Wasser, Schiffsreise und ... kein Urlaub, sondern Patienten. Eine ungewöhnliche Famulatur machte Medizinstudent Nikolaus Behr auf dem Fluss Irrawaddy in Myanmar. Er durfte bei Wind und Wetter den River Doctors zur Hand gehen.
Von allen Medizinstudenten, die sich in den Semesterferien in alle Teile der Welt verstreuen, um unterschiedlichste Famulaturen zu machen, suchte sich Nikolaus Behr für seine letzte Famulatur eine ganz besondere Reise aus. Über die deutsche Artemed Stiftung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Gesundheitsversorgung an Orte zu bringen, die bisher davon ausgeschlossen waren, organisierte er eine Fahrt nach Rangun in Myanmar. Statt auf dem Trockenen in einem x-beliebigen Krankenhaus zu bleiben, ging es für den Studenten auf ein Schiff über den insgesamt 2.170 Kilometer langen Irrawaddy-Fluss. Dort begleitete Nikolaus die River Doctors auf ihrer schwimmenden Klinik, die jeden Monat nach einem festen Rhythmus die 17 Dörfer im Flussdelta ansteuert, die nur über Wasserwege erreichbar sind. Pro Tag werden hier 80–120 Menschen von einheimischen burmesischen Ärzten und Krankenschwestern mit einfachen medizinischen Instrumenten und Medikamenten behandelt. Von akuten Verletzungen bis hin zu Infektionskrankheiten wird jeder Patient nach seinen Bedürfnissen therapiert. Zurzeit studiert Nikolaus im 11. Semester am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. DocCheck hat ihn zu seinen besonderen Erfahrungen auf dieser Reise befragt.
DocCheck: Nikolaus, wie bist du auf die Idee gekommen, eine Famulatur bei den River Doctors zu machen? Nikolaus Behr: Es war eher ein Zufall, dass ich auf die River Doctors gestoßen bin. Eigentlich hatte ich den Plan, eine Famulatur in Hanoi, Vietnam, zu machen. Nachdem ich meinem Vater aber von diesem Plan berichtet hatte, erzählte er mir von einem Freund, der in Myanmar mehrere Schulen und Internate gegründet hatte und vor Ort auch den Träger der River Doctors, die Artemed Stiftung, unterstützt. Ich habe mir das Projekt daraufhin online angeschaut und fand es extrem spannend. Eine unvergleichliche Gelegenheit, solch eine besondere Famulatur machen zu können und zusätzlich ein komplett fremdes und noch recht unerschlossenes Land kennen zu lernen. Per Mail bin ich dann mit Frau Dr. Hofmann, der Geschäftsführerin der Stiftung, in Kontakt getreten. Da es das erste Mal war, dass die Stiftung solch eine Anfrage bekommen hat, mussten sie intern erst einmal über meine Idee nachdenken, haben dieser dann aber mit Begeisterung zugestimmt. Von da an war es alles nur noch eine Sache der Organisation. DocCheck: Wie ist es als deutscher Famulant bei den River Doctors mitzufahren? Gab es anfängliche Schwierigkeiten? Und wie hast du dich vorbereitet? Nikolaus: Natürlich ist die Kommunikation in einem fremden Land oder Kulturraum zu Beginn immer eine Herausforderung – besonders, wenn man den Wunsch hat, Patienten zu behandeln. Mir haben fremde Sprachen aber schon immer Spaß gemacht und ich habe etwas Übung mit dem Umgang von Patienten, deren Sprache ich nicht spreche, da ich seit über fünf Jahren jeden Sommer bei einem Projekt mitarbeite, in dessen Rahmen wir in Rumänien Sommerferien für geistig behinderte und psychisch kranke Menschen organisieren. Dort lernt man schnell, sich auf alle möglichen Sprachen und nonverbale Kommunikationsmethoden einzustellen. In Myanmar habe ich dann einfach versucht, Burmesisch so gut wie möglich zu lernen, und bei allem anderen hat mir die Crew mit engelsgleicher Geduld unter die Arme gegriffen. Eine direkte Vorbereitung auf die Famulatur war recht schwierig, da ich kaum an Informationen über das burmesische Gesundheitswesen gekommen bin. Ich habe mich dann aber bei befreundeten Ärzten informiert, die in vergleichbaren Regionen und Situationen gearbeitet haben. Letztendlich habe ich versucht, viel über das Land und seine Bewohner zu lesen, und irgendwie hat es dann auch alles gut funktioniert. DocCheck: Wie war der Kontakt zur Crew und den Patienten auf dem Schiff? Nikolaus: Die Crew war mir gegenüber anfangs sehr zurückhaltend, was aber meiner Meinung nach nachvollziehbar ist, da es auch für sie eine komplett neue Erfahrung war. Vor mir waren schon einige Besucher und deutsche Ärzte von der Stiftung an Bord, aber noch nie für eine volle Tour. Außerdem sind sie erstmal auch extrem formell mit mir umgegangen, da im dortigen System Ärzte hohe Respektspersonen sind. Von Tag zu Tag wurde es aber immer herzlicher und wärmer, sodass ich ein voll integriertes Mitglied der Familie „River Doctors“ wurde. Die Patienten hatten keine Vorbehalte mir gegenüber, die meisten dachten, ich wäre schon ein fertiger Arzt. Das ein oder andere Kind hatte anfangs etwas Angst vor mir, aber da ich mit 195 cm, Locken und Bart für sie wie der größte und haarigste Mensch im ganzen Land gewirkt haben muss, kann ich das sehr gut verstehen.
