Die Erkältungszeit steht vor der Tür. Bald muss ich also wieder unzählige Leute untersuchen, die keinen Arzt brauchen. Der Grund: Die AU, die man in Deutschland ab Tag 3 braucht. Das raubt mir Zeit für Patienten, die wirklich meine Hilfe brauchen. Wie wäre es mit der Abschaffung?
Bald beginnt wieder die Erkältungszeit und damit die große Zeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Vor allem montagmorgens platzen Parkplatz und Wartezimmer aus allen Nähten. Über das Wochenende haben die Patienten versucht, sich auszukurieren und sind dankenswerterweise hier auf dem Land dafür nicht zum Notdienst gegangen. Montags stellen sie dann aber fest, dass arbeiten doch nicht geht. Grob gesehen kann man diese Patienten in zwei Kategorien einteilen:
Die AUs fressen zu viel Zeit
Es möchte ja keiner als Drückeberger dastehen, deswegen kommen die meisten schon am ersten Arbeitstag, vorgeschrieben ist die AU spätestens ab dem dritten Krankheitstag (Stichwort „Präsentismus“). Da aber laut Gesetz auch für die Bescheinigung eine ärztliche Untersuchung notwendig ist, muss ich diese Patienten alle selbst untersuchen, damit ich das Formular ausstellen kann (Nachzulesen unter §4 Absatz 1 der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie).
Mein Problem damit: Gerade in einer heftigen Erkältungssaison fehlt mir so die Zeit für die Patienten, die mich wirklich brauchen, weil ich „Papierkram“ machen muss. Auch die Diskussionen über die Dauer der AU sind Zeitfresser: Viele wollen eine Krankschreibung für „höchstens drei Tage“, aber auch bei der Verlängerung wird wieder eine erneute ärztliche Untersuchung fällig. Deswegen muss ich gestehen, dass ich auf die vermutete Erkrankungsdauer lieber einen Tag draufschlage. So muss ich Patienten, bei denen schon beim ersten Besuch klar ist, dass eine Untersuchung nicht notwendig ist, zumindest nicht zweimal untersuchen.
Und was ist nun mit den Drückebergern?
So langsam trägt unsere Aufklärungsarbeit wenigstens bei unseren Patienten Früchte und sie wissen, dass man normal versichert ist, auch wenn man vor dem offiziellen Ende der AU arbeiten geht.
Und für diejenigen, die jetzt sagen: „Aber was ist denn mit den Faulpelzen?“
Zunächst sei erwähnt, dass die hier auf dem Land wirklich selten sind. Abgesehen davon findet man bei vielen akuten Infekten, wie z.B. bei Magen-Darm-Infekten, meistens in der körperlichen Untersuchung keine wirklich spezifischen Auffälligkeiten, außer ggf. einer gesteigerten Peristaltik. In diesen Fällen schreibe ich die AU auch primär aufgrund der Anamnese. Das ist definitiv auch kein wirklich sicheres oder besonders objektives System, sondern beruht auf den Angaben des Patienten und meinem Vertrauen in den Patienten und in unsere Arzt-Patienten-Beziehung.
Ein Infekt braucht seine Zeit
Ein psychologischer Grund, weshalb ich manchmal die AU ab Tag 3 schwierig finde: Gerade jüngere Patienten haben das Gefühl, dass es nach drei Tagen wieder deutlich besser bzw. eigentlich „gut“ sein muss und drängen dann auf irgendwelche Therapien, weil sie doch „schon 3 Tage“ krank seien.
Wenn ich dann auf das „Infozept“ verweise, auf dem steht, dass ein normaler grippaler Infekt 9–14 Tage dauert und der dazugehörige Husten bis zu drei Wochen, dann sind manche erstmal irritiert. Und dabei weiß selbst der Volksmund „Kommt drei Tage, bleibt drei Tage, geht drei Tage“.
Bleibt zu hoffen, dass auch diese Erkenntnis über die Dauer von Erkältungen sich (wieder) verbreitet.
AU als Forschungsgegenstand
Mit dem Problem der AUs hat sich auch schon die Forschung beschäftigt. 2015 wurde in mehreren Zeitungen über eine Magdeburger Forschungsgruppe berichtet, die deutsche Krankschreibungen und Arztkontakte mit Norwegen verglichen hat und aufgrund der erhobenen Daten und der guten Erfahrungen aus Norwegen Pilotprojekte anregte, bei denen sich Mitarbeiter bis zu eine Woche selbst krankmelden durften.
Die Zeitung Die Welt berichtete: In Norwegen sind die Regeln lockerer. So ist es grundsätzlich erlaubt, sich für bis zu drei Tage am Stück ohne ärztliche Bescheinigung selbst krankzumelden. In einem Großteil der norwegischen Unternehmen ist die eigenständige Krankmeldung sogar bei Ausfällen von bis zu acht Tagen am Stück und höchstens 24 Tagen im Jahr zulässig. Und das Besondere: In Norwegen ist die Zahl der Fehltage seit Jahren rückläufig.
Leider habe ich nie von einem solchen Pilotprojekt gehört, dabei fände ich das eine super Idee – gerade hier auf dem Land, wo wir sowieso oft zu wenig Ärzte für zuviele Patienten sind.
Daher mein großer Wunsch an die Politik: Bitte den General-Drückeberger-Verdacht gegen die Arbeitnehmer bzw. Patienten mal soweit beiseite schieben, dass solche Pilotprojekte mit einer Woche „Eigenkrankmeldung“ (gern auch mit der Einschränkung bis max. 24 Tage im Jahr) möglich werden. Dann könnte man aufgrund dieser Daten entscheiden, ob ein solches Modell nicht deutschlandweit sinnvoll wäre. Damit wir Ärzte wieder Zeit für die Patienten haben, die uns brauchen und nicht andauernd im „Papierstau“ hängen!