Das Problem multiresistenter Bakterien wächst in Deutschland und dem Rest der Welt. Ein neuer Bluttest könnte dabei helfen, Antibiotika noch gezielter einzusetzen, denn er kann schnell und zuverlässig bakterielle von viralen Infektionen unterscheiden.
Der neue Test wurde jüngst in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine vorgestellt. Die Forscher um Dr. Purvesh Khatri von der Stanford University, USA, identifizierten zuerst sieben menschliche Gene, deren Expression sich als Reaktion auf einen Pathogenbefall charakteristisch verändert. Diese typischen Unterschiede in der Genaktivität erlauben es, bakterielle von viralen Infektionen zu unterscheiden. Nachdem sie den Test an 30 unabhängigen Kohorten validiert hatten, kombinierten die Forscher ihn mit einem bereits zuvor entwickelten Set von 11 Genen, das bei Sepsis-Patienten zum Einsatz kommt, um zu unterscheiden, ob eine Infektion vorliegt oder nicht. Der resultierende zweistufige Entscheidungsalgorithmus zeichnete sich durch eine Sensitivität von 94 % und eine Spezifität von 60 % für bakterielle Infektionen und 53 % bzw. 91 % für virale Infektionen aus. Dr. Purvesh Khatri, Leiter der Studie © Norbert von der Groeben Dieser Entscheidungsalgorithmus ist zwar nicht der erste Test, mit dem sich virale von bakteriellen Infektionen unterscheiden lassen, frühere diagnostische Modelle benötigten dafür allerdings die Messung der Aktivität von mehr als 100 Genen – zu viele für den klinischen Einsatz. „Die Idee für die Entwicklung eines diagnostischen Tests entsprang unserer vorherigen Veröffentlichung in Immunity letztes Jahr“, erklärt Studienleiter Khatri. „In dieser Arbeit fanden wir eine gemeinsame Antwort des menschlichen Immunsystems auf verschiedene Viren, welche sich von der Antwort auf bakterielle Infektionen unterschied. Wir haben uns gefragt, ob man diesen Unterschied nutzen könnte, um die Diagnose bakterieller oder viraler Infektionen zu verbessern. Aber wir benötigten eine Gensignatur, die aus wesentlich weniger Genen bestand, damit der Test klinisch nützlich ist.“ Der nun publizierte Entscheidungsalgorithmus kommt mit dem Aktivitätsmuster von nur 18 Genen aus und stellt so die Basis für einen schnellen und kostengünstigen Test dar.
Bevor der Test allerdings in der Patientenversorgung eingesetzt werden kann, muss er erst noch einige Hürden überwinden. Einerseits muss er in einer prospektiven klinischen Studie validiert werden – für die bisherigen Ergebnisse nutzten die Forscher lediglich bereits vorhandene digitale Datensätze aus Genexpressions-Datenbanken. Außerdem muss der Test deutlich schneller werden: Die Forscher testeten ihr Gen-Set mittels NanoString-Assay-Technologie an Vollblut-Proben, was allerdings ca. 4-6 Stunden in Anspruch nahm. Ziel ist es, ein Device zu entwickeln, das innerhalb einer Stunde oder weniger Ergebnisse liefert. Eine zeitnahe Behandlung ist nämlich beispielsweise im Fall einer bakteriellen Sepsis entscheidend – für jede Stunde, um die sich eine notwendige Antibiose verzögert, steigt die Mortalitätsrate um 8 %. Ein weiteres Problem sind die Kosten für den Test. Vielerorts ist es günstiger, einfach Antibiotika auf Verdacht zu verabreichen, als eine aufwendige Diagnostik zu betreiben. „Wenn wir wirklich etwas bewirken wollen“, sagt Khatri, „muss unser Test kosteneffektiver sein als der Wirkstoff selbst.“ Dies erlaube es dem Gesundheitssystem, Antibiotika angemessen zu verwenden und gleichzeitig Geld zu sparen.
Dass auch hierzulande Antibiotika häufig auf Verdacht verordnet werden, bestätigt eine aktuelle Untersuchung der BKK-Landesverbände Nordwest und Mitte. Diese zeigt, dass rund 95 % der ärztlich verordneten Antibiotika ohne diagnostische Absicherung verschrieben werden. Und selbst Reserveantibiotika werden zu 76 % ohne gezielte Diagnostik verordnet. Dr. Dirk Janssen, stellv. Vorstand des BKK-Landesverbandes Nordwest, zeigt sich empört: „Reserveantibiotika sind unsere letzte Verteidigungslinie gegen multiresistente Erreger. Sie sollten nur dann eingesetzt werden, wenn nichts Anderes mehr hilft. Wenn Reserveantibiotika wie Bonbons im Karneval verteilt werden, verlieren wir diesen Kampf.“ In der Tat ist dieser Kampf ein dringliches Problem, was auch eine jüngst veröffentlichte Studie zu Colistin-resistenten Bakterien zeigt: Im Rahmen des weltweiten SENTRY Antimicrobial Surveillance Programms untersuchten Forscher Escherichia coli Proben aus Europa, Lateinamerika, Nordamerika und dem asiatisch-pazifischen Raum darauf, ob sie das mcr-1 Gen tragen. Dieses Gen vermittelt die Resistenz gegenüber dem Reserveantibiotikum Colistin und wurde erst kürzlich zum ersten Mal in China entdeckt. Von 19 isolierten Stämmen, bei denen mcr-1 nachweisbar war, belegte Deutschland mit ganzen 5 positiven Isolaten den traurigen Spitzenplatz, gefolgt von Italien mit 4 Isolaten. Alle isolierten E. coli Stämme waren zwar (noch) empfindlich gegenüber anderen Antibiotika wie Carbapenemen, Amikacin und Tigecyclin, die Forscher befürchten aber, dass sie die Colistin-Resistenz durch einen horizontalen Gentransfer mittels Plasmid an andere multiresistente Bakterien weitergeben könnten.