DocCheck: Wie sieht ein typischer Tag bei den River Doctors aus? Welche Erfahrungen durftest du sammeln? Nikolaus: Es ging morgens recht schnell früh los. Eigentlich sollte unser Schiff um 7 Uhr für die Patienten „aufmachen“, aber meistens waren sie schon früher da und wir legten direkt los. Wir hatten zwei kleine Arztzimmer, einen weiteren größeren Raum für kleinere chirurgische Behandlungen und noch ein weiteres Zimmer, in dem unser Zahnarzt gearbeitet hat. In der Zeit, in der ich dort war, bestand unser diagnostisches Equipment primär aus Stethoskop und einem alten EKG-Gerät. Inzwischen gibt es aber auch ein kleines Labor für rudimentäre Blutbilduntersuchungen. Aufgrund der Sprachbarriere habe ich anfangs vor allem unserem Arzt assistiert, EKGs mit ausgewertet und körperliche Untersuchungen gemacht. Später habe ich dann auch mit den Krankenschwestern zusammen die Erstaufnahmen gemacht. Zusätzlich war die Stiftung auch sehr daran interessiert, die Patientendokumentation vor Ort zu verbessern, und bei etwa 120 Patienten hat man damit alle Hände voll zu tun. Mit der Patientendokumentation wird versucht, die laufenden Prozesse an Bord zu optimieren und die medizinische Versorgung der River Doctors anzupassen. Normalerweise sind immer drei Ärzte an Bord, also zwei Humanmediziner und ein Zahnarzt, leider ist einer der beiden Ärzte aber während meiner Zeit dort ausgefallen. Deswegen konnte ich etwas weniger machen als eigentlich angedacht war, aber bei 120 Patienten auf einem Arzt war einfach nicht die Kapazität vorhanden, mir eine der Krankenschwestern als ständige Dolmetscherin zur Seite zustellen, damit ich selbstständiger hätte arbeiten können. Bis abends, so circa 19.00 Uhr, haben wir dann gearbeitet. Hin und wieder wurden wir nachts auch von einem Notfall geweckt, was aber auf meiner Tour nicht mehr als fünf- bis sechsmal passiert ist.
Das an Bodenschätzen reiche Myanmar wurde jahrzehntelang von einer Militärdiktatur ausgebeutet. Seit einigen Jahren befindet sich das Land jedoch in einem Öffnungsprozess mit politischem und wirtschaftlichem Aufwind. Dennoch wird es noch lange dauern, bis das kleine Land zwischen China und Indien davon profitieren kann. Besonders die Menschen im Irrawaddy Delta, das wegen der geografischen Gegebenheiten wirtschaftlich bedeutungslos ist, leiden unter großer Armut und die Gesundheitsversorgung ist katastrophal. Sie können die Situation aus eigener Kraft nicht verändern, weshalb die seit 2012 bestehende gemeinnützige Artemed Stiftung das Projekt der River Doctors ins Leben gerufen hat. Eine Oberärztin, zwei Assistenzärzte (davon ein Zahnarzt), zwei Oberschwestern und drei Pflegerinnen versorgen über das Jahr hinweg tausende Patienten. Die häufigsten Beratungsanlässe sind Bluthochdruck, Diabetes, Wurmerkrankungen, muskuloskelettale Erkrankungen und Zahnerkrankungen. Die Menschen in den Dörfern warten oft tagelang auf die schwimmende Klinik. Die River Doctors sind für sie die einzige Hoffnung auf medizinische Versorgung. DocCheck: Was waren die größten Unterschiede zwischen deutschen Krankenhäusern und den River Doctors? Nikolaus: Die Rahmenbedingungen sind natürlich komplett anders: Die technische Ausstattung ist nicht mit unserer vergleichbar und auch die hygienischen Standards sind viel schwieriger zu erreichen. Doch die Patienten kommen natürlich trotzdem und müssen versorgt werden. Chirurgische Eingriffe waren an Bord nicht möglich, was natürlich ein großer Unterschied zu deutschen Krankenhäusern ist. Insgesamt würde ich die River Doctors auch nicht mit einem Krankenhaus vergleichen, sondern eher mit einer erweiterten