Opiate und Opioide sind feste Bestandteile der Analgesie. Aber selbst der bestimmungsgemäße Gebrauch geht mit Abhängigkeitsrisiken einher. Was sagen neue Studien? Und welche Aspekte sollten Ärzte und Apotheker berücksichtigen?
Soweit – so bekannt: Laut WHO-Stufenschema sollten Patienten mit leichten oder mittleren Schmerzen in Stufe 2 niederpotente Opioidanalgetika erhalten. Dazu gehören Tramadol, Tilidin / Naloxon beziehungsweise Dihydrocodein. Ärzte und Apotheker diskutieren seit längerer Zeit kontrovers, ob starke Opioide nicht weitaus früher eingesetzt werden sollten. Jetzt hat Elena Bandieri aus Modena Daten zu dieser Frage veröffentlicht.
Zusammen mit Kollegen nahm sie 240 Krebspatienten in ihre Studie auf. Die Teilnehmer erhielten 28 Tage lang randomisiert niedrig dosiertes Morphin oder ein schwaches Opioid. Den primären Endpunkt, definiert als Rückgang der Schmerzintensität um 20 Prozent, erzielten 88 versus 58 Prozent. In der Gruppe mit schwachen Opioiden wechselten 41 Prozent auf ein Präparat mit höherer Wirkstärke, und in der Morphin-Gruppe waren es 17. Dosissteigerungen benötigten 28 versus 14 Prozent. Die Nebenwirkungen selbst waren in beiden Gruppen vergleichbar. Ob ein alternativer Zwei-Stufen-Plan, der ohne schwache Opioide auskommt, Sinn macht, lässt sich anhand der kurzen Studiendauer schwer sagen. Das liegt auch an möglichen Abhängigkeiten.
Mit dieser Fragestellung hat sich Richard A. Deyo von der Oregon Health and Science University befasst. Er wertete Daten von 3,6 Millionen Opioid-Verordnungen bei 874.765 Patienten aus. Rund 537.000 erhielten erstmals Präparate mit diesen Wirkstoffen. Von ihnen schlitterten fünf Prozent in eine Dauertherapie. Betroffene bekamen mindestens sechs Rezepte pro Jahr. Patienten unter 45 Jahren mit zwei Rezepten pro Monat waren besonders gefährdet. Als weiteren Risikofaktor identifizierte Deyo die initiale Behandlung mit Morphin in hoher Dosierung. Kurzwirksame Pharmaka seien generell besser als langwirksame Moleküle, schreibt der Forscher. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC), Atlanta, warnen noch vor weiteren Gefahren. US-Daten zufolge kommt es immer häufiger zu Todesfällen durch Überdosierungen. Dahinter stecken nur selten suizidale Absichten.
Trotzdem besteht kein Grund, auf wirksame Arzneistoffe zu verzichten, schreibt Eric C. Sun von der Stanford University School of Medicine. Er hat Daten von 641.941 operierten Patienten ohne Opioide in der Vorgeschichte untersucht. Als Vergleich dienten 18 Millionen Versicherte ohne Eingriff. Sun spricht vom chronischen Opioid-Gebrauch, falls Patienten an mindestens 120 Tagen pro Jahr die Arzneistoffe einnahmen oder mindestens zehn Folgeverordnungen erhielten. Seine Untersuchung setzt 90 Tage nach dem jeweiligen Eingriff an – kurzfristige Gaben spielen hier keine Rolle. Mit einer Inzidenz von 1,41 Prozent führten Kniegelenksendoprothesen besonders häufig zum chronischen Opioidgebrauch. Am anderen Ende der Skala rangierten Frauen mit Sectio (0,119 Prozent). Zum Vergleich: Bei Patienten ohne chirurgische Intervention waren es 0,136 Prozent. Auch hier spielte die Vorgeschichte eine große Rolle: Ältere, multimorbide Patienten oder Menschen mit Substanzmissbrauch in der Vorgeschichte waren besonders gefährdet. Benzodiazepine oder Antidepressiva längere Zeit vor dem Eingriff erhöhten die Wahrscheinlichkeit ebenfalls. Eric C. Suns Daten geben wenig Anlass zur Sorge. Health Professionals rät er aber, die Medikation langfristig zu begleiten, um gegebenenfalls einzugreifen.
Seine Einschätzung deckt sich mit Empfehlungen der Centers for Disease Control and Prevention. CDC-Expertin Deborah Dowell zeigt anhand des Mottos „Start low, go slow“, wie es gelingt, Pharmakotherapien sicherer zu machen: Von Möglichkeiten der elektronischen Überwachung kritischer Verordnungen wie in den USA können Health Professionals in Deutschland nur träumen © CDC
Dowell zufolge gelingt es Ärzten und Apothekern so, mögliche Gefahren wie den chronischen Gebrauch oder die Mortalität zu minimieren.