Als Reaktion auf die BKK-Studie erklärte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), den zielgenauen Einsatz von Antibiotika fördern zu wollen, indem die Regelungen zur Erstattung von diagnostischen Verfahren verbessert würden. Dies sei Bestandteil des geplanten neuen Gesetzes zur Arzneimittelversorgung, welches demnächst vom Kabinett beschlossen werden soll. Außerdem beklagt Gröhe schon seit langem einen Mangel an diagnostischen Schnelltests zur Identifizierung von (multi-)resistenten Erregern. Deren Erforschung und Entwicklung ist daher auch Bestandteil der im Mai 2015 beschlossenen neuen Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART 2020). Dem BKK-Landesverband Nordwest gehen diese Vorschläge allerdings nicht weit genug. „Bis es diese Schnelltests gibt, werden ggf. noch Jahre vergehen“, so Janssen. Und auch das alleinige Vertrauen auf finanzielle Anreize und Appelle werde seiner Meinung nach nicht zu einer Veränderung des Verschreibungsverhaltens führen. Bereits jetzt gebe es Empfehlungen zur rationalen Antibiotikatherapie und ein Testverfahren, nämlich das Antibiogramm. Der BKK-Landesverband fordert daher verbindliche Regelungen zur Anwendung des Antibiogramms sowie klare Vergütungsregeln hierzu für Fach- und Hausärzte. Außerdem verlangt er die Einführung eines Bundeskeimregisters: Labore sollen dazu verpflichtet werden, ihre Testergebnisse pseudonymisiert an eine zentrale Meldestelle zu liefern, um die Datenlage zur Resistenzentwicklung zu verbessern.
Die Schuld für die oft unnötige Einnahme von Antibiotika allein bei den Ärzten zu suchen, ist allerdings zu kurz gegriffen, denn auch die Patienten spielen natürlich eine Rolle beim Verschreibungsverhalten. Dass es hier um das Wissen über die Wirksamkeit von Antibiotika nicht gut bestellt ist, zeigt die jüngste Eurobarometer-Umfrage der Europäischen Kommission: Nur 44 % der Deutschen wissen, dass Antibiotika gegen Viren wirkungslos sind. Deutschland liegt damit im europäischen Vergleich im Mittelfeld, den Spitzenplatz belegt Schweden, wo dies immerhin 72 % der Bevölkerung wissen. Außerdem glauben 37 % der Deutschen, dass Antibiotika ein wirksames Mittel gegen Grippe und Erkältungen sind, und neben der Bronchitis waren diese beiden Erkrankungen auch der häufigste Grund für die Einnahme von Antibiotika. Ärzte müssen sich daher jeden Tag im Spannungsfeld zwischen Leitlinienempfehlung und Patientenwunsch bewegen – keine einfache Aufgabe. Im 2012 veröffentlichten „Faktencheck Gesundheit“ zur Antibiotika-Verordnung, erstellt vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, gehen die Autoren nicht nur darauf ein, was die Politik tun muss, um den übermäßigen Einsatz von Antibiotika bei Mensch und Tier zu reduzieren, sondern es werden auch konkrete Tipps für die ärztliche Praxis benannt. Einerseits gilt es, den vom Patienten geäußerten Wunsch nach Behandlung nicht automatisch mit einem Wunsch nach Antibiotika gleichzusetzen – bei einer Patientenbefragung gaben beispielsweise nur 11 % an, bei Erkältungskrankheiten die Verschreibung von Antibiotika zu erwarten.
Andererseits kann durch gezielte Aufklärung, beispielsweise durch Informationsflyer und Poster im Wartezimmer sowie das Patientengespräch, das Wissen über den richtigen Umgang mit Antibiotika verbessert und die Erwartungshaltung beeinflusst werden. Denn allen Unkenrufen zum Trotz ist das Vertrauen der Patienten in die Ärzteschaft noch immer groß: Der aktuellen Eurobarometer-Umfrage zufolge ist der Arzt für 83 % der Befragten eine vertrauenswürdige Quelle für Informationen über Antibiotika.