Herr Wagner kommt zum wiederholten Mal mit einer akuten Sinusitis in meine Praxis. Seine Symptome sind klassisch: Die Nase schwillt zu, er schnäuzt eitriges Sekret und hat ein Druckgefühl über dem Oberkiefer. Wer diese als banal abtut, riskiert schwerwiegende Komplikationen.
Der Hausarzt von Herr Wagner hat sich meist für ein Antibiotikum entschieden. Aber nach rascher Besserung kam es nach wenigen Monaten immer wieder zu erneuten Beschwerden. Zuletzt hatte er ein Druckgefühl im Bereich der Stirn behalten. Jetzt sollte der Facharzt helfen.
„Seit zwei Tagen nehme ich jetzt Nasenspray, Schleimlöser und dieses Antibiotikum! Es geht schon besser, aber warum bekomme ich das immer wieder?“ , fragt mich Herr Wagner. Ein einfacher Fall, denn die Therapie ist schon fachgerecht begonnen.
„Machen Sie jetzt einen Ultraschall?“, möchte Herr Wagner erwartungsvoll wissen. Man könnte meinen, Ultraschall könne zur Heilung beitragen.
„Herr Wagner, diese Untersuchung ist heute unnötig! Ich kann den Eiter in der Nase sehen, sie merken die Beschwerden im Kiefer. Ich kann Ihnen so sagen, was man im Ultraschall sehen kann: eine Entzündung der Nebenhöhlen!“, entgegne ich.
„Und warum bin ich dann hier?“
„Wir wollen herausbekommen, warum sie immer wieder diese Nebenhöhlenentzündung bekommen. Also kurieren Sie diese akute Sinusitis aus und wir sehen uns danach in einer CT-Darstellung an, welche Befunde im beschwerdefreien Intervall zu erkennen sind.“
„Dann machen Sie jetzt gar nichts?“
„Nein, Sie bekommen eine Überweisung zum Radiologen mit und machen dort einen Termin in drei bis vier Wochen aus, wenn es Ihnen wieder gut geht. Dann sehen wir, ob Sie eine chronische Entzündung haben, die immer wieder aufflammt.“
Sinusitis, früher nicht selten eine dramatische Diagnose
Die allgemeinen gesundheitlichen Bedingungen haben sich in unseren Breiten in den letzten zwei bis drei Jahrhunderten in vielen Punkten deutlich verbessert. Trotzdem sollten wir auch heutzutage einige Erkrankungen nicht aus den Augen einer intensiven Beobachtung und Behandlung verlieren.
Ist denn eine akute oder chronische Sinusitis immer harmlos?
Klassischer Fall einer rhetorischen Frage. Natürlich nicht! Im HNO-Bereich fallen mir einige Beispiele ein, die mir selbst in meiner Laufbahn begegnet sind:
Akute Sinusitis:
Otitis media
Pharyngitis
Sinusitis
Grundlagen
Vorab: Eine reine Entzündung der Nasenhaupthöhle gibt es nicht. Wir sollten immer das System Nase/Nasennebenhöhle betrachten, also eine Rhinosinusitis.
Dazu sollten wir uns vergegenwärtigen, welche topographische Nähe die einzelnen Nasennebenhöhlen haben und wir ihr jeweiliger Abfluss angelegt ist.
Sinus maxillaris:
Sinus frontalis:
Sinus sphenoidalis:
Sinus ethmoidales:
Es braucht nicht viel Phantasie, um aus diesen anatomischen Fakten zu schlussfolgern, welche Komplikationen entstehen können.
Therapieoptionen: Virusinfektionen:
Da die meisten Rhinosinusitiden virale Infektionen als Ursache habe, beschränkt sich die Therapie auf eine Verbesserung des Schleimabflusses und der Schleimkonsistenz, also abschwellendes Nasenspray und (pflanzliche) Schleimlöser, gerne auch weitere Befeuchtung mit Pflegesprays, Inhalation und Nasendusche. Eine spätere bakterielle Besiedlung ist möglich, also Patienten aufklären.
