Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse variiert die Zahl der Blinddarm-OPs bei Kindern unter 15 Jahren deutlich von Region zu Region. Ihr Vorwurf: Zu viele überflüssige Eingriffe. Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie hält die Kritik für voreilig.
Im Jahr 2014 wurde bei etwa 18.000 Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren eine Blinddarm-Operation vorgenommen – davon waren etwas mehr als die Hälfte Jungen. Das ergab die Auswertung von Daten des Statistischen Bundesamtes durch die Techniker Krankenkasse (TK). Auffällig daran sind die regionalen Unterschiede. Während in Bremer Krankenhäusern auf 100.000 Heranwachsende 95 Blinddarm-Operationen kamen, waren es in Nordrhein-Westfalen 183 und in Bayern 208. Als Ursache legt die TK überflüssige Eingriffe nahe.
„Um diese regionalen Unterschiede seriös interpretieren zu können, braucht man die kompletten Daten der Patienten“, sagt Dr. med. Tobias Schuster, Chefarzt der Kinderchirurgie am Klinikum Augsburg und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH). Erforderlich sei etwa die Angabe, bei wie vielen der entnommenen Blinddarmfortsätzen sich die Diagnose „Entzündung“ bei der Untersuchung des Gewebes, Histologie, auch bestätigt habe. Bei der Veröffentlichung der TK fehle zudem der Überblick über sämtliche im Vergleichszeitraum mit Verdacht auf Blinddarmentzündung vorgestellte Kinder: „Wie viele von ihnen sind ohne Operation als geheilt entlassen worden, wie viele tatsächlich operiert und wie viele davon quasi „zu spät“, also mit fast oder ganz durchbrochenem Blinddarm?“, so Schuster. Wichtig sei auch zu erfassen, welcher diagnostische Aufwand der Operation vorangegangen ist: „Sind die operierten Kinder vorher stationär aufgenommen worden, und ist der Verlauf ihrer Beschwerden engmaschig kontrolliert worden, bevor es zu einer OP-Entscheidung kam?“
In der Kinderchirurgie gelte in besonderem Maße der Grundsatz, Operationen nur dann durchzuführen, wenn sie wirklich sein müssen, so der Experte weiter. „Kinderchirurgen betreiben ganz bewusst einen großen Aufwand und beobachten die betroffenen Kinder über Stunden, manchmal Tage in der Klinik, ob die Entzündung wieder abklingt“, betont er. Hierfür werde auch hochauflösender Ultraschall eingesetzt, eine CT kommt wegen der Strahlenbelastung nicht infrage. Der Lohn der Mühen: „Oft können wir die Kinder auch ohne Operation wieder entlassen.“ Die größte Schwierigkeit sei jedoch, den richtigen Zeitpunkt zwischen „nicht zu früh“ und „nicht zu spät operieren“ zu erwischen. Denn „Appendizitiden können tückisch und unvorhersehbar sein“, so Schuster.
Im Zweifel müsse man die Risiken eines weiteren Abwartens gegenüber den Risiken der OP, die ein Routineeingriff sei, abwägen, so Schuster. Ein gewisser Anteil an Negativhistologien, wo sich eine Appendizitis im Nachhinein nicht bestätigt, sei deshalb unvermeidbar. Dank modernster Diagnostik liegt die Rate im Klinikum Augsburg beispielsweise bei fünf bis sechs Prozent.
„Zu behaupten, hier würde überflüssigerweise operiert – womöglich um mehr Gelder in die Krankenhauskassen fließen zu lassen – ist absolut voreilig“, fasst Professor Dr. med. Bernd Tillig aus Berlin, Präsident der DGKCH und Chefarzt der Kinderchirurgie am Klinikum Vivantes in Berlin, zusammen. „Und wir sind die ersten, die an seriösen Ergebnissen interessiert sind.“