Mit dem Thema HIV und AIDS habe ich mich schon vor Jahren erstmals befasst, durch ein Jugendbuch, in dem sich eine 15jährige in einen HIV-positiven jungen Mann verliebt hat. Aber einen Menschen kennengelernt, der an diesem schrecklichen Virus erkrankt ist, habe ich bisher nicht. Das soll sich heute ändern.
Mit dem Thema HIV und AIDS habe ich mich schon vor Jahren erstmals befasst, durch ein Jugendbuch, in dem sich eine damals 15jährige (und das war für mich alt – was war ich jung!) in einen HIV-positiven jungen Mann verliebt hat. Was mich damals am meisten beeindruckte, war einerseits das unaufhaltsame Fortschreiten der Erkrankung – vor der Zeit der antiretroviralen Medikamente – andererseits der „acquired“ Teil des „Acquired Immundeficiency Syndroms (AIDS)“: man war tatsächlich selbst für seine Infektion verantwortlich. Einen so weitreichenden Fehler zu begehen, und dann mit den Konsequenzen zu leben, beziehungsweise früher sterben zu müssen, das stellte ich mir schrecklich vor. Die körperliche Lust, die einen in manchen Situationen eher emotionale als rationale Entscheidungen treffen lässt, kannte ich damals noch nicht; sie macht das Ganze natürlich noch viel schwieriger.
Dann sind da Filme: „Kids“ über Jugendliche in New York (unbedingt empfehlenswert, wenn auch mit der Warnung, dass die Bilder durchaus der Verdauung bedürfen...), „Million Dollar Baby“, der vom illegalen Handel mit den ersten HIV-Medikamenten erzählt, und der gerade letztes Jahr erschienene „120 Minutes“, in dem es um die Aktivistengruppe „Act Up“ geht, die sich in Paris für die Bereitstellung neuer Forschungsergebnisse durch Pharmafirmen, Aufklärungskampagnen und Rechte von HIV-positiven Patienten einsetzte. Außerdem natürlich der Sexualunterricht in der 10. Klasse, in der wir Kondome über Bananen stülpen durften; und die Aufklärungskampagnen auf deutschen Bahnsteigen.
Aber persönlich kenne ich bisher (zum Glück) keinen Erkrankten, und so ist der Besuch in der HIV-Sprechstunde etwas ganz Besonderes. Wie muss es sich anfühlen, mit einer Virusinfektion zu leben, die ohne Medikamente immer tödlich verläuft?
Francesco* ist geduldig, still sitzt er neben seinem Partner Luigi und wartet, bis dieser seine aktuellen Probleme, die er als Nebenwirkungen seiner Medikamente einstuft, mit Dr. Miller besprochen hat. Wiederkehrende Muskelschmerzen sind es vor allem, die Luigi plagen, und als der Arzt ihn darauf aufmerksam macht, dass diese schon beim Besuch vor 4 Jahren besprochen wurden, ist Luigi verdutzt. Er hätte schwören können, dass die Beschwerden erst seit dem letzten Medikamentenwechsel begonnen hätten! Ob es sein könne, dass die Schmerzen auch von der seelischen Belastung durch seinen krebskranken Vater verstärkt werden? Luigi zuckt die Schultern – vielleicht? Dr. Miller zeigt Verständnis (obwohl er sich wenig Erfolg erhofft und dies auch klar kommuniziert) und verschreibt Luigi wieder seine alten Medikamente. Francesco wendet sich zu mir, als das Paar endlich Plätze wechselt – „von mir lernst du nicht so viel, bei mir ist immer alles in Ordnung, mir geht es gut“. Und tatsächlich geht das Gespräch diesmal sehr fix voran: Francescos Laborwerte werden besprochen (stabil), seine Nebenwirkungen (keine), die regelmäßige Medikamenteneinnahme (selbstverständlich, verlässlich wie immer). Wie gut, dass es inzwischen so gut wirkende Medikamente für diese schreckliche Erkrankung gibt. Natürlich: Wie in jedem anderen Gebiet der Medizin geht jeder Patient anders mit seinem Leiden um, ist die Aufmerksamkeit auf mögliche Symtpome und der damit verbundene Leidensdruck unterschiedlich hoch. Doch Dr. Miller kennt seine Patienten gut, gekonnt geht er auf jeden Einzelnen ein, und mit diesem Paar ist er zufrieden.
Dank der modernen Medizin haben HIV-Infizierte heute eine nahezu normale Lebenserwartung – in Ländern, in denen die Therapien kostenlos zugänglich sind, bei guter Compliance. Immer? Nein: Letzte Woche habe ich einen Patienten an den Folgen seiner unerkannten, und daher nicht therapierten, AIDS-Erkrankung sterben sehen. Stark geschwächt durch Wasting-Syndrom (rapider Gewichtverlust) und mit extrem schwacher Immunabwehr konnte selbst die aggressive Therapie auf unserer Intensivstation den Patienten nicht vor seiner Pneumocystis jirovecii Pneumonie retten... Rechtzeitig erkennen und behandeln ist auch bei HIV-Infektionen extrem wichtig; und so werden in dieser Sprechstunde auch kostenlose HIV-Tests angeboten.
Außerdem gibt es Informationen über PrEP - Prä-Expositions-Prophylaxe: Die in der HIV-Therapie langjährig erprobten Wirkstoffe werden entweder täglich oder bei Bedarf (in Deutschland nicht zugelassen), also vor und nach Risiko-Sexualkontakten eingenommen und verhindern so zu 90% eine Ansteckung mit dem HI-Virus. Und der wissenschaftliche Fortschritt lässt auf mehr hoffen - ein Impfstoff ist entwickelt und wird gerade getestet, Ergebnisse sind für 2021 erwartet (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/96316/Neuer-HIV-Impfstoff-erzielt-robuste-Immunitaet-bei-Affen-und-Menschen).
*Alle Namen sind geändert.
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