Kokosöl gilt als Superfood. Eigentlich. Die Äußerung einer Harvard-Professorin hat die Foodblogger und ihre Anhänger in Aufruhr versetzt. „Kokosöl ist reines Gift“, so äußert sich Karin Michels in einem Video vor einigen Tagen. Kurz darauf entschuldigt sie sich für ihre Aussage. Was stimmt denn nun?
Seit einiger Zeit gilt Kokosöl in der Ernährungs-Community als neues Superfood. Es gibt kaum einen Youtuber oder Foodblogger, der nicht von der gesundheitsfördernden Wirkung des vielseitig einsetzbaren Pflanzenfetts schwärmt. Angepriesen wird vor allem immer wieder seine einzigartige Nährstoff- und Fettsäurezusammensetzung mit vielen B- und E-Vitaminen. Diese sollen vor Zellalterung schützen, den Stoffwechsel ankurbeln und sogar das Wachstum von schädlichen Viren, Bakterien und Pilzen hemmen. In den Augen vieler wird es als ein gesundes und natürliches Lebensmittel betrachtet.
Großen Aufruhr löste deswegen ein vor Kurzem veröffentlichtes Video des Universitätsklinikums Freiburg aus. In dem Video möchte Frau Prof. Dr. Dr. Karin Michels, Direktorin des Instituts für Prävention und Tumorepidemiologie, über Kokosöl und andere Ernährungsirrtümer aufklären. Ihre dort getroffene Aussage „Kokosöl ist das reine Gift!“ beunruhigte viele Menschen. Laut Michels sei Kokosöl „eines der schlimmsten Lebensmittel“, die man überhaupt zu sich nehmen kann. Ihr Video wurde mittlerweile über 1,3 Millionen mal geklickt und heftig diskutiert.
Doch was ist dran an diesem Statement? Ist der Konsum von Kokosöl tatsächlich ein großes gesundheitliches Risiko oder wurde hier übertrieben und stark pauschalisiert?
Aufbau der Fette: gesättigt, ungesättigt, mehrfach ungesättigt
Um diese Frage zu beantworten, muss man sich zunächst ein paar chemische Grundlagen ins Gedächtnis rufen. Kokosöl zählt zu den Fetten. Diese wiederum bestehen aus langen Ketten von Kohlenstoffatomen mit einer Säuregruppe am Ende. Je nachdem wie nun die Kohlenstoffatomkette chemisch aufgebaut ist, unterscheidet man dabei gesättigte von ungesättigten Fettsäuren. Erstere weisen Einfachbindungen zwischen den Kohlenstoffatomen auf, letztere besitzen mindestens eine Doppelbindung. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren besitzen zwei oder mehr Doppelbindungen, einfach ungesättigte – wie der Name schon suggeriert – dagegen nur eine.
Gesättigte Fettsäuren wie die Stearinsäure haben Einfachbindungen zwischen den Kohlenstoffatomen. Credit: NEUROtiker / wikimedia / public domain
Ungesättigte Fettsäuren wie die Stearidonsäure besitzen Doppelbindungen zwischen den Kohlenstoffatomen. Credit: Edgar181 / wikimedia / public domain
Allgemein gilt in der Ernährungsmedizin die Annahme, dass ungesättigte Fettsäuren in Bezug auf das Herz-Kreislauf-System tendenziell gesünder sind als gesättigte. Dabei wird den mehrfach ungesättigten Fettsäuren im Gegensatz zu den einfach ungesättigten Fettsäuren eine noch günstigere Wirkung für die Gesundheit zugeschrieben, denn sie schließen auch die essenziellen Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren mit ein. Essenziell bedeutet in diesem Zusammenhang, dass unser Körper diese Fettsäuren selber nicht herstellen kann und daher auf ihre Zufuhr mit der Nahrung angewiesen ist.
Gesundheitsfördernde Effekt von ungesättigten Fettsäuren?
