Ein Medikament, das eigentlich gegen Knochenschwund eingesetzt wird, könnte das Auftreten von genetisch bedingtem Brustkrebs verhindern. Der Wirkstoff Denosumab blockiert zwei Knochenproteine, die auch das Wachstum von Krebszellen fördern.
Frauen mit einem mutierten BRCA1-Gen haben ein sehr hohes Risiko, an Brustkrebs zu erkranken und das oft schon in jungen Jahren. Ihnen wird deshalb geraten, ihre Brüste regelmäßig mithilfe einer Magnetresonanztomographie (MRT) untersuchen zu lassen. Auch eine vorbeugende Entfernung beider Brüste ist möglich, wird aber in den zurzeit gültigen Leitlinien nicht ausdrücklich empfohlen. Zukünftig könnten die von der Mutation betroffenen Frauen vielleicht noch von einer anderen Präventivmaßnahme profitieren. Denn Josef Penninger, wissenschaftlicher Direktor vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien, und seinem Team gelang nun der Nachweis, dass die Blockade der beiden Proteine RANK und RANKL, die im Knochenstoffwechsel eine wichtige Rolle spielen, diesen genetisch bedingten Brustkrebs weitgehend verhindern könnte. Wie die Wissenschaftler in einem Artikel im Fachmagazin Cell Research schreiben, eröffnen die Ergebnisse ihrer Studie neue Wege, um Frauen mit einer BRCA1-Mutation effektiv vor Brustkrebs zu schützen. Das BRCA1-Gen trägt die Bauanleitung für ein Protein, das normalerweise Schäden im Erbgut beseitigt. Wenn eine mutierte Kopie des Gens vorliegt, erhöht sich nicht nur das Erkrankungsrisiko für Brustkrebs, sondern auch für Eierstockkrebs.
Penninger und seine Mitarbeiter hatten bereits vor einigen Jahren entdeckt, dass RANK und RANKL nicht nur eine Schlüsselposition in der Regulation des Knochenumbaus einnehmen, sondern dass sie auch mit Sexualhormonen interagieren und dadurch Bruststammzellen ein Signal gesendet wird, das diese zur Teilung anregt. Das geschieht normalerweise während des Menstruationszyklus oder während einer Schwangerschaft. Manchmal gerät dieser Mechanismus jedoch außer Kontrolle und es kommt zu einem ungeregelten Wachstum der Zellen. „Das scheint eines der fundamentalen Prinzipen zu sein, wie Brustkrebs entsteht“, sagt Penninger. Im Rahmen der aktuellen Studie wollten er und sein Team herausfinden, ob RANK und RANKL auch bei Brustkrebs, bei dem ein mutiertes BRCA1-Gen vorliegt, verantwortlich sind dafür, dass die Krankheit überhaupt ausbricht. Die Forscher verglichen deshalb das Wachstumsverhalten von Brustzellen bei zwei verschiedenen Gruppen von Mäusen, die beide ein mutiertes BRCA1-Gen trugen. Bei einer Gruppe waren RANK und RANKL aktiv, bei der anderen blieben sie aufgrund einer genetischen Blockade inaktiv. Die Brustdrüsen entwickelten sich bei allen Mäusen zuerst normal.
Doch als diese ein Alter von vier Monaten erreicht hatten, fand Penningers Team deutliche Unterschiede im Brustgewebe der Tiere: In der Gruppe mit funktionierendem RANK und RANKL hatten sich bei sehr vielen Mäusen Karzinomvorstufen und bei einigen Mäusen sogar Karzinome gebildet. In der Gruppe mit inaktivem RANK und RANKL kam es nur bei wenigen Mäusen zu Karzinomvorstufen und bei keiner Maus zu einem Karzinom. Diese Ergebnisse bestätigten sich, als die Forscher bei Mäusen mit der BRCA1-Mutation die Funktion von RANKL mit einem pharmakologischen Inhibitor ausschalteten: Auch bei den so behandelten Tieren traten maligne Veränderungen des Brustgewebes später und wesentlich seltener auf als bei Tieren, die keinen RANKL-Inhibitor erhalten hatten. Gesundes Brustgewebe einer Maus mit BRCA1-Mutation und blockiertem RANK/RANKL © J. Penninger Anschließend wollte Penningers Team überprüfen, ob sich die Ergebnisse aus dem Tiermodell auf den Menschen übertragen lassen. Deswegen isolierten die Forscher Zellen aus dem Brustgewebe von Frauen, die sich wegen ihrer BRCA1-Mutation einer präventiven Brustamputation unterzogen hatten. Sie blockierten in diesen Zellen RANKL mit dem bereits zugelassenen Antikörper Denosumab – mit der Folge, dass die Zellen weniger gut wuchsen und sich ausbreiteten.
