Uns Hausärzten sagt man nach, dass wir ständig von einem Facharzt zum nächsten überweisen. Aber was ist mit Patienten, die bei all den Fachärzten keine Hilfe finden? Die kriegen ein schlichtes „austherapiert“ in den Arztbrief geschrieben und landen wieder bei den „Zettel-Ausfüllern“.
Kürzlich kam Herr Krohner zu mir in die Praxis. Seit Jahren leidet er unter chronischen Schmerzen, ausgelöst durch eine Polyneuropathie und sicherlich auch durch die zunehmenden Immobilität aus muskuloskelettalen Gründen. Wir hatten in unserer hausärztlichen Praxis schon so ziemlich alles probiert, um die Schmerzen für ihn erträglicher zu machen. Wir haben es medikamentös und zwischenzeitlich auch physiotherapeutisch versucht.
Als es jetzt erneut zu einer Schmerzexazerbation kam, hatten wir ihn in eine schmerztherapeutische Klinik geschickt – in der Hoffnung, dass man ihm vielleicht dort weiterhelfen könne. Umso verblüffter war ich, dass Herr Krohner stattdessen erst internistisch aufgenommen wurde (wegen eines Infektes) und dann „in unsere geschätzte hausärztliche Behandlung“ entlassen wurde, weil schmerztherapeutisch keine weiteren Optionen bestünden. Weitere Therapievorschläge? Keine.
Der Hausarzt als „Zettel-Ausfüller“
Dieses Konzept will mir nur sehr schwer in den Kopf: Einerseits wird es inzwischen manchmal leider so dargestellt, als seien wir Hausärzte nur für Bagatellen und das Ausstellen von Überweisungen zuständig. Unvergessen bleibt das Gesicht meiner Kollegin, das sie machte, als ein Patient sie mitfühlend fragte, ob es nicht unheimlich frustrierend sei, nach so einem langen Studium zum „Zettel-Ausfüller“ degradiert worden zu sein. Andererseits schicken uns die Spezialärzte die Patienten zurück, bei denen sie nicht mehr weiter wissen oder nicht mehr helfen können. Meistens ohne weiteren Therapievorschlag, so als wäre das Problem damit gelöst.
Um das direkt klarzustellen: Natürlich ist mir klar, dass es viele medizinische Probleme gibt, die auch heutzutage nicht oder nur teilweise lösbar sind. Leider entspricht auch häufig die Vorstellungen der Patienten nicht der medizinischen Realität. Deshalb geht das Leid des Patienten weiter, er fühlt sich vielleicht auch von der Medizin allein gelassen und hofft trotzdem, beim Hausarzt Hilfe zu finden.
„Austherapiert“ ist die schlimmste Diagnose
Dabei geht es häufig um Erkrankungen, die nicht unbedingt kurzfristig lebensverkürzend sind, denn würden sich ja wenigstens die Palliativmediziner zuständig fühlen, soweit es sie gibt. Bei uns auf dem Land sind sie oft mehr als 40 km weit weg und somit für eine umfassende Versorgung leider schlichtweg nicht erreichbar. Oft handelt es sich um chronische Erscheinungen, beispielsweise um psychische Störungen wie Zwangserkrankungen oder chronische Schmerzen. Diese landen dann laut der Arztbriefe ebenfalls in der Kategorie „Austherapiert“.
Und versuchen Sie mal, einen Termin bei einem Spezialisten zu bekommen, wenn in einem der alten Briefe bereits geschrieben steht, dass der Patient „nicht mehr behandelbar“ sei.
Mit der Zeit sammelt man Erfahrung
Auch dann obliegt es meistens uns Hausärzten, die Probleme mit dem Patienten soweit gemeinsam zu lösen, dass er damit irgendwie leben kann. Da geht es um das „Prinzip Hoffnung“, dafür reichen eine medikamentöse antidepressive Therapie oder eine Therapie nur bei Exazerbationen nicht aus.
Diese Art zu arbeiten ist definitiv gewöhnungsbedürftig, gerade weil man sich so unsicher fühlt und am liebsten einfach weiterschicken würde. Irgendwann kommt man aber an den Punkt, an dem man die Dankbarkeit der Patienten spürt. Sie sind froh, dass man sich überhaupt noch weiter kümmert und ihnen zumindest ein bisschen Hoffnung gibt, obwohl die anderen Kollegen gesagt haben, dass sie nichts mehr machen können. Glücklicherweise verfügt man irgendwann über ein eigenes Repertoire, das Maßnahmen und Tricks beinhaltet, die dem Patienten oft helfen.
Sind wir eigentlich auch Palliativmediziner?
Deswegen kann ich auch heute verstehen, dass einige ältere Hausärzte die Anfänge der Palliativmedizin mit „das machen wir doch schon ewig“ kommentierten.
Natürlich hat die Palliativmedizin wichtige Aufgaben. Mir ist aber sehr oft auch dort das Selbstverständnis begegnet, dass es eigentlich um zeitlich begrenzte Krankheitsbilder geht. Wenn die Patienten „zu lange“ brauchen, ist die Behandlung wieder Hausarzt-Sache.
Wir sind als Hausärzte nun mal die Ärzte „von der Wiege bis zur Bahre“, die definitiv die Kompetenz der anderen Fachrichtungen sehr schätzen, weshalb wir häufig den Rat und die Kompetenz in Form von Überweisungen suchen und nutzen. Aber wir sind am Ende auch diejenigen, die die Patienten dann betreuen, wenn sich kein anderer (mehr) zuständig fühlt.
Im Falle von Herrn Krohner probierten wir also mal wieder eine medikamentöse Umstellung, die in dieser Situation auch ausreichend funktioniert. Bis er das nächste Mal wieder zu mir kommt …