Worin aber liegt der gesundheitsfördernde Effekt von ungesättigten Fettsäuren? Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) fand 2010 in einer groß angelegten randomisiert kontrollierten Interventionsstudie mit über 13.600 Teilnehmern heraus, dass ein hoher Anteil an ungesättigten Fettsäuren zusammen mit einem niedrigen Anteil von gesättigten Fettsäuren in der Ernährung das Risiko für koronare Herzkrankheiten wie Herzinfarkte senkt.
Als Ursache dafür nimmt man laut DGE die Senkung des Cholesterolspiegels im Blut an. Amerikanische Forscher der Friedman School of Nutrition Science and Policy an der Tufts University fanden heraus, dass pro 1 mmol/l Senkung der Cholesterolkonzentration im Körper das Risiko für koronare Herzerkrankungen um 24 % sinkt. Auch andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Kürzliche veröffentlichte Metaanalysen zeigten außerdem, dass sich eine erhöhte Zufuhr von ungesättigten Fettsäuren positiv auf den Blutdruck und den Blutzuckerspiegel auswirkt.
Gesättigte Fettsäuren nicht durch Kohlenhydrate ersetzen
Gesättigte Fettsäuren sollten nun aber nicht per se verteufelt werden. Bei ihnen kommt es vor allem auf die Menge an. Eine Reduktion ihres Anteils in unserer Ernährung hat sich in verschiedenen Studien durch Senkung des Cholesterinspiegels ebenfalls als günstig für Herz und Gefäße erwiesen. Die American Heart Association (AHA) weist allerdings explizit daraufhin, dass die Reduktion des Anteils an gesättigten Fettsäuren nicht durch Kohlenhydrate, besonders raffinierten Zucker, ersetzt werden darf. Stattdessen sollte mit einer Erhöhung des Anteils an ungesättigten Fettsäuren ausgeglichen werden, da sonst der gesundheitsfördernde Effekt wieder zunichte gemacht wird. Von der DGE wird empfohlen, etwa 30 % des täglichen Energiebedarfs durch Fette zu decken, davon sollte jeweils ein Drittel aus gesättigten, einfach ungesättigten und mehrfach ungesättigten Fettsäuren bestehen.
Was hat das jetzt aber mit dem Kokosöl zu tun? Kokosöl hat von allen natürlich vorkommenden Fetten den größten Anteil an gesättigten Fettsäuren, nämlich 92 %. Dadurch ist es besonders lagerungsstabil, bei Raumtemperatur ist es nicht wie andere Öle flüssig, sondern fest. Wer gerne Eiskonfekt isst, kennt einen weiteren Vorteil des weißen Pflanzenfetts: Im Mund erzeugt es einen kühlenden Effekt, da es beim Zergehen auf der Zunge viel Schmelzwärme aufnimmt.
Kokosöl: „reines Gift“?
Ob es durch den hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren aber nun zum „reinen Gift“ für den Körper wird, wie Frau Prof. Michels in ihrem Vortrag behauptet, ist damit jedoch noch lange nicht geklärt.
Die Hälfte der gesättigten Fettsäuren des Kokosöls entfällt auf die mittelkettige Fettsäure Laurin, der Rest besteht aus Myrisitinsäure, Palmitinsäure und Ölsäure. Laurin zeigt in Studien eine Erhöhung des „schlechten“ LDL-Cholesterins, das Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen kann. Ebenso erhöht es aber auch den Anteil des „guten“ HDL-Cholesterins, das Herzinfarkten und Schlaganfällen wiederum vorbeugt. Das macht eine eindeutige Aussage dazu, ob Kokosöl gut oder schlecht für die Gesundheit ist, nicht möglich.
Kokosöl, also doch ein Unschuldslamm?