Auch bei Brustkrebs-Patientinnen konnten die Forscher einen signifikanten Zusammenhang zwischen mutiertem BRCA1-Gen und den Proteinen RANK und RANKL feststellen: Nur in den Krebszellen der Frauen mit der genetischen Veränderung ließen sich große Mengen der beiden Proteine nachweisen. Unabhängig von Penninger und seinem Team kamen fast zeitgleich Forscher um Geoff Lindeman vom Walter and Eliza Hall Institute of Medical Research in Melbourne zu sehr ähnlichen Ergebnissen, die die Wissenschaftler kürzlich in einem Artikel im Fachmagazin Nature Medicine veröffentlicht haben. Brustgewebe mit malignen Veränderungen einer Maus mit BRCA1-Mutation und aktivem RNAK/RANKL © J. Penninger Penninger will nun einen Schritt weiter gehen und die Wirksamkeit einer Anti-RANKL-Prävention bei gesunden Trägerinnen mit einer BRCA1-Mutation testen. Im Rahmen einer über fünf Jahren laufenden klinischen Studie sollen deshalb rund 2.000 Teilnehmerinnen zweimal jährlich Denosumab erhalten. Mit großen Nebenwirkungen rechnet Penninger nicht, da der Antikörper in dieser Dosierung mit guter Verträglichkeit bereits bei Osteoporose-bedingtem Knochenschwund eingesetzt wird.
Auch bei Brustkrebs-Patientinnen, die nach der Ersttherapie adjuvant mit Tamoxifen behandelt werden und dadurch vermehrt Knochenbrüche erleiden, konnte der Einsatz von Denosumab dieses Risiko stark verringern und das mit relativ wenigen Nebenwirkungen, wie eine Studie im vergangenen Jahr deutlich machte. Interessanterweise kehrte bei den Teilnehmerinnen, die mit Denosumab behandelt wurden, der Krebs seltener zurück als bei denjenigen, die diesen Wirkstoff nicht erhalten hatten. Aufgrund der relativ kurzen Studiendauer verfehlte dieses Ergebnis allerdings knapp die Grenze zur Signifikanz. „Alles in allem stimmen mich unsere Ergebnisse und die Daten der anderen Studien sehr optimistisch, dass die Behandlung mit Denosumab ein enormes Potenzial für die Prävention von Brustkrebs haben wird – vermutlich nicht nur bei Trägerinnen einer BRCA1-Mutation sondern auch bei anderen Frauen mit einem hohen Risiko für Brustkrebs“, sagt Penninger. Andere Experten sprechen sich ebenfalls für eine klinische Erprobung von Denosumab zur Prävention von Brustkrebs aus: „Wir können zwar mittlerweile viel machen, wenn der Krebs ausgebrochen ist. Dennoch ist Prävention vor allem dann die bessere Alternative, wenn mit geringen oder gar keinen Nebenwirkungen zu rechnen ist“, sagt Marcus Schmidt, Leiter der Abteilung für Konservative und Molekulare Gynäkologische Onkologie der Universitätsmedizin Mainz. „Auch wenn der Schritt vom Tiermodell zur funktionierenden Therapie fast immer sehr mühsam ist und oftmals scheitert, scheinen aufgrund der vorliegenden Ergebnisse die Chancen relativ hoch zu sein, dass der vorbeugende Einsatz von Denosumab Frauen mit einer BRCA1-Mutation einen wirksamen Schutz vor Brustkrebs bieten könnte.“