allgemeinmedizinischen Praxis, nur dass die Praxis auf dem Wasser schwimmt und von Dorf zu Dorf fährt. Wirklich inspirierend war zu sehen, wie Dr. U Chit Pe trotz der wenigen Zeit, die er pro Patient hatte, sich immer wieder voll und ganz auf den jeweiligen Fall einlassen konnte, sich jedem Patienten wieder von neuem persönlich zuwendete und das bei Fließbandarbeit. Das Team probiert, aus den wenigen Mitteln, die sie zur Verfügung haben, so viel wie möglich herauszuholen und jeden Patienten individuell und optimal zu versorgen. DocCheck: Was war das spannendste Erlebnis während deiner Zeit bei den River Doctors? Nikolaus: Das kann ich gar nicht so genau eingrenzen. Die ganze Zeit mit den River Doctors war für mich ein unfassbares und bis dahin einmaliges Erlebnis. Jeder Tag war vollgesogen mit neuen, erstaunlichen Erfahrungen und Momenten. Ob es die Arbeit mit dem Team und den Patienten, die vielen Einladungen von fast jedem Dorfbewohner oder das Erstaunen der Menschen vor Ort war, wenn ich probiert habe mit ihnen in ihrer Sprache zu sprechen. Es war auch eine große Freude, bei den Southeast Asian Games mit der Fußballnationalmannschaft mitzufiebern. Jeder Tag hatte aufs neue einen der interessantesten, spannendsten und lustigsten Momente für mich. Es war fast schon eine Reizüberflutung an neuen Erfahrungen und Erlebnissen. DocCheck: Gab es auch etwas, was dir an der Famulatur weniger gut gefallen hat? Nikolaus: Über die medizinischen Umstände auf dem Schiff war ich recht erschrocken, vor allem wie viele Antibiotika bedenkenlos zur Behandlung eingesetzt worden sind. In Zeiten von immer resistenter werdenden Bakterien ist man aus Deutschland einen eher kritischen und möglichst begrenzten Einsatz gewohnt. Auf der anderen Seite hatten wir oft keine Alternativen zur Hand. Man bemerkt an solchen Orten einfach, dass viele Sachen nicht nur schwarz oder weiß sind. Gleichzeitig bin ich auch in ein bis zwei Situationen geraten, in denen ich bei aller Abenteuerlust und medizinischer „Südseeromantik“ mit dem Fakt konfrontiert wurde, das Myanmar doch noch ein sehr abgeschotteter Staat mit einer quasi noch bestehenden Militärherrschaft ist. Obwohl sich momentan vieles im Umbruch befindet, wird es sicher noch einige Zeit dauern, bis sich das Leben dort normalisiert hat. Zusätzlich habe ich mir bei meinem Aufenthalt eine Dengue-Fieber-Infektion eingefangen, die mich den Sommer über noch ziemlich niedergestreckt hat. Aber abgesehen davon würde ich es sofort wieder machen. DocCheck: Hat dich deine Zeit bei den River Doctors im Nachhinein beeinflusst? Nikolaus: Am deutlichsten ist mir aufgefallen, dass der medizinische Beruf einem eine einzigartige Möglichkeit bietet, die Welt kennenzulernen. Man bekommt einen ganz anderen Zugang zu den Menschen und der Kultur. Alleine durch den Kontakt mit den Patienten und dem Austausch mit den „Teammitgliedern“ hatte man die Chance, einen Kulturraum auf einer ganz fundamentalen Basis kennenzulernen, die man als normaler Reisender nie bekommen könnte. Dies öffnet spannende neue Perspektiven und Überlegungen in Bezug auf seinen eigenen Zugang und seine eigene Beziehung zu diesem Beruf. DocCheck: Würdest du anderen Medizinstudenten eine Famulatur bei den River Doctors empfehlen? Nikolaus: Auf jeden Fall! Alleine schon wegen der menschlichen Erfahrung, die man dort macht. Wer Interesse hat, Pate zu werden und die River Doctors zu unterstützten, vielleicht sogar selbst einmal für eine medizinische Famulatur an Bord kommen möchte oder einfach nur mehr über das Projekt erfahren möchte, der kann sich an kontakt@artemed-stiftung.de wenden.