Die HIV-Inzidenz in Deutschland stagniert – rund 83.000 Menschen leben mit einer HIV-Infektion. Eine neue Studie beschreibt nun erstmals den Zeitraum direkt nach der Infektion und macht deutlich, dass eine schnelle Behandlung essentiell ist.
Laut einer Schätzung des Robert Koch Instituts lag die Zahl der Neuinfektionen mit dem HI-Virus in Deutschland im Jahr 2014 bei 3.200 Personen. Trotz Forschungsarbeit und breiter Aufklärung bleibt damit die Zahl der Neuinfektionen im Vergleich zum Vorjahr unverändert. Eine neue Studie liefert nun erstmalig Erkenntnisse über den Zeitraum direkt nach der Infektion mit dem Virus. Für die Studie wurden über 2.000 Freiwillige aus einer HIV-Hochrisikogruppe zweimal wöchentlich auf eine Neuinfektion mit HI-Viren getestet. „Allein die Rekrutierung der Studienteilnehmer war eine Herausforderung“, sagt Dr. Arne Kroidl, verantwortlich für die klinische HIV-Forschung am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) des Tropeninstituts München, in einem Interview. „Die Studie zielte auf die Rekrutierung von HIV-negativen Personen ab, die zugleich ein hohes Risiko hatten, in nächster Zukunft eine HIV-Infektion zu erwerben“, erklärt Kroidl. © Mbeya Medical Research Centre „In Mbeya, Tansania, waren das Frauen, die abends in einer Bar tätig waren; in anderen Studiengebieten auch Männer mit hohem Risikoprofil. Die Durchführung einer solchen Studie setzte ein hohes Vertrauensverhältnis zwischen dem Studienzentrum, den regionalen Gesundheitseinrichtungen und der lokalen Bevölkerung voraus und war nur möglich, da das Mbeya Medical Research Centre (MMRC) vom National Institute of Health eine langjährig etablierte Infrastruktur im Rahmen von früheren, gemeinsamen Studien mit ähnlichem Klientel geschaffen hatte.“
Innerhalb der Studienphase konnten insgesamt 112 neu infizierte Personen direkt wenige Tage nach der Infektion identifiziert werden. Es folgte eine aufwändige Analyse der Patienten mittels klinischer Überwachung, quantitativer Messung der Plasma HIV-RNA Level und der HIV-Antikörper. Dies ermöglichte eine Untersuchung der frühen Phase einer HIV-Infektion, die bisher einzigartig ist. Dadurch konnten die Forscher erstmals den Zeitraum zwischen der Infektion und dem Höchstwert der Viruslast näher beschreiben. „Ein wesentlicher Beitrag der Studie ist die genaue Beschreibung der HIV-Kinetik und der Veränderung in den Immunzellen“, erklärt Kroidl. „Es konnte hier der Zusammenhang zwischen maximaler Höhe der Viruslast (peak viral load) mit dem sogenannten viralen Set Point, der Viruslast nach Ende der akuten Infektion, beschrieben werden. Dieser wurde im Mittel nach 42 Tagen erreicht und stellt einen prognostischen Marker für den weiteren Verlauf der HIV Infektion dar. Dies bestätigt auch das Konzept der sehr frühen HIV-Behandlung, um hohe Peak-Virämien zu vermeiden und bessere Voraussetzungen für den weiteren Krankheitsverlauf zu schaffen.“ © Mbeya Medical Research Centre Im Anschluss an die veröffentlichte Studie sollen nun prospektiv HIV-Therapiekonzepte für akut infizierte Patienten an den involvierten, ostafrikanischen und thailändischen Studienzentren untersucht werden. Auch für HIV-exponierte Neugeborene sind derzeit verschiedene Forschungsvorhaben in Afrika hinsichtlich der Sicherheit und Effektivität einer frühen HIV-Therapie in Planung.