Nach wissenschaftlichen Arbeiten, die sich nicht nur allgemein mit den Wirkungen von gesättigten gegenüber ungesättigten Fettsäuren beschäftigen, sondern tatsächlich das Kokosöl selbst untersuchen, sucht man dagegen länger. In einer Studie von neuseeländischen Ernährungswissenschaftlern der Universität Otago fand man überraschenderweise heraus, dass Kokosöl das „schlechte“ LDL-Cholesterin sogar senkte. Verglichen wurde hier mit Ernährungsformen, die Butter als Fettquelle verwendeten.
Wissenschaftler der Touro University California kommen zu dem Schluss, dass man aufgrund der limitierten Datenlage nicht ausschließen könne, dass Kokosöl das LDL-Cholesterin gar nicht so negativ beeinflusse wie man bislang glaubte. Mit anderen Worten: Kokosöl ist vielleicht gar nicht so schlecht, wie man es aufgrund des hohen Anteils an gesättigten Fettsäuren erwarten würde. Zudem schreiben die Forscher, dass es immer mehr Hinweise darauf gibt, dass der Anteil von gesättigten Fettsäuren in der Ernährung je nach Art des Essens unterschiedliche Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-Risiko haben kann. Denn es spielen auch synergistische und individuelle Effekte eine Rolle.
Fest steht: Wir wissen wenig
Man kann also festhalten: Wir können die Wirkung von Fetten und Ölen allein auf Basis des Anteils der gesättigten Fettsäuren im Körper (momentan) nicht voraussagen. Die einzelnen Stoffwechselprozesse sind kompliziert und unverstanden und es gibt wenige Studien, die sich mit ihrer Aufklärung befassen. Außerdem spielt natürlich die konsumierte Menge immer eine wichtige Rolle. Ernährung ist so ein komplexes Thema, dass man einfache Aussagen wie „Das ist reines Gift“ nicht treffen kann.
Grundsätzliche Ernährungsempfehlungen wie zum Beispiel, dass ein gesundes Essen viel Gemüse, Fisch, Nüsse und wenig industriell verarbeitete Lebensmittel enthalten sollte, sind der Gesundheit zuträglich. Sicherlich ist es auch richtig, wenn man empfiehlt lieber Öle mit einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren (wie Rapsöl, Olivenöl, Sonnenblumenöl oder Leinsamenöl) zu sich zu nehmen.
Gehypten Ernährungstrends zu folgen oder sogar bestimmte Nahrungsmittel als Gift zu brandmarken, ohne dass dafür wissenschaftliche Grundlagen existieren, macht dagegen keinen Sinn. „Man muss das immer im Rahmen der gesamten Ernährung sehen – und auf die Menge und Zusammensetzung der Fette achten, die man aufnimmt“, erklärt Stefan Lorkowski, Ernährungswissenschaftler an der Universität Jena und Vizepräsident der DGE.
Kokosöl ist sicherlich kein Wundermittel
Auch das Universitätsklinikum Freiburg ist inzwischen nach heftiger Kritik von wissenschaftlichen Kollegen zurückgerudert. In einem kürzlich veröffentlichten Statement bezeichnen sie Michels Aussage als zu pointiert und zugespitzt. Weiter heißt es, die Direktorin des Instituts für Prävention und Tumorepidemiologie wollte die Menschen nicht verunsichern und sich für ihre unglückliche Wortwahl entschuldigen.
Richtig ist allerdings ihr Einwand, dass Kokosöl bei weitem nicht das Wundermittel ist, als das es von vielen gesehen wird. Hartnäckig hält sich beispielsweise die Annahme, dass das Öl beim einfachen Abnehmen helfe.
Der gute Ruf vom Kokosöl als Schlankmacher geht auf Studien der Ernährungmedizinerin Marie-Pierre St-Onge zurück. Aus den Ergebnissen ihrer Arbeiten leitete sie ab, dass mittelkettige Fettsäuren, die 6–10 Kohlenstoffatome besitzen (sogenannte MCTs = medium chain trigylcerides), Erwachsenen bei der Gewichtsreduktion helfen können. Im Gegensatz zu langkettigen Fettsäuren mit über 10 Kohlenstoffatomen werden sie schneller im Darm gespalten und vom Körper aufgenommen. Sie haben einen niedrigeren Energiegehalt als langkettige Fettsäuren und steigern den Energieverbrauch stärker als die üblichen Nahrungsfette.
