Das Kind hatte ein blasses Hautkolorit, war abgeschlagen und litt unter Dyspnoe. Es wies die typischen Symptome einer schweren Vitamin-B12-Mangelanämie auf. 2,5 Jahre hatte das Kind weder über die Muttermilch noch über die Beikost Vitamin B12 erhalten. Seine Leber konnte nicht genug Eisen speichern und der Junge litt zusätzlich unter Vitamin-D-Mangel. Die radiologische Diagnostik zeigten eine Groß- und Kleinhirnatrophie sowie Subduralblutungen. Diagnostiziert wurde eine durch Vitaminmangel hervorgerufene Wernicke-Enzephalopathie.
Der Junge wurde auf der Intensivstation und später in der Kinderneurologie therapiert. Seine motorischen und geistigen Defizite konnten jedoch nur teilweise beseitigt werden.
Vegane Ernährung
Professor Berthold Koletzko aus München, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit, erklärte: Ein Kind könne man nicht gesund vegan ernähren, sofern man keine Mikronährstoffe zusätzlich gebe. Er empfiehlt sogar eine kinderärztliche Beratung, falls man eine irgendeine vegetarische Ernährung seines Kindes plane.
Vegan ist hip: Selbsternannte Gurus wie der Koch Attila Hildmann sind Stars, vegane Kochbücher finden sich in jeder gut sortierten Buchhandlung und verkaufen sich anscheinend wie geschnitten Brot, vegane Lebensmittel – einschließlich Fleischersatzprodukte wie vegane Wurst – bekommt man im normalen Supermarkt, Stars outen sich als Veganer. Neben ethischen, tierrechtlichen und ökologischen Aspekten werden gerne die angeblichen Vorteile für die Gesundheit herausgestellt. Und lecker soll es auch noch sein.
Dabei ist eine ausgewogene vegane Kost ernährungsphysiologisch gesehen zwar aufwendig, aber durchaus möglich, wenn man bestimmte Regeln beachtet. Lediglich Vitamin B12 muss über angereicherte Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel supplementiert werden. Dafür sinkt durch den Wegfall tierischer Fette und überschüssiger Kalorien das Risiko an Arteriosklerose oder Adipositas zu erkranken. Da eine rein pflanzliche Ernährung reich an Ballaststoffen, Vitaminen, sekundären Pflanzenstoffen, Spurenelementen und pflanzlichen Fetten, die gesünder als tierische sein sollen, ist, kann eine vegetarische und sogar vegane Ernährung – auch bei Kindern – ein Grundstein für eine gesunde Lebensweise, weniger Übergewicht und damit letztlich auch eine höhere Lebenserwartung sein.
Vegane Ernährung ist nicht artgerecht
Tatsächlich gibt es Studien, die für Veganer ein deutlich niedrigeres Risiko belegen, an Adipositas, Diabetes mellitus Typ II, arterieller Hypertonie oder einer koronaren Herzerkrankung zu erkranken. Wobei Vegetarier und Pescarier teilweise noch besser abschneiden. Aber es gibt auch auch Hinweise auf ein erhöhtes Osteoporose- oder Thromboserisiko.
Rein wissenschaftlich gesehen ist vegan jedoch keine artgerechte Ernährungsweise für Menschen. Gebiss und Verdauungstrakt sind auf Mischkost ausgelegt. Der Mensch ist – nicht unähnlich den Schweinen – ein „Allesfresser“: Viel Obst und Gemüse, wenig Fleisch und tierische Produkte sollten es sein. Problematisch ist lediglich das heutige Zuviel an tierischen Fetten und Zucker. Medizinisch und physiologisch hat Veganismus also keine Basis. Die Krux ist das Vitamin B12: Es kommt natürlich nun mal fast ausschließlich in tierischen Produkten (in Fleisch, Milch- und Molkereiprodukte sowie in Eiern) vor. Weder Obst und Gemüse, noch Nüsse oder Saaten enhalten nennenswerte Mengen von Vitamin B12. Ein Mangel führt zu Störungen der Hämatopoese und in schweren Fällen zur Polyneuropathie und Hirnatrophie.
Ohne Supplementierung geht es nicht
(Ovo-Lacto-)Vegetarier haben diesbezüglich kein Problem. Veganer müssten jedoch ihren Bedarf über fermentierte Lebensmittel decken, beispielsweise über Sauerkraut und Bier. Dies ist jedoch rein quantitativ schon für Erwachsene kaum möglich und für Kinder gar nicht. Was bleibt ist also die Supplementierung durch Nahrungsergänzungsmittel.
Auch den Eisenbedarf ohne Fisch oder Fleisch zu decken, ist bei einem erhöhtem Bedarf, wie ihn beispielsweise Kinder im Wachstum haben, schwierig. Zwar kann die schlechte Bioverfügbarkeit pflanzlichen Eisens durch die Kombination von geeigneten Nahrungsmitteln verbessert werden (z. B. durch eisenreiche Getreide in Brot oder Müsli, durch Hülsenfrüchte mit Vitamin C, beispielsweise in Orangensaft). Kinder essen aber in der Regel lieber einen Burger als Bohnen. Bei manifestem Eisenmangel drohen Müdigkeit und Lernstörungen, bei fehlendem Ausgleich auf Dauer auch Anämie und Entwicklungsverzögerungen.
