Egal ob Blutentnahme oder Impfung: Ein Pieks und ein kleiner Schmerz gehören dazu – zumindest bisher. Doch Betäubungspflaster, Infrarottechnologie oder Blutgewinnung ganz ohne Kanüle erleichtern das Routineverfahren und machen es für den Patienten erträglicher.
In Skandinavien wird kaum eine Impfung oder Blutabnahme ohne Betäubungspflaster durchgeführt. Nach STIKO-Empfehlungen stehen mindestens acht bis zehn Impftermine in den ersten 24 Lebensmonaten eines Neugeborenen an. Das geht oft mit vielen tränenreichen Terminen beim Kinderarzt einher – muss es aber nicht. Mit einer lokalanästhetischen Creme oder einem Wirkstoffpflaster können Blutabnahmen oder Injektionen nahezu schmerzfrei erfolgen.
Die perkutane Anästhesie erfolgt mit Lidocain und Prilocain. Nur die freien Basen der Lokalanästhetika können durch die Zellmembran diffundieren. Die eigentliche Wirkung zeigen die Wirkstoffe in ionisierter Form an der Innenseite der Zellmembran an den Rezeptoren im Bereich der schnellen Natrium-Kanäle. Deshalb muss ein galenischer Trick helfen, die Barriere zu überwinden. Nach der 1:1 Mischung der beiden als Pulver vorliegenden Substanzen Lidocain und Prilocain in Basenform sinken deren Schmelzpunkte von 67 ° C (Lidocain) bzw. 37 ° C (Prilocain) auf 18 ° C. Es bildet sich ein Öl, das mit einem Verdickungsmittel, einem Emulgator und destilliertem Wasser, versetzt wird. Es entsteht eine Öl- in-Wasser Emulsion, in der beide Lokalanästhetika zu 80% in der Basenform vorliegen. Der Punkt im Phasendiagramm der Prilocain - und Lidocainbase mit dem niedrigsten Schmelzpunkt ist der sogenannte eutektische Punkt. Die Mischung mit definierter Zusammensetzung an diesem Punkt ist eine eutektische Mischung. Daher die Namengebung für das Arzneimittel: EMLA steht für „eutectic mixture of local anaesthetics“. Es ist wichtig, die Creme ausreichend dick aufzutragen. Zur Schmerzprävention bei Hautpunktionen werden bei Säuglingen 0,5 g auf 5 cm2, bei Kindern 1 g auf 10 cm2 und bei Erwachsenen 1,5 - 2 g auf 10 cm2 empfohlen. Die erforderliche Einwirkzeit hängt stark vom Applikationsort und der gewünschten Analgesietiefe ab. Bei den meisten Hautbereichen beträgt die erforderliche Einwirkzeit mindestens eine Stunde, sie sollte vier Stunden nicht überschreiten. Entfernt man die Folie und die Creme innerhalb dieses Zeitfensters, so hält die Anästhesie noch etwa eine Stunde lang an. Die Analgesietiefe beträgt nach einer Stunde ca. 3 mm und nach zwei Stunden maximal 5 mm. Im Schleimhautbereich reichen zehn Minuten Einwirkzeit.
