Ein Test zeigt, wie leicht es ist, Privatrezepte zu fälschen und bei Versandapotheken einzulösen. Bessere Vordrucke oder elektronische Verordnungen könnten das Problem über Nacht lösen. Nur spielt der Gesetzgeber auf Zeit.
Patienten machen aus unterschiedlichen Gründen teilweise einen großen Bogen um Arztpraxen oder Apotheken. Teilweise sind sie medikamentenabhängig, teilweise schämen sie sich, mit Tabuerkrankungen in die Sprechstunde zu gehen. Und nicht selten empfinden sie den Weg, per Mausklick an ihre Medikation zu kommen, als weniger aufwändig. Vorschläge bei Suchmaschinen wie Google zeigen, dass etliche User im Web nach vermeintlich guten Arzneimittelquellen recherchieren. Screenshot: DocCheck Marktforschern von testbericht.de ging es aber nicht um dubiose Versandapotheken jenseits europäischer Grenzen. Sie wollten zeigen, wie unsicher Privatrezepte tatsächlich sind.
Bei einer Onlinedruckerei wurden professionell aussehende Privatrezepte inklusive Arztstempel bestellt. Kontrollen gab es dabei nicht. Alle Informationen waren frei erfunden – wohlgemerkt ohne Telefonnummer, die Apothekern ihre Kontaktaufnahme erleichtern sollte. Die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) definiert in Paragraph 2 verpflichtende Details. Im nächsten Schritt wurden mehrere Vordrucke handschriftlich ausgefüllt. Eine Testperson versuchte, Rx-Präparate zu bestellen. Acht von zehn Versandapotheken lieferten unter anderem Viagra®, Dolomagon®, Deltaran®, Lorazepam, Vigil®, Fluoxetin, Gabapentin beziehungsweise Hydrocortison. Nur zwei Anbieter stolperten über absichtlich eingebaute Fehler und verweigerten jegliche Lieferung. Es handelt sich zwar um eine kleine, nicht repräsentative Stichprobe. Dennoch zeigt testbericht.de grundlegende Fehler im System auf.
Udo Sonnenberg, Sprecher des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA), weist darauf hin, dass gefälschte Privatrezepte Präsenzapotheken genauso betreffen. Zu einer anderen Einschätzung kommt Dr. Peter Sandmann, Apothekenleiter aus München. Bei ihm stellen manipulierte Privatverordnungen kein großes Problem dar. „Ich denke aber, dass sich Fälscher aufgrund der Peinlichkeit beim Erwischtwerden eher an ‚anonyme‘ Versandapotheken wenden.“ „Wie soll eine Apotheke – egal ob Präsenz- oder Versand-Apotheke – blitzschnell ohne entsprechend vorhandene, zentrale Datenbanken z. B. aller verschreibungsberechtigten Personen in Deutschland vermeintlich ‚richtige‘ Angaben prüfen können?“, fragt Sonnenberg. Im Ergebnis des Tests sieht er einen weiteren Beleg für die Dringlichkeit, elektronische Rezepte rasch umzusetzen. „Wenn das schnell kommt, muss der Gesetzgeber auch nicht vorher noch einmal umständlich etwas regeln“, ergänzt der BVDVA-Sprecher. „Die Kontrollprozesse bei den Versendern – und das können wir für unsere Mitglieder sicher sagen – sind ausreichend und umfassend. Aber: Etwas zu kontrollieren, was derzeit nicht kontrollierbar ist, kann niemand ernsthaft verlangen.“
Um die Lage vor Ort zu erkunden, sprach DocCheck auch mit Konstantin Primbas, Inhaber von Aponeo. Er nennt eine Reihe von Indikatoren für mögliche Manipulationen. „Wir sind bei bestimmten Produktgruppen besonders für mögliche Fälschungen sensibilisiert – vor allem dann, wenn es ein erhöhtes Missbrauchspotenzial gibt.“ Das sei bei Schmerz-, Beruhigungs- und Schlafmitteln der Fall. Auch die Erfahrung von Apothekern spiele eine entscheidende Rolle. Primbas dazu: „Bei APONEO handeln wir aber ganz allgemein für jedes Medikament nach dem Grundsatz: Lieber schauen wir dreimal auf ein Rezept und rufen dann noch beim entsprechenden Arzt an, ob auch wirklich alles plausibel ist, als dass wir hier einen Fehler machen.“ Tatsächlich gefälschte Privatrezepte seien in diesem Jahr nur zwei Mal auf dem Schreibtisch gelandet.
Andere Kollegen aus dem süddeutschen Raum haben weitaus häufiger mit Verordnungen Marke Eigenbau zu kämpfen. Nur welche Lösungen sind denkbar? Konstantin Primbas bewertet das elektronische Rezept als „Meilenstein“. „Allerdings diskutieren Politik und Fachöffentlichkeit schon sehr lange darüber. Und die Diskussion hält weiter an.“ Derzeit nennt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) keinen Termin, bis wann mit E-Rezepten zu rechnen ist. „Insofern würde es sich lohnen, wenn der Gesetzgeber in Sachen Fälschungssicherheit aktiv wird, während wir auf das elektronische Rezept warten“, so Primbas. Peter Sandmann schlägt vor, das blaue Muster 16 als verpflichtendes Format für Privatrezepte einzuführen. Auch ein ABDA-Sprecher verweist auf diesen bereits vorhandenen, standardisierten Vordruck. Muster 16-Vordruck ("blaues Privatrezept"). Quelle: Wikipedia Er ergänzt: „Gesetzgeberische Initiativen zur Anpassung der AMVV gibt es immer wieder, um nicht zuletzt auch die Sicherheit des Arzneimittelverkehrs auf aktuellem Niveau zu halten. Die ABDA hat sich zuletzt in ihrer Stellungnahme am 10. Juni 2016 in diese Diskussion eingebracht.“ Jetzt liegt der Ball beim Gesetzgeber.