Jeden Tag sehe ich schwerverletzte Patienten, Patienten mit Schmerzen und Patienten, die verzweifelt sind. Aber heute fällt es mir schwer, die Distanz zu bewahren. Die Patientin ist 16 Jahre alt. Ihre Arme sind mit Narben übersät. Dieses Mal müssen ihre Wunden am Bein versorgt werden.
Sie ist ein schwarz gekleidetes Häufchen Elend, das nicht mit mir spricht. Eingepackt in einen dicken Pullover, lange Hosen, der Blick ist auf den Boden gesenkt.
Sie sitzt nun das dritte Mal in meiner Notaufnahme. Vor vier Wochen habe ich sie zum erste Mal gesehen. Auch bei den Kollegen ist sie schon vorstellig geworden. Ihre Unterarme und die Innenseiten der Oberarme sind reine Narbenplatten. An mehreren Stellen verbunden, verplastert und genäht. Die Wunden heilen primär, viele sekundär.
Heute ist es der Oberschenkel. Frischere und ältere Wunden. Eine sehr tiefe, die ich nähen muss. Die Stimmung, die von der Patientin ausgeht, ist düster. Kontakt zu ihr aufzunehmen, ist schwierig. Meist erhalte ich Informationen von ihren begleitenden Betreuern der Psychiatrie.
Auch der andere Oberschenkel ist betroffen. Das 16-jährige Mädchen hat kaum mehr unverletzte Haut an ihrem Körper. Es fällt mir schwer, meine Emotionen zurückzuhalten. Trauer, Wut, Verzweiflung, Mitleid, Erschrecken, Resignation. Nur der Arbeitsalltag und die Erfahrung lehrt mich, Distanz zu bewahren. Wir versorgen sie, so gut wir können.
Ich gestehe, dass ich froh bin, mich nur um die äußeren Verletzungen kümmern zu müssen. Danke für eure Arbeit, liebe Psychologen und Psychiater.