Früher habe ich einen Panzer angelegt, bevor ich zum Nachtdienst in die Klinik ging. Nachts sind die Patienten aggressiver, man muss sich wappnen. Und trotzdem kann ich den Patienten heutzutage empathischer begegnen. Mutter zu sein hat mich etwas weicher gemacht.
Der kleine warme Rücken kuschelt sich an meinen Bauch. Der gemeinsame Mittagsschlaf am Wochenende ist ein schönes Ritual für das Kind und mich. Ich genieße diese zwei Stunden, der Schlaf ist tief und fest. Meist weckt mich das strampelnde Kind, indem eine Hand auf meiner Nase oder ein Fuß in meinem Unterbauch landet. Weniger Genuss, mehr Schmerz. Aber das lächelnde Kindergesicht tröstet mich sofort.
Der Schlaf ist wichtig für mich. Denn auch an diesem Wochenende werde ich nachts wieder arbeiten müssen. Ohne den Mittagsschlaf schaffe ich es nicht. Das Kind übrigens auch nicht, ein Glück.
Pöbelnde Alkoholiker und beißende Demente
Die Nachtdienste in den Krankenhäusern sind schon längst keine Bereitschaftsdienste mehr. Das Patientenaufkommen ist zu hoch. Aber eine Konsequenz wird bisher nicht gewünscht. Die Umstellung auf ein Schichtsystem möchte keiner. Also geben wir uns mit wenig Schlaf zufrieden.
Wenn ich abends das Haus verlasse, lege ich meinen Mutter-Umhang nicht ab. Ich ziehe ihn vielleicht etwas fester um mich. Die Arbeit in meinem Fachbereich erfordert Konzentration, Genauigkeit und Distanz. Neutralität, die Reduktion auf Fakten und Notwendigkeiten ist wichtig.
Nachts treffe ich auf pöbelnde Alkoholiker, aggressive Boxer, ungeduldige Angehörige und kratzende, beißende Demente. Die Nervenenden sind angespannt, die müden Patienten verlieren oft ihre Hemmungen. Passive und aktive Aggressionen sind im täglichen Umgang Normalität geworden.
Die Distanz, die Geduld, das selbstsichere, schnelle und ruhige Auftreten sind unumgängliche Qualitäten, die man hier als Ärztin braucht. Eine etwas dickere Haut schadet nicht.
Es ist nicht mehr alles schwarz-weiß
Aber einen Panzer? Den möchte ich nicht mehr. Vor einigen Jahren noch, war der Panzer Teil meines Arbeitslebens. Die Arbeitsatmosphäre, die Arbeitsbedingungen, die Forderungen, auch die Überforderungen in meinem Beruf, machten mich hart. Eine Entscheidung wurde getroffen – ja oder nein. Schwarz oder weiß.
Mit meinem Mutter-Umhang geht es mir anders. Der Panzer ist etwas weicher geworden. Ich sehe sehr viel häufiger den Menschen hinter dem Patienten. Die misshandelte Frau, das müde Kind, den traurigen Alkoholiker. Empathie, die ich früher nicht zugelassen hätte.
Mein Umgang mit den Patienten hat sich etwas verändert. Wahrscheinlich bin ich freundlicher, etwas geduldiger und nachdenklicher geworden. Vielleicht gibt es jetzt auch ein grau.