Das Schmerzempfinden von Säuglingen lässt sich aber auch mit einfachen „Hausmitteln“ lindern. Schon seit langer Zeit weiß man, dass Zuckerlösungen, Ablenkung und das Stillen vor und nach einer Impfung oder Blutabnahme den Schmerz abschwächen. Bereits vor 16 Jahren erschien ein mehr als zehn Seiten umfangreicher Beitrag mit 100 Literaturzitaten zu dem Thema. Die Schmerzerfassung bei Säuglingen und Kleinkindern ist komplex, einfache Schmerzskalen reichen zur Analyse nicht aus. Eine differenzierte Möglichkeit ist der PIPP-Score ( Premature Infant Pain ProfileS). Dieser berücksichtigt bei der Schmerzerfassung bei Säuglingen die Parameter Gestationsalter, Bewusstseinszustand, Herzfrequenz, Blutdruck, Augenbrauenwölbung, Augenkneifen und die Nasolabialfalte. Eine placebo-kontrollierte Studie von Slater et al. untersuchte die Wirkung von Saccharoselösung zur Analgesie vor einer Blutabnahme bei Säuglingen. In der Literatur werden unterschiedliche Zuckerlösungen verwendet, neben Saccharose, im angloamerikanischen Sprachraum auch als Sucrose bezeichnet, auch Glucoselösungen. Beim PIPP-Score war der Unterschied zwischen den Gruppen signifikant. In der Saccharosegruppe lag der Mittelwert bei 5,8, in der Placebogruppe bei 8,5. Nach Saccharose zeigte keines der Kinder eine Änderungen im Gesichtsausdruck versus 35 Prozent der Kinder in der Kontrollgruppe. Eine indische Studie untersuchte an 180 reifen Neugeborenen die Wirkung einer 30-prozentigen Saccharoselösung, non-nutritivem Saugen (NNS), einer Kombination beider Verfahren und Placebo. Je nachdem, ob der Saugvorgang mit Nahrungsaufnahme verbunden ist oder nicht, wird zwischen nutritivem Saugen (Stillen, Milchflasche) und non-nutritivem Saugen (Schnuller, Finger, Brustwarze) unterschieden. Die Maßnahmen wurden zwei Minuten vor einer Blutentnahme aus der Ferse durchgeführt. In der Placebogruppe schrien die Kinder durchschnittlich 416 Sekunden, in der Gruppe in der die Kinder Saccharose erhielten und saugten, schrien sie gar nicht, in der „Sauggruppe“ ohne Saccharose schrien die Kinder 9 Sekunden. Die Kombination aus Saugen und Saccharose ist somit am wirksamsten. Die Autoren warnten davor, in ärmeren Ländern Honig statt Saccharoselösung zu verwenden. Sie sehen eine Gefahr durch honigvermittelten Säuglingsbotulismus und appellierten an die Industrie, preiswerte Zubereitungen zur Verfügung zu stellen. Eine sterile 24-prozentige Saccharoselösung kostet in Deutschland etwa einen Euro. Eine Cochrane-Metaanalyse untersuchte 47 Studien mit insgesamt 7.049 Säuglingen und kommt zu dem Ergebnis, dass Saccharose vor einer Impfung oder Blutabnahme den Schmerz bei Neugeborenen signifikant reduziert und nebenwirkungsfrei ist. In einer Studie von Hatfield et al wurde die Wirkung von Saccharose bei zwei- bis viermonatigen Säuglingen untersucht. Im Vergleich zu Placebo reduzierte die Zuckerlösung den Schmerz um 80 Prozent. In einer Studie von Lemyre et al. wurde untersucht, ob ein 4-prozentiges Tetracain-Gel die Wirkung von Glucose vor einer Venenpunktion verstärkt. Erstaunlicherweise war das nicht der Fall.
Warum Saccharose und/oder NNS analgetische Effekte hat, ging Naughton et al. nach. Die beruhigende und schmerzlindernde Wirkung von Saccharose wird auf Endorphin-freisetzende Vorgänge zurückgeführt. NNS wirkt vermutlich aufgrund einer nicht-Endorphin-basierenden orotaktilen Stimulation. Die Autoren resümieren, dass die Kombination von Saccharose mit NNS bei früh- und termingerecht Neugeborenen als sicher und wirksam zur Schmerzlinderung von schmerzhaften prozeduralen Eingriffen angesehen werden kann. Eine Studie von Gradin et al. ging der Frage nach, wie Zucker analgetisch und sedierend wirkt und vermutet eine Beeinflussung dopaminerger und cholinerger Signalwege. Also eine Aktivierung des Belohnungssystems, was eine Schmerzreduktion erklären würde. Eine komplett andere, erstaunliche Erklärung hat die Arbeitsgruppe um Slater et al. Zuckerlösung wirkt gar nicht zentral analgetisch, sondern verändert nur den Gesichtsausdruck der Säuglinge. Dies würde die eingesetzten Schmerzskalen falsch beeinflussen. Nach einem Schmerzreiz kommt es im EEG zu evozierten Potenzialen, auch dies wurde in der Studie dokumentiert. Diese schmerzgetriggerten Veränderungen traten auch in der Saccharosegruppe auf. Diese Ergebnisse decken sich aber nicht mit zahlreichen anderen Ergebnisse, u.a. der Schreidauer der Probanden. Die am häufigsten geäußerte Vermutung ist eine Freisetzung von Endorphinen. Dies widerlegt hingegen eine ältere Arbeit von Gradin et al. In der randomisierten, placebo-kontrollierten Doppelblindstudie erhielten die Säuglinge (N = 30) vor der Zuckergabe 0,01mg/kg des Opiatantagonisten Naloxon i.v.. Gemessen an der Herzfrequenz und der Schreidauer wurde der analgetische Effekt ermittelt. Dieser wurde durch die Antagonistengabe nicht beeinflusst, womit die Endorphintheorie vom Tisch ist. Zuckerlösungen mindern nach Datenlage also zuverlässig das Schmerzempfinden bei Säuglingen. Auch wenn über den Wirkmechanismus noch spekuliert wird, ist es in jedem Fall ratsam, diese kostengünstige Methode routinemäßig in der Pädiatrie anzuwenden.
