In keiner anderen EU-Nation ist die Masern-Impfrate so schlecht wie in Deutschland. Das Problem sind nicht nur impfkritische Eltern. Vor allem auch unzureichend geschützte Erwachsene verbreiten das Virus in der Bevölkerung. Wie kann man das Problem lösen?
Die Masern sind zurück in Europa. Vor wenigen Monaten veröffentlichte die WHO neue Zahlen: Mehr als 21.000 Menschen haben sich EU-weit angesteckt, und 35 sind an der Masern-Enzephalitis bzw. der subakuten sklerosierenden Panenzephalitis gestorben, Stand 2017. Das sind viermal so viele Infektionen wie im Jahr zuvor.
Deutschland – ein Trauerspiel
Deutschland steht nach Rumänien (5.562 Fälle), Italien (5.006), der Ukraine (4.767) und Griechenland (967) an fünfter Stelle der Negativliste (927), obwohl sich unser Gesundheitssystem eher an den hohen Standards skandinavischer Staaten misst.
EU-Regionaldirektorin Zsuzsanna Jakab spricht von einer „Tragödie“, die man nicht hinnehmen könnte. Da mag sie nicht Unrecht haben: Dass in hochentwickelten Ländern eine beherrschbare Infektion solche Schäden anrichtet, kann man nur als Trauerspiel bewerten. Praktisch umsetzbare Ideen hat die Weltgesundheitsorganisation auch nicht zu bieten.
Das liegt an den komplexen Ursachen. Manche Menschen vergessen einfach, sich impfen zu lassen. Andere lehnen die Vakkzine ab. Impfmüdigkeit oder Impfskepsis ist bei Familien mit hohem sozioökonomischem Status besonders ausgeprägt. Statistisch gesehen sinkt die Impfwahrscheinlichkeit mit steigendem Bildungsgrad der Mutter.
„Diese Faktoren können Unterschiede jedoch nur teilweise erklären“, sagt Dr. Sandra Mangiapane. Sie hat die Fakten im Rahmen des Projekts „Versorgungsatlas“ veröffentlicht. Mangiapane ergänzt: „Auch der Einfluss regional unterschiedlich stark vertretener impfkritischer Ärzte, Heilpraktiker und Homöopathen wirkt sich vermutlich aus.“
Herdenschutz Fehlanzeige
Folglich gelingt es nicht, in Deutschland Herdenimmunität aufzubauen. Sind in einer Population 90 bis 95 Prozent aller Menschen geimpft, wird die Infektionskette durchbrochen. Der nationale Aktionsplan empfiehlt 95 Prozent. Damit schützen Impfungen indirekt auch Menschen, die aus medizinischen Gründen keine Vakzine bekommen können, etwa aufgrund einer Supprimierung des Immunsystems.
Laut Robert Koch-Institut erhalten bei den Geburtsjahrgängen 2004 bis 2013 noch 96 bis 98 Prozent die erste Masernimpfung. Bei der zweiten Impfung sinkt der Wert auf magere 75 bis 86 Prozent. Bei Erwachsenen ist die Datenlage deutlich unklarer. Einer älteren Umfrage zufolge hat jeder fünfte Erwachsene keinen ausreichenden Schutz gegen Masern. Programme gegen Masern müssen sich sowohl an Kinder (respektive deren Eltern) und an nicht geimpfte Erwachsene richten.
Nur niemanden unter Druck setzen
Eine Impfpflicht ist nur die halbe Miete, wie Erfahrungen aus Italien zeigen. Seit Mitte 2017 zwingt die Regierung Eltern, ihre Kinder gegen zehn Infektionskrankheiten schützen zu lassen. Wer das ablehnt, bringt seinen Nachwuchs nicht in Kitas oder Vorschulen unter. Außerdem drohen Strafen von bis zu 500 Euro.
Kurzfristigen Analysen zufolge zeigt sich der Effekt vor allem bei Kleinkindern. Bis zum Alter von 24 Monaten erhöhte sich der Masernschutz von 87,3 (2016) auf 91,7 Prozent (2017). Bei den Siebenjährigen sind es 85,8 Prozent. Daten über erwachsene Italiener sind in der Studie nicht zu finden. Lücken sind aber recht wahrscheinlich.
Deutschland ist noch vorsichtiger, da keine Partei potenzielle Wähler vergraulen möchte. Mitte 2017 hat ein neuer Papiertiger das Licht der bürokratischen Welt erblickt, bekannt als „Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten“. Demnach müssen Kitas Eltern an das zuständige Gesundheitsamt melden, falls diese keine Impfberatung für ihre Sprösslinge vorlegen. Verpflichtende Beratungen und mögliche Busgelder gab es schon seit einem Präventionsgesetz aus dem Jahr 2015. Und was hat das Ganze gebracht: nichts.
So starb eine 37-jährige Mutter dreier Kinder Mitte Mai 2017 trotz intensivmedizinischer Behandlung an den Masern. Ihr Impfschutz war unvollständig.
Was muss passieren?
Das bedeutet: Wollen wir tatsächlich Herdenimmunität aufbauen, reichen die bisherigen Maßnahmen nicht aus. Wie wäre es mit folgenden Ideen?
Auch hier gilt das alte Prinzip, mehr Service anzubieten. Das wäre schon mal ein Anfang.