Rund ein Drittel der Leberzirrhose-Todesfälle ist auf bakterielle Infektionen zurückzuführen. Schuld daran ist eine massive Typ-1-Interferon-Produktion, die die Abwehr abschaltet. Schon die Stärkung der Immunantwort könnte daher lebensgefährliche Infektionen verhindern. Antibiotika ade?
Pro Jahr sterben in Europa rund 170.000 Menschen an den Komplikationen einer Leberzirrhose. „Rund ein Drittel der Leberzirrhose-Todesfälle ist auf bakterielle Infektionen zurückzuführen“, sagt Prof. Dr. Jonel Trebicka von der Medizinischen Klinik des Uniklinikums Bonn. Schon länger ist bekannt, dass bei Patienten mit Leberzirrhose das Immunsystem geschädigt ist. Über die Ursachen rätselte die Wissenschaft.
Ein Forscherteam um Dr. Zeinab Abdullah vom Institut für Experimentelle Immunologie des Universitätsklinikums Bonn und Prof. Dr. Percy Knolle vom Institut für Molekulare Immunologie der Technischen Universität München (TUM) hat nun mit Kollegen aus der Inneren Medizin, vom Life & Medical Sciences Institut (LIMES) der Universität Bonn und von der Uniklinik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) herausgefunden, welche Prozesse hinter dem Niedergang des Immunsystems stecken. An Mäusen, die an einer Leberzirrhose litten, haben die Forscher beobachtet, dass Makrophagen und Monozyten in der Leber in Antwort auf unschädliche Darmbakterien anhaltend Typ-1-Interferon produzierten. Wurden diese Immunzellen dann von einer geringen Zahl von krankmachenden Listerien infiziert, wurde die Typ-1-Interferon-Produktion massiv angekurbelt.
In der Folge kam es zur Ausschüttung von immunregulierendem Interleukin-10, was zum Zusammenbruch der Abwehrfunktion der Makrophagen gegen bakterielle Infektionen und damit zum tödlichen Ausgang von Infektionen führte. Leberzirrhose: Die Makrophagen (türkis) und Vorläuferzellen des Immunsystems (grün) reagieren auf Typ-1-Interferon und regulieren Interferon-stimulierende Gene hoch, zum Beispiel Mx1 (gelb). Dadurch kommt es letzten Endes zum Versagen der Immunantwort. © Carl-Philipp Hackstein/UKB Die Forscher führten die Untersuchungen zusätzlich an menschlichem Monozyten aus dem Blut von Zirrhosepatienten durch. „Nach einer Infektion mit Pathogenen fanden wir in den Monozyten von Zirrhosepatienten ebenfalls deutlich erhöhte Werte für Typ-1-Interferon und Interleukin-10“, fasst Dr. Zeinab Abdullah die Resultate zusammen. „Unsere Ergebnisse identifizieren die Schwachstelle des Immunsystems, die für das Versagen der Immunantwort gegen bakterielle Infektionen verantwortlich ist.“
In weiteren Experimenten ergaben sich Ansatzpunkte für neuartige Therapien: Mäuse, die gar kein Typ-1-Interferon bilden konnten, waren gegen die Infektionen mit Darmbakterien geschützt, weil das Immunsystem nicht übersteuerte. „Das Bahnbrechende daran ist, dass man eine lebensgefährliche bakterielle Infektion ohne Antibiotika alleine durch Verstärkung der Immunantwort verhindern kann“, sagt Prof. Dr. Percy Knolle. Darin sehen die Forscher einen wichtigen Anwendungsbezug. „Wenn die Bildung von Typ-1-Interferon in den Leberzellen mit geeigneten Substanzen blockiert wird, könnte das aus dem Ruder laufende Immunsystem absehbar stabilisiert werden“, ergänzt Knolle. Originalpublikation: Gut microbial translocation corrupts myeloid cell function to control bacterial infection during liver cirrhosis Carl-Philipp Hackstein et al.; Gut, doi: 10.1136/gutjnl-2015-311224; 2016