Wir Menschen sind schon merkwürdig. Dass man sein Verhalten ändern muss, wenn das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduziert werden soll, ist schnell vergessen. Stattdessen greift man lieber zu Nahrungsergänzungsmitteln. Warum mehr Sport treiben oder das Rauchen aufgeben, wenn man einfach Vitamine einnehmen kann?
Ich frage mich allerdings, wie Apotheker noch in den Spiegel schauen können, wenn Sie ihren Kunden dieses Zeug verkaufen. Vorweg: Wir leben in einer freien Marktwirtschaft und jeder Mensch hat deshalb das Recht, selber zu entscheiden, ob und wie er sich in Sachen Angebot und Nachfrage positioniert. Was er kauft und was er lieber nicht anfasst. Ob er sich online, in der Massendrogerie oder aber beim approbierten Apotheker beraten lässt.
Bei erhöhten Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfehlen Ärzte Verhaltensänderungen: mehr Sport, ausgewogene Ernährung, mehr Schlaf und weniger Nikotin. Wenn man diese Punkte ebenso wenig einhalten kann wie die empfohlene Stressreduktion und eine positive Lebensgestaltung, dann bleibt vielleicht der Griff zu Nahrungsergänzungsmitteln. Immerhin sagt man Vitaminen und Co alle möglichen positiven Effekt auf das Herz nach.
NEM: Sinn und Unsinn bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Allerdings hört meine Verständnis beim Thema (Super-)Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel auf. Ausnahmen bestätigen die Ausnahme (z.B. Melatonin bei bestimmten Indikationen). Eine aktuelle Studie im Journal of the American College of Cardiology untersucht nun in einer Metaanalyse den Sinn und Unsinn von Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitaminen oder Mineralstoffen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Das Angebot und die Verspechungen sind ebenso bunt wie die postulierten Störungsmodelle und Ansätze, die nun die Sterblichkeit reduzieren oder die Vitalität des Herzens und seines Trägers erhöhen sollen. Sei es, dass oxidativer Stress reduziert werden soll oder aber angebliche Diätfehler oder Mangelzustände ausgeglichen werden können. Über das Für und Wider der Vitamin-D-Gabe werden ganze Bücher geschrieben und Streitgespräche geführt.
Vitamine statt ärztlich verordneter Präparaten
Hilfreich ist der Zweifel und die Sorge um die eigene Gesundheit in erster Linie wohl für das Portemonnaie der Hersteller und der Apotheker. Und es ist keinesfalls ein kleiner Markt, der da bedient werden will. Wenn also mehr als die Hälfte der Bevölkerung zu solchen Mittelchen greift, andererseits aber die ärztlich verordneten Medikamente aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen in der Schublade lässt, ist es Zeit, sich mit der wissenschaftlichen Evidenz dieser frei verkäuflichen Präparate zu befassen.
Dazu wurden über 179 wissenschaftlich verwertbare Studien eingeschlossen, die sich spezieller mit kardiovaskulären Erkrankungen beschäftigen. Von den am häufigsten eingesetzten Nahrungsergänzungsmitteln (Multivitamin-Präparate, Vitamin D, Calcium oder Vitamin C) konnte – ich würde mal behaupten erwartungsgemäß – kein statistisch signifikanter Effekt auf ein Outcome hinsichtlich Herzkreislauf-Erkrankungen gefunden werden.
Kleinere Effekte konnten dagegen Folsäure oder Vitamin B6 und 12 hinsichtlich der Reduktion von Schlaganfällen zeigen, während wiederum Niacin oder Antioxidantien sogar die Sterblichkeit erhöhten.
Werden diese Ergebnisse etwas bewirken?
Die Effekte liefern in jedem Fall keine überzeugende Begründung für den Kauf dieser Mittel. Gerade dann nicht, wenn man bedenkt, dass die verschriebenen Herz-Kreislauf-Medikamente häufig nicht mehr eingenommen werden.
Werden diese Studienergebnisse nun etwas an der Beratung durch den Apotheker um die Ecke ändern? Vermutlich nicht. Denn letztlich zählt wohl eher der Umsatz und schließlich verlangen die Kunden ja danach ...