Leberzellkarzinome treten immer häufiger auf. Doch effektive medikamentöse Therapien fehlen. Nun wurde ein Angriffspunkt in den Krebszellen gefunden: Wenn die Konzentration des Proteins MYC zu schnell sinkt, ist das ein Schock für die Krebszelle und sie geht zugrunde.
Leberzellkarzinome werden meist spät entdeckt. Doch nicht nur aus diesem Grund sind zurzeit die therapeutischen Möglichkeiten begrenzt und die Sterblichkeit entsprechend hoch: „Fast immer liegt eine Leberzirrhose oder Fettleber als Grunderkrankung zugrunde“, sagt Lars Zender, Leiter der Sektion für Gastrointestinale Onkologie des Universitätsklinikums Tübingen. „Die dadurch bedingte Einschränkung der Organfunktion lässt kaum radikale Operationen zu. Ein denkbarer Ausweg aus dieser unbefriedigenden Situation könnten effektive medikamentöse Therapien sein, die es bisher leider nicht gibt.“ Denn Leberzellkarzinome sprechen nur schlecht auf Chemotherapeutika an und auch der einzige zugelassene zielgerichtete Wirkstoff, Sorafenib, verlängert das Leben von Patienten mit inoperablen oder metastasierten Leberzellkarzinom bloß um rund drei Monate. Doch Zender und sein internationales Forscherteam haben nun einen weiteren Ansatzpunkt für zukünftige Therapien entdeckt, die die Prognose für Patienten mit fortgeschrittenem Leberkrebs verbessern könnten. Im Rahmen einer Studie zeigten die Wissenschaftler, dass ein Komplex aus den Proteinen MYC und AURKA für das Wachstum der Leberzellkarzinome essenziell ist. Wie sie in einem Artikel im Fachmagazin Nature Medicine berichten, führte die medikamentöse Destabilisierung des Proteinkomplexes im Tiermodell zum Absterben der Krebszellen. MYC spielt eine zentrale Rolle bei vielen Krebserkrankungen. Das Protein sorgt dafür, dass eine Vielzahl von Genen vermehrt exprimiert und die Krebszellen zu einem verstärkten Wachstum angeregt werden. Bislang schlugen alle Versuche fehl, die Wirkung von MYC auf direkte Weise zu unterbinden. „Seine Struktur bietet keine Angriffsmöglichkeiten für kleine Moleküle, die verhindern könnten, dass MYC mit anderen Proteinen interagiert“, erklärt Zender.
Er und seine Kollegen setzten deshalb auf eine indirekte Strategie, um MYC auszuschalten, und suchten deshalb in einem spezifischen Tiermodell nach möglichen Interaktionspartnern von MYC, die besser für einen Angriff geeignet sind. Für ihre Experimente verwendeten die Forscher hauptsächlich Mäuse, die kein funktionsfähiges Trp53-Gen mehr besaßen. Rund 25 Prozent der Leberkrebs-Patienten weisen im Tumorgewebe Mutationen im homologen TP53-Gen auf, das normalerweise die Tumorentstehung unterdrückt. In die Leberzellen der Tiere schleusten Zender und seine Mitarbeiter mithilfe gentechnischer Methoden zusätzlich ein krebsförderndes Gen ein, so dass die Mäuse nochmals anfälliger wurden, ein Leberzellkarzinom zu entwickeln. Dann injizierten die Forscher den Mäusen das Toxin Tetrachlorkohlenstoff, von dem bekannt ist, dass es eine ausgeprägte Fibrosierung der Leber verursacht, wie sie auch bei Patienten mit chronischen Lebererkrankungen zu finden ist. Durch diese kombinierte Art der Behandlung bildeten sich vermehrt Tumoren in der Leber der Versuchsmäuse. Die Krebszellen wiesen nicht nur erhöhte Konzentrationen von MYC sondern auch von AURKA auf. Von diesem Protein war ebenfalls schon seit einiger Zeit bekannt, dass es an der Tumorgenese beteiligt sein kann.
Da schon mehrere gegen AURKA gerichtete Substanzen existieren, untersuchte das Team um Zender deren Wirkung auf die Krebszellen. Zwei der vier getesteten AURKA-Inhibitoren brachten das Wachstum der Zellen zum Stillstand. Die Wirkstoffe CD532 und MLN8237 blockieren nicht nur die eigentliche Enzymfunktion von AURKA, sondern verändern dabei auch die gesamte Struktur des Proteins. Dieser Umstand war für die Forscher der entscheidende Hinweis dafür, dass AURKA und MYC in den Krebszellen direkt miteinander interagieren und in einem Komplex verbunden sind. „Sowohl CD532 als auch MLN8237 induzieren eine Konformationsänderung von AURKA, MYC kann nicht mehr an AURKA andocken und wird als isoliertes Molekül rasch abgebaut“, erklärt Zender. „Wenn die Konzentration von MYC aber zu schnell sinkt, ist das ein Schock für die Krebszelle und sie geht zugrunde.“ MYC, so der Forscher, könne seine verhängnisvolle Rolle als krebsförderndes Protein nur erfüllen, wenn es durch die Bindung an AURKA stabilisiert werde. In einer früheren Studie hatten Zender und sein Team gezeigt, dass ihr Tiermodell recht gut die Situation von Patienten mit therapieresistentem Leberkrebs abbildet. Deshalb wollten die Forscher mit dem gleichen Tiermodell testen, ob die AURKA-Inhibitoren ein therapeutisches Potenzial bei dieser Patientengruppe besitzen. Wenn sie die Versuchsmäuse mit MLN8237 behandelten, sobald ein Leberkarzinom auftrat, überlebten rund 50 Prozent der Tiere für längere Zeit. „Bislang hat noch keine andere Substanz in einem solchen Tiermodell eine vergleichbare Wirkung erzielt“, sagt Zender.
Ein weiterer Befund seines Teams stimmt den Onkologen ebenfalls optimistisch: Tumorzellen mit einem veränderten TP53-Gen, die von Leberkrebs-Patienten stammen, wiesen nicht nur erhöhte Konzentrationen von AURKA und MYC auf, sondern sprachen auch auf die Behandlung mit MLN8237 an. Der AURKA-Inhibitor ist bereits bei zwei anderen Krebsarten in klinischer Erprobung ist und scheint gut verträglich zu sein. Zender möchte deshalb den Wirkstoff möglichst bald auch bei Patienten mit fortgeschrittenem Leberkrebs testen. Um die Finanzierung der dazu nötigen klinischen Studie auf die Beine stellen zu können, ist Zender momentan im Gespräch mit der Herstellerfirma von MLN8237. Er hofft, dass die Studie Anfang nächsten Jahres beginnen kann. Andere Experten überzeugen die Ergebnisse der Tübinger Wissenschaftler: „Mit dem neuen Ansatz wird eine wichtige Zielstruktur in Leberzellkarzinome endlich angreifbar“, sagt Mathias Heikenwälder, Leiter des Departements Chronische Entzündung und Krebs am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. „Doch das Medikament gegen den Leberkrebs wird es nicht geben. Die Entwicklung geht auch bei dieser Krebsart in Richtung personalisierte Medizin – oder besser in Richtung eines selektiven Einsatzes von Medikamenten: So wie die AURKA-Inhibitoren wahrscheinlich bei bestimmten Patienten funktionieren werden, wird es zukünftig noch weitere Medikamente geben, die jeweils bei anderen Patienten-Subgruppen ihre Wirkung entfalten.“