen, in der Wunde vorliegenden Bedingungen entspricht, testete die Gruppe um Toby Jenkins den medizinischen Verband anschließend an thermisch geschädigtem Schweinehautgewebe. 24 Stunden nach Aufbringen der Bakterien konnten die Forscher die Kolonisierung der Wunde sowie einen geleeartigen Film erkennen. Wurde die Wundauflage nun auf das Gewebe aufgebracht, begann diese bei allen infizierten Wunden – also auch bei den mit Enterococcus faecalis behandelten – innerhalb von sechs Stunden zu fluoreszieren. Die Negativkontrollen blieben dagegen farblos.
Die Wissenschaftler planen die Wundauflage an Proben von Patienten mit Verbrennungswunden zu testen. Hierfür hat die Gruppe von der Medical Research Council etwa eine Million britische Pfund erhalten. In etwa vier Jahren soll die Wundauflage dann auf dem Markt erhältlich sein. Zudem möchte die Gruppe um Toby Jenkins eine Wundauflage entwickeln, die, je nachdem welcher Erreger die Wundinfektion verursacht, unterschiedliche Farben annimmt. Dr. Amber Young (links) und Dr. Toby Jenkins den Verband-Prototypen anhand von Proben aus den Wunden von Verbrennungen-Opfern testen (Quelle: Universität von Bath) Das Risiko einer bakteriellen Infektion ist nicht nur bei Verbrennungswunden groß. „Katheterinfektionen sind ein so weitverbreitetes Problem, dass derzeit jeder, der einen Katheter für mehr als sieben Tage hat, eine Antibiotika-Therapie erhält […]“, so Toby Jenkins. Aus diesem Grund entwickelten die Wissenschaftler eine chemische Beschichtung, die bei existierenden Kathetern verwendet werden kann. Sie besteht aus zwei Lagen. Die erste Schicht löst sich auf, wenn der Urin aufgrund einer Infektion mit Proteus mirabilis alkalisch wird. Die darunterliegende Schicht besteht aus einem Gel mit einem nichttoxischen Farbstoff. Wird diese freigesetzt, kann der Farbstoff in den Urinbeutel gelangen, wodurch dieser hellgelb wird.