MCT-Diät muss nicht sein
Eine genau definierte Diät mit einem dafür speziell hergestellten Kokosöl, das zu 100 % aus MCTs bestand, konnte laut den Arbeiten der Ernähungsmedizinerin helfen, den Körperfettanteil zu senken und mehr Energie zu verbrennen. Doch das normale auf dem Markt verfügbare Kokosöl enthält gerade einmal einen Anteil von 13–14 % an MCTs. Auch neuere Studien zeigen, dass gewöhnliches Kokosöl keinen Vorteil beim Abnehmen bietet.
Die DGE kritisiert außerdem die Arbeiten von St-Onge wegen zu kurzer Studiendauer, zu kleiner Patientenkollektive und Stichproben als wissenschaftlich unzureichend. Sie empfiehlt den Einsatz von MCTs nicht zur Unterstützung beim Abnehmen und setzt lieber auf eine ausgeglichene Energiebilanz. Die Energiemenge von 80–120 kcal pro Tag, die man durch die MCT-Diät durchschnittlich weniger konsumiere, ließe sich genauso durch den Verzicht eines zuckerhaltigen Getränks einsparen.
(K)eine Waffe gegen schädliche Mikroben?
„Kokosöl ist definitiv nicht das Wundermittel, für das viele es lange gehalten haben“ bestätigt auch Stefan Lorkowski. Die American Heart Association warnt, dass der Hype um Kokosöl eine Vermarktungsstrategie sei, die wissenschaftlich nicht gestützt werden kann. So ist beispielsweise auch die oft aufgestellte Behauptung, Kokosöl sei ein wirksames Mittel gegen Viren und Bakterien, mit Vorsicht zu genießen.
Studien an Tiermodellen und in vitro haben zwar gezeigt, dass besonders das Monolauringlycerat, das aus der im Kokosöl enthaltenen mittelkettigen Fettsäure Laurin entstehen kann, mitunter eine wachstumshemmende Wirkung auf schädliche Erreger hat. Doch am Menschen wurde dies bislang nicht nachgewiesen.
Zudem ist nicht bekannt, ob das untersuchte Monolauringlycerat überhaupt in ausreichender Menge aus der im Pflanzenöl enthaltenen Laurinsäure im Körper (also in vivo) hergestellt werden kann. Unklar ist dementsprechend auch, ob so ein antimikrobieller Schutz möglich ist.
Im Gegenteil: Bakterien und Viren fühlen sich in normalem Kokosöl, wie in so ziemlich allen Lebensmitteln, pudelwohl. Sie finden dort alle nötigen Stoffe für das Wachstum und sie können das Öl selbstverständlich auch verderben.
Am Ende des Tages dreht sich alles um Balance
Kokosöl ist also kein Allheilmittel, das bei Verzehr schlank oder gesund macht. Aber genauso unsinnig ist es, das Öl zu verteufeln. Wie immer gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift. Zu viel Fett ist schlecht, egal welches. Es kann nicht gesund sein, jeden Tag ein riesiges Glas voll Kokosöl zu löffeln. Genauso sagt einem aber auch der gesunde Menschenverstand, dass man nicht jeden Tag eine ganze Butter zum Frühstück verzehren sollte.
Doch wenn man den Geschmack von Kokos mag, gibt es keinen Grund nicht hin und wieder seinen Burger in dem weißen Pflanzenfett zu braten oder damit asiatische Gerichte zu verfeinern. „Der Mensch hat eine sehr hohe metabolische Flexibilität, sonst wäre er längst ausgestorben“, bekräftigt auch Stefan Lorkowski, „in kleinen Mengen ist natives Kokosöl bestimmt nicht schädlich“.