Letzten Donnerstag war es überall Thema: Valsartan wird EU-weit zurückgerufen. Der Skandal hatte es dank einer Pressemitteilung des BfArM bereits quer durch die Laienmedien geschafft, während wir in der Apotheke offiziell noch ahnungslos waren. Was haben die sich dabei gedacht?
Als am letzten Mittwoch Abend bereits im Radio verkündet wurde, dass es einen EU-weiten Rückruf von Valsartan geben wird, waren wir in der Apotheke offiziell noch ahnungslos. Das BfArM hatte es für sinnvoll erachtet, erst einmal die Presse am Mittwochabend zu informieren, bevor die Apotheken dann am Folgetag über die PHAGRO Bescheid bekamen. Ist wohl unsere eigene Schuld, wenn wir vor Öffnung der Apotheke nicht täglich die Seite des BfArM besuchen. Und wie wurden die Ärzte informiert? Offenbar gar nicht. Donnerstags flatterten uns weiterhin Valsartan-Rezepte ins Haus. Sämtliche ortsansässige Hausärzte waren völlig ahnungslos, als wir sie telefonisch ins Bild setzten.
Morgens früh meldeten sich auch bereits die ersten Patienten bei uns, die über die Medien erfahren hatten, dass sie wahrscheinlich verunreinigte Tabletten eingenommen hatten. Mit krebseregenden Stoffen. Wie man sich denken kann, war es nicht ganz einfach, sie zu beruhigen. Die Bitte der Arnzneimittelkommision der Deutschen Apotheker (AMK) die Patienten „angemessen“ über das Risiko zu informieren und dafür zu sorgen, dass diese die Tabletten nicht eigenmächtig absetzen, stieß bei uns auf Heiterkeit. Kennen wir denn das Risiko? Wissen wir wie viel N-Nitrosodimethylamin (NDMA) in den Tabletten steckt? Gibt es überhaupt Grenzwerte dafür und weiß man, ab wann es gefährlich wird? Nein! „Nein, Frau Mauer, sie sollten die Tabletten lieber weiter einnehmen. Ob sie verseucht sind, wissen wir nicht, auch nicht, ob sie vielleicht Krebs erzeugen können, aber schlucken Sie die ruhig weiter. Die sind wahrscheinlich gut für ihre Gesundheit.“
Hersteller gibt sich überrascht
Inzwischen wissen wir, dass der Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceuticals offenbar im Produktionsprozess den Syntheseweg des Wirkstoffes verändert hat. Dass dabei NDMA entstand, nennt die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) „unexpected“. BfArM und EMA sollten eigentlich über die Herstellungsprozesse im Bilde sein, konnten aber offensichtlich das Risiko einer NDMA-Verunreinigung durch die Synthese nicht erkennen. Schön, dass man sich auf die Experten dort offensichtlich so gut verlassen kann. Das beruhigt doch ungemein. Laut Hersteller machte sie dann ein Kunde auf die Verunreinigung aufmerksam. Es hätte also gefunden werden können, wenn man denn danach gesucht hätte. Ich halte mir jetzt vor Augen, wie wir Apotheken alle Ausgangsstoffe genau prüfen müssen, bevor wir sie weiterverarbeiten. Muss die Industrie da nicht mindestens genauso streng hinschauen? Bevor sie hunderttausende Tabletten verpresst, die zurückgerufen werden müssen? Und für einen riesigen Skandal sorgt? Offenbar ist der Wirkstoff ja auch nicht erst seit Kurzem verunreinigt, sondern bereits seit Jahren. Nun denn. Es wurde im Vorfeld nichts gemerkt, also gibt es erst jetzt den Rückruf vom BfArM. Aber statt den Apotheken und damit den betroffenen Patienten wenigstens sofort mitzuteilen, welche Firmen betroffen sind (wenn man schon die genauen Chargen nicht kennt) – nichts. In den Zulassungsunterlagen der Medikamente, die dem BfArM ja vorliegen, müssen doch die Herstellerfirmen vermerkt werden. Da sollte es ein Leichtes sein, schnell alle betroffenen Firmen herauszusuchen. Offenkündig nicht. Fünf Tage später, am 10. Juli, flattern uns immer noch fröhlich die Rückrufe ins Haus.
Ist die Compliance jetzt noch zu retten?
Während also bei uns die Bude brennt an jenem Donnerstag, ist die Internetseite des AMK –über die wir uns informieren sollten– down. Ich verstehe nicht, warum ein Riesenhype über die Laienpresse gemacht wird, so lange wir nicht einmal wissen, um welche Chargen es sich genau handelt. Und wie hoch der gesundheitlich zu erwartende Schaden liegen wird.
Ich bin jetzt gespannt, was noch kommt. Die Firma stellt ja noch sehr viele andere Wirkstoffe für Europa her, die aber angeblich alle in Ordnung sein sollen. Es wird schwer sein, das Vertrauen der Kunden wiederzuerlangen und die Compliance zu retten. Für den nächsten Skandal würde ich mir jedenfalls wünschen, von offizieller Stelle umfassender und früher informiert zu werden als die Laienpresse. Das würde unsere Arbeit und die Aufklärung der Kunden deutlich leichter machen.