Ein junger Mann humpelt in mein Sprechzimmer. Er ist Student, knapp zehn Jahre jünger als ich. Sein Ego kennt aber bereits jetzt keine Grenzen. Er soll am Fuß operiert werden. Das passt ihm jetzt allerdings so gar nicht in den Kram. Und das zeigt mir der Charmebolzen deutlich.
Der junge Mann, knappe 10 Jahre jünger als ich, humpelt in mein Sprechzimmer. Eine Fußoperation soll er erhalten. Er hatte schon eine, weil er sich etwas gebrochen hatte. Jetzt soll das Metall raus. Auf mein „Mein Name ist Gramsel, ich bin Narkoseärztin“ antwortet er: „Mein Name ist Jonas, ich bin Student“.
Duzen geht gar nicht, sorry. Ich bleibe beim Sie.
Auch sonst ist er nicht besonders höflich. Er setzt sich auf den Stuhl – nein, das wäre der falsche Ausdruck – er lässt sich darauf fallen. Dann breitet er sich aus, spreizt seine Beine, sitzt fast im Spagat, lehnt sich zurück. Da kann ich nur Staunen über das Machogehabe. Zum Glück ist sein Hose lang genug, sodass sie keinen unnötigen Einblick gewährt.
Was glaubt er, wer er ist?
Auf meine Fragen antwortet er grundsätzlich mit einem Kopfschütteln, verbunden mit einem schnalzenden Geräusch. Antworten bekomme ich kaum. Die bemühte Respektlosigkeit, die aus jeder Pore trieft, regt mich auf.
„Wann bin ich dann wieder normal?“, will er schließlich wissen.
Du? Gar nicht. „Normal ist ein ganz schön weiter Begriff. Was meinen Sie genau?“
„Ja, ich mein, wann ich wieder normal denken kann.“
„Schwierig zu sagen, aber Sie sind wohl schon den Rest des Tages noch etwas müde.“
„Ich hab am Abend noch Prüfung.“
„Ach so. Das geht nicht. Sie sind an diesem Tag nicht urteilsfähig, wegen der Medikamente.“
Er lacht höhnisch. „Kann ich mir nich aussuchen, ne.“
„Sie könnten die Operation verschieben, die ist ja nicht dringend.“
„Hab ich kein Bock drauf.“
Motivation: Nicht seine Stärke
Ich hab auch keinen Bock, aber ich sitze trotzdem noch hier. „Nun, mehr als das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie können bis 24 Stunden nach der Operation keine Verträge unterschreiben und auch keine Prüfungen legal ablegen. Wir könnten eine Teilnarkose machen, dann würden Sie keine so stark wirksamen Medikamente erhalten.“
Jetzt lacht er laut, so richtig herablassend. „Sicher nicht. Erst recht kein Bock.“
Ich zucke mit den Schultern und schreibe auf den Bogen, den er mir unterschreiben muss: „Über Urteilsunfähigkeit bezüglich Prüfung am Abend aufgeklärt.“
Er unterschreibt. Ich stehe auf, um ihm die Tür aufzuhalten und mich zu verabschieden. Er packt seine Krückstöcke und humpelt, wortlos und ohne einmal zurückzublicken, in Richtung Ausgang. Mein „Auf Wiedersehen“ ignoriert er.
Wow. Arschloch.