Eine virale Sinusitis ethmoidalis kann im Einzellfall zu einer bleibenden Riechstörung führen. Dies ist mit weiteren Therapien oft nicht mehr reversibel.
Bakterielle Infektionen:
Selbst eine unkomplizierte bakterielle Sinusitis maxillaris muss man nicht mit einem Antibiotikum behandeln. Komplikationen sind selten und meist nicht schwerwiegend, durch abschwellendes Nasenspray lässt sich der Abfluss meist ausreichend verbessern.
Anders sieht das bei Infektionen der übrigen Nebenhöhlen aus. Wenn also der Patient über Druck über der Stirn oder den Augen klagt, gilt es Risiken abzuwägen:
seltene Unverträglichkeit gegenüber dem Antibiotikum
versus
sehr seltene aber schwerwiegende Komplikation.
Falls es trotz dieser Maßnahmen zu einer Zunahme der Schwellung, Schmerzen oder gar einer Eintrübung kommen sollte, wird in einer HNO-Abteilung nach einer sofortigen Bildgebung, meist CT, eine dieser massiven Komplikationen im Bereich der Augenhöhle und Gehirn erkannt und sofort operiert.
Chronische Sinusitis:
Grundsätzlich sind sich alle Ärzte, Therapeuten und Patienten einig: Eine chronische Entzündung ist nicht gut! Und das hat seine Gründe:
Können wir denn wirklich ausschließen, dass eine chronische Sinusitis, die sich vielleicht sogar mehrmals im Jahr aktiviert, auf Dauer zu einer Endokarditis, Perikarditis, Myokarditis, einer Glomerulonephritis, rheumatischem Fieber oder diversen Hauterkrankungen führen kann?
Zudem sollte man lokale Komplikationen nicht unterschätzen, die sich auf das Auge und über das Riechorgan mit ihren Riechfäden zum Gehirn und natürlich die Blutversorgung auswirken können.
Eine Einschätzung hierbei erfolgt durch eine gründliche Untersuchung beim HNO- Arzt. Dieser kann anhand der Anamnese und des Lokalbefundes und in begründeten Fällen mit einer CT- Aufnahme der Nasennebenhöhlen das Risiko von Komplikationen einschätzen.
Natürlich ist eine kleine Zyste am Boden einer Kieferhöhle, sofern sie die Oberkieferzähne nicht beeinträchtigt, kein Operationsgrund. Eine Schwellung in Form einer Mukozele im Siebbein schon. Denn diese kann durch meist langsames verdrängendes Wachstum Nachbarstrukturen beeinträchtigen und auch durch Abschwemmen von Krankheitserregern zu Infektionen in der Nähe und Ferne führen. Welche Risiken dies für einige spezielle Augenerkrankungen ergeben, ist noch nicht komplett erforscht. Aber sicherlich kann man nicht alle Augenerkrankungen in Zusammenhang mit den Nebenhöhlen bringen, immerhin hat das Auge eine eigene arterielle Blutversorgung. Und ob sich über den venösen Rückfluss Kranheitserreger „gegen den Strom“ ins Auge begeben ist zumindest sehr fraglich.
Herr Wagner in den OP, bitte
Als ich mir die CT-Bilder des Herrn Wagner ansah, die wie geplant im symptomfreien Intervall angefertigt wurden, war die Ursache offensichtlich. Eine polypöse Schleimhautschwellung hatte sich im gesamten Siebbein festgesetzt und behinderte die Belüftung und Schleimdrainage gleich mehrerer Nebenhöhlen auf beiden Seiten. Jetzt war nicht die Frage, ob, sondern wann es die nächste akute Entzündung geben werde.
Nach einem negativen Allergietest gingen wir die Therapie an. In diesem Fall ein topisches Corticoid und intensive Nasenschleimhautpflege mit Nasendusche. Leider führte dies zu keiner Besserung, so dass ultima ratio eine Operation den gewünschten Erfolg bringen muss. Ein Eingriff mit kalkulierbarem niedrigem Risiko anstelle der Sorge, dass sich aus einer fulminanten akuten Sinusitis eine unkalkulierbare Notsituation ergeben könnte.