Mythos Spinat
Auch hier kann gegebenenfalls eine Supplementierung sinnvoll sein, denn auch Spinat enthält längst nicht soviel Eisen wie teilweise immer noch von vielen angenommen wird: 2,7 bis 4,5 mg Eisen pro 100 g Spinat, nämlich kaum mehr als eine entsprechende Portion Pommes frites. Der häufig kolportierte deutlich höhere Gehalt beruht schlicht auf einem Druckfehler. Zudem enthält Spinat Substanzen, die die Eisenresorption im Körper sogar hemmen.
Wie hoch der tägliche Eisenbedarf eines Menschen ist, hängt von vielen Faktoren wie etwa dem Alter, Geschlecht und der Lebensphase ab. Bei ansonsten gesunden Erwachsenen bis 50 Jahre wird empfohlen, täglich 10 mg bis 15 mg zuzuführen. Allerdings ist die Aufnahmefähigkeit für Eisen beschränkt: Nur 5 Prozent bis maximal 15 Prozent des mit der Nahrung zugeführten Eisens werden resorbiert, der Rest wird ungenutzt wieder ausgeschieden, wobei an Häm gebundenes Eisen (wie in Fleisch oder Fisch) dreimal besser resorbiert wird als pflanzliches Eisen.
Soja und Umwelt: Auch nicht ideal
Bedenken kann man auch, dass Fleischersatzprodukte mit ihren künstlichen Aromen und anderen Inhaltstoffen letztlich mit natürlicher Nahrung nichts zu tun haben, sondern etwas Künstliches sind, nämlich ein Produkt der Lebensmittelchemie. Und auch der Sojaanbau ist unter ökologischen Gesichtspunkten nicht unbedenklich.
Tatsache ist, dass Brasilien seine Anbauflächen für Sojabohnen in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt hat, dafür Regenwald gerodet wurde und inzwischen fast 90 Millionen Tonnen pro Jahr erzeugt. Dies geschieht überwiegend für den Export, zum Beispiel nach Deutschland. Hier landet Soja in allen möglichen Produkten: unter anderem in Speiseölen, Süßigkeiten (Schokolade, Kekse), aber auch in Biokraftstoffen, Schmierölen, Druckfarben, Folien, Zigarettenfiltern, Hautcremes oder Medikamenten.
Der weitaus größte Anteil deutscher Soja-Importe (mehr als 80 Prozent) landet allerdings nicht in vegetarischen Lebensmitteln, sondern in eiweißreichen Futtermitteln für die industrielle Tiermast. Natürlich haben Vegetarier und Veganer, die nicht auf die Herkunft ihrer Lebensmittel achten, einen Teil des brasilianischen Regenwalds auf dem Gewissen, aber letztlich einen viel geringeren als die regelmäßigen Fleischkonsumenten.
Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
Die DGE liefert auf ihrer Homepage eine detaillierte Stellungnahme zum Veganismus. Nach Auswertung der aktuellen wissenschaftlichen Literatur heißt es dort: „Für Schwangere, Stillende, Säuglinge, Kinder und Jugendliche wird eine vegane Ernährung von der DGE nicht empfohlen. Wer sich dennoch vegan ernähren möchte, sollte dauerhaft ein Vitamin-B12-Präparat einnehmen, auf eine ausreichende Zufuhr der kritischen Nährstoffe achten und gegebenenfalls angereicherte Lebensmittel und Nährstoffpräparate verwenden.“
Zu den potenziell kritischen Nährstoffen zählt die DGE neben B12 und Eisen ferner Protein (essenzielle Aminosäuren) und langkettige N-3-Fettsäuren sowie weitere Vitamine (B2, D) und Mineralstoffe (Calcium, Jod, Zink, Selen). Ferner empfiehlt sie regelmäßige ärztliche Checks bezüglich des Versorgungsstatus.
Auch das schweizerische Bundesamt für Gesundheit rät aufgrund der erheblichen Risiken einer Mangelernährung in verschiedenen Lebensphasen wie Gravidität, Stillzeit, Wachstum und Senium von einer generellen Empfehlung der veganen Ernährung für die breite Bevölkerung ab.
Die Ernährungskommission der Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin lehnt eine vegane Säuglingsernährung ohne Nährstoffsupplementierung ab, da sie zu schwerwiegenden Nährstoffdefiziten führe. Die sorgfältige Überwachung von Wachstum und Gedeihen sei notwendig, gegebenenfalls ergänzt durch Labordiagnostik.
Andere, insbesondere aus dem anglo-amerikanischen Raum stammende Fachgesellschaften halten eine gut geplante und gegebenenfalls supplementierte vegetarische oder vegane Ernährung für alle Alterstufen und Lebenssituationen für adäquat, sofern der ausreichenden Zufuhr der benötigten Nährstoffe die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Veganer schwer zu überzeugen
Die geschilderte Kasuistik ist sicherlich ein Extremfall, zeigt aber deutlich die potenziellen Gefahren einer unkritischen, streng veganen Ernährung. Das Problem ist, dass viele Veganer dogmatisch und einer solchen Grundsatzdiskussion wenig zugänglich sind. Stattdessen weisen sie nicht selten ein hohes Sendungsbewusstsein für ihre Überzeugungen auf, nicht unähnlich einem religiösen Fundamentalisten. Fakten, die nicht ins Weltbild passen, werden einfach ausgeblendet oder strikt negiert.
Zumindest die Empfehlung für Nahrungsergänzungspräparate mit Vitanin B12 sollte man als Arzt Schwangeren, Stillenden und für Kinder mit dem nötigen Nachdruck erteilen und allein schon aus forensischen Gründen auch dokumentieren, damit hinterher niemand behaupten kann: „Hätten wir das gewusst … !”.
Food for thought.
Quelle: www.coliquio.de (Link erfordert Log-in)