Seit Jahren gibt es Schwangerschaftstests an jeder Ecke. Jetzt soll der HIV-Test für zu Hause auch im Einzelhandel verkauft werden. In anderen Ländern ist das Modell bereits erfolgreich. Warum Pharmazeuten hierzulande weiter auf die Apothekenpflicht beharren, ist nicht nachvollziehbar.
In Deutschland bleiben HIV-Neuinfektionen trotz aller Kampagnen auf hohem Niveau. Laut Robert Koch-Institut waren davon zuletzt 3.100 Menschen betroffen (Stand 2016). Verglichen mit ebenfalls 3.100 Menschen in 2015 bleibt es konstant hoch. RKI-Experten fordern nicht nur, Therapien für alle Menschen zu erschließen – auch für Patienten ohne Krankenversicherung. Sie wünschen sich außerdem, die Testangebote weiter zu verbessern. Das Ziel der Experten ist es, dass alle Betroffenen von ihrer Infektion wissen: nur so können Partner geschützt werden und nur so kann der Betroffene beim Arzt schnellstmöglich die Behandlung beginnen.
Klingt gut. Doch an der Frage, wie der richtige Weg dahin aussehen kann, scheiden sich die Geister. Ein Schritt in die richtige Richtung könnte es sein, den HIV-Selbsttest im Einzelhandel anzubieten.
Apotheker bleiben skeptisch
Doch Apotheker möchten den Test nicht aus der Hand geben. Eine Umfrage von APOkix verdeutlicht das Ausmaß des Problems: Bei der ersten Frage nach dem Test zeigte sich unter den Apothekern schon eine gewisse Zurückhaltung. Die Frage lautete: Wie bewerten Sie den Einsatz von HIV-Selbsttests zur Diagnose ganz grundsätzlich? 10 % fanden die Idee sehr positiv und weitere 40 % eher positiv. Dem stehen 31 % mit einer eher negativen und 8 % mit einer sehr negativen Bewertung des Tests gegenüber.
Noch drastischer fielen die Antworten aus, als nach der Möglichkeit gefragt wurde, den Selbsttest künftig über den Einzelhandel zu vertreiben. Plötzlich fanden 23 % die Idee schlecht und sogar 70 % sehr schlecht. Apotheker warnen vor allem, Patienten würden im Einzelhandel unzureichend beraten (dieser Aussage stimmten 93 % zu) und mit möglichen Folgen einer Diagnose alleingelassen (Zustimmung: 97 %).
Auch ABDA-Chef Friedemann Schmidt teilt die in der Umfrage deutlich gewordene Skepsis. Apotheker könnten im Beratungsgespräch auf die Limitationen von Selbsttests hinweisen. „Denn bei Tests kann es zu falsch-positiven Ergebnissen kommen und der Anwender meint, HIV-positiv zu sein, obwohl er nicht infiziert ist“, sagt Schmidt.
Schön und gut, nur dürften dieser Argumentation zufolge auch keine Schwangerschaftstests mehr veräußert werden. Auch hier kann ein Ergebnis für einige Frauen verheerende Folgen haben und sogar Suizidversuche mit sich bringen. Nun ist Schwangerschaft bekanntlich keine Krankheit. Aber werdende Mütter benötigen ebenfalls Beratung und sollten ärztliche Leistungen in Anspruch nehmen. Trotzdem funktioniert das Prinzip des Selbsttest hier bis heute.
Die Scham macht den Unterschied
Apotheker verkennen das grundlegende Problem. Schon heute bieten Ärzte oder Selbsthilfestellen flächendeckend hochwertige Tests an, auch in Ambulanzen ohne Termin. Ein niedrigschwelliger Zugang wird also bereits ermöglicht. Probleme ergeben sich an anderer Stelle: Viele Patienten scheuen den Weg aus Scham oder aus Angst, sie würden wegen ihrer sexuellen Praktiken gemaßregelt. Oder sie wollen den Test mit ihrem Partner gemeinsam machen.
Deshalb haben sich andere Länder entschlossen, Tests für den Einzelhandel freizugeben. In den USA, in Australien, Großbritannien, Frankreich und in Italien können Patienten Kits für zu Hause erwerben. Für den Test braucht es nur etwas Blut aus dem Finger oder einen Abstrich der Mundschleimhaut.
Spahn geht ran
Den exisiterenden Zahlen nach zu urteilen, wird das Selbsttest-Angebote gut angenommen. In Australien haben sich Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), doppelt so oft getestet wie vor Einführung der Selbsttests. Und italienische Forscher berichten, dass Menschen mit positivem Testergebnis oft den Weg in die normale medizinische Versorgung fanden.
Auch Jens Spahn macht sich für HIV-Selbsttests stark. Noch bis Ende des Jahres will der Bundesgesundheitsminister ein Gesetz auf den Weg bringen. Er kann sich vorstellen, Testboxen frei verkäuflich in den Umlauf zu bringen.