Laut der Gesundheitsorganisation WHO lebten 2015 weltweit 36,7 Millionen Menschen mit HIV. 1,1 Millionen davon starben. Trotz diverser Programme und verstärkter Aufklärungsarbeit in diesem Bereich konnte das Virus bisher nicht signifikant eingedämmt werden. Besonders afrikanische Länder sind häufig von HIV-Neuansteckungen betroffen und AIDS stellt hier teilweise eine der häufigsten Todesursache besonders unter Jugendlichen dar. Doch auch Europa ist nach wie vor nicht frei von Neuinfektionen, wie am Beispiel Deutschland sichtbar wird. Eine generelle Problematik diesbezüglich scheint die Diagnose der HIV-Infektion darzustellen. Aufgrund der oft sehr spät erkannten Infektion kommt es in der Folge vermehrt zu Neuinfektionen, da die Patienten selbst zunächst nichts von ihrer Erkrankung wissen. Aktuelle Schätzungen des Robert Koch Instituts zeigen, dass viele Infizierte nach wie vor keine Kenntnis von ihrer Erkrankung haben. So lebten nach Schätzungen des Institutes im Jahr 2014 mehr als 13.000 Menschen in Deutschland mit einer bestehenden HIV-Infektion, ohne von dieser zu wissen. Die Problematik der späten Diagnosestellung untersuchte bereits im Jahr 2010 ein europaweites Review mit dem Titel „Barriers to HIV testing in Europe“. Im Verlauf dieses Reviews konnten verschiedene Gründe für die späte Feststellung der Infektion dargestellt werden. So sehen sich beispielsweise besonders in Europa viele Menschen nicht dem Risiko einer HIV-Infektion ausgesetzt. Ein Großteil der HIV-Patienten gaben nach der Diagnose der Erkrankung an, sie hätten die Möglichkeit eines positiven Testergebnisses überhaupt nicht in Betracht gezogen und sich aufgrund dessen nicht früher testen lassen. Auch viele schwangere Frauen lehnten einen HIV-Test mit der Begründung ab, sie sähen sich selbst nicht in einer HIV-Risikogruppe.
Neben dieser Arglosigkeit stellt die Angst vor der Erkrankung einen weiteren Grund dar, weshalb HIV-Infizierte sich häufig erst spät auf das Virus hin testen lassen. So bestätigte eine der im Review verwendeten Studien, dass besonders bei Männern mit homosexuellen Neigungen, welche sich selbst unter dem Risiko wähnen mit HIV infiziert zu werden, die Angst vor einem positiven Testergebnis so groß ist, dass sie schon im Vorfeld auf einen Test verzichten. Neben diesen Faktoren hat aber scheinbar auch die Furcht vor HIV in europäischen Ländern generell abgenommen. „HIV und Aids hat im Vergleich zu den 90er Jahren bei uns an Schrecken verloren“, bestätigt auch Dr. Kroidl. „Die antiretroviralen Therapien sind deutlich besser und verträglicher geworden. HIV wird zwar als chronische Erkrankung wahrgenommen, mit der man jedoch ganz gut leben kann.“ Auch dies ist offenbar ein Grund für die häufig verspätete Diagnose. Weiterhin gestaltet sich auch die Diagnosestellung selbst im Frühstadium der Infektion schwierig. Wie auch in der Studie des DZIF diskutiert, sind die Symptome akut infizierter Personen zumeist nur mild und unspezifisch. Häufig traten hier Symptome wie Kopf,- und Gliederschmerzen, Lymphknotenschwellungen oder Fieber auf, welche allerdings nicht spezifisch einer HIV-Infektion zugeordnet werden können. „Auch der übliche Antikörper basierte HIV-Test ist während der akuten HIV-Infektion noch oft negativ und es bedarf hier eines direkten Virusnachweises, zum Beispiel mittels einer PCR-Methodik", sagt Kroidl im Interview.
Dabei ist besonders die frühzeitige Feststellung einer HIV-Infektion für eine erfolgreiche Therapie sowie eine Unterbindung der weiteren Ausbreitung des Virus essentiell. Dies bestätigt nun auch eine internationale Studie, an welcher auch die Universitätsklinik für Infektiologie des Inselspitals in Bern beteiligt war. Die Studie erschien pünktlich zum Beginn der 21. internationalen Aids-Konferenz Ende Juli in Südafrika und zeigt, dass durch die Möglichkeit einer antiretroviralen Therapie nicht nur die infizierte Person selbst vor einem Ausbruch der Erkrankung geschützt wird, sondern auch deren Partner vor einer möglichen Ansteckung mit dem HI-Virus. In der entsprechenden Studie wurden 888 Paare, von denen jeweils ein Partner mit HIV infiziert war und mit einem antiretroviralen Medikament behandelt wurde, untersucht. Alle Paare hatten regelmäßig in einem Untersuchungszeitraum von mehr als einem Jahr ohne Kondom Geschlechtsverkehr. Trotz des ungeschützten Sexualaktes konnten während dieser gesamten Beobachtungsspanne keine Übertragung des Virus auf den gesunden Partner festgestellt werden. Eine Therapie kann also die Übertragung des Virus nahezu fast vollständig verhindern und lässt somit langfristig das Ziel einer Ausrottung des HI-Virus in greifbare Nähe rücken. Dies funktioniert allerdings nur, wenn eine frühzeitige Diagnose und Therapie der Erkrankung erfolgt, bevor es zu einer Ansteckung weiterer Personen kommt. Eine stärkere Sensibilisierung der Bevölkerung bezüglich der HIV-Thematik ist also weiterhin unabdingbar und wurde, zusammen mit diversen anderen Themen HIV betreffend, auch auf der Aids-Konferenz in Durban diskutiert.