Um Schmerzen bei der Blutentnahme möglichst gering zu halten, ist es auch wichtig, beim ersten Pieks die Vene zu treffen. Gute Venen, schlechte Venen oder sogar Rollvenen – das Grauen hat für die MFA einen Namen. Auch wenn diese mythenhaften Gefäßabnormalitäten gar nicht existieren, kann das Auffinden einer Vene manchmal problematisch sein. Leuchtende Venen dank neuer Technik © Christimed Doch es gibt Hilfe und diese klingt nach Science-Fiction: Sie richten ein Gerät in der Größe eines Tetrapacks auf den Arm des Patienten und erkennen glasklar und in Farbe periphere oder sogar tiefere Venen. Besonders in der Pädiatrie, der Notfallmedizin oder bei adipösen Patienten hat dies Vorteile. Möglich ist dies mit Hilfe der Infrarottechnologie. Das nahe Infrarotlicht absorbiert das Hämoglobin im Blut und zeigt so den Verlauf der Venen präzise sichtbar an. Der Venenverlauf wird mit Hilfe eines DLP-Projektors direkt auf die Haut des Patienten projiziert. Mit einem speziellen Modus können periphere Venen, die bis zu 10 mm unter der Haut liegen beziehungsweise Venenverläufe bis zu 15 mm unter der Haut dargestellt werden. Eine andere Technik arbeitet mit LED-Technologie und kostet ein Zehntel der Infrarotgeräte. Das australische Rote Kreuz testet die Technik an Blutspendern und versucht, so die Rate der Spenderwilligen zu steigern. Waller et al. sind in einer Studie der Frage nachgegangen, ob die Rechnung aufgeht. Mit der Vein visualization technology (VVT) sollte den jungen Blutspendern im Alter von 18 bis 30 Jahren die Angst genommen, Übelkeit unterdrückt und die Spenderrate erhöht werden. Das gelang jedoch nicht. Auch an preiswerten Lösungen, etwa mit Hilfe von Tablett-PCs oder Smartphones wird gearbeitet, so eine Übersicht von Juric et al.
Der nächste Schritt bei der Blutgewinnung sind Systeme ganz ohne Kanüle. Google hat ein technologisches Verfahren mit Unterdruck und Mikropartikeln patentiert. Insbesondere Diabetikern soll so eine schmerzfreie Blutentnahme ermöglicht werden. Der Patentantrag beschreibt ein Blutentnahmesystem, das einen Gas-Strahl in ein Gefäß mit Mikropartikeln schickt, der die Haut durchdringt. Nähere Details sind noch nicht bekannt. In Kooperation mit Novartis entwickelt der IT-Konzern außerdem eine Kontaktlinse für Diabetiker, die kontinuierlich den Blutzuckergehalt misst und an ein Smartphone leitet. Bereits auf dem Markt ist das Glucose-Monitoring-System FreeStyle Libre. Das System besteht aus einem Sensor, der am Oberarm sitzt und alle zwei Wochen gewechselt werden muss und einem Lesegerät, mit dem die Werte ausgelesen werden. Nicht alle Krankenkassen übernehmen die Kosten für das Verbrauchsmaterial.
Ein Startup aus den USA hat ein Gerät zur Blutabnahme entwickelt (HemoLink), das ein Vakuum erzeugt und durch Kapillaren kleinste Blutmengen entnehmen kann, ganz ohne Kanüle. Für einen Labortest sind diese Mengen oft ausreichend. Nach zwei Minuten ist die absolut schmerzfreie Prozedur vorbei. Das Gerät soll Ende 2016 auf den Markt kommen und war dem US-Forschungsminister eine Finanzspritze von drei Millionen Dollar wert, auch ganz ohne Kanüle.