Mit dem Schmerzempfinden der Patienten ist das so eine Sache: Je nachdem wer fragt, tut es entweder ganz besonders weh oder es ist eigentlich gar nicht so schlimm. Insbesondere die oberärztliche Betreuung kann bei starken Rückenschmerzen offensichtlich Wunder wirken.
Kollegin Frischling hat Kai aufgenommen. Er ist 24 und hat starke Rückenschmerzen, die ins rechte Bein ausstrahlen. Am Vormittag war er deshalb in der Notaufnahme und ist nun zur weiteren Diagnostik in der Klinik geblieben. Die Kollegin befürchtet einen akuten Bandscheibenvorfall.
Kollegin Frischling schreibt in ihrem Aufnahmebericht, dass er die Großzehe und den Fuß nur eingeschränkt heben kann. Eine akute Kraftgradminderung nach Janda von 2/5 entspricht einer sehr schwachen Beweglichkeit, die nicht gegen die Schwerkraft durchgeführt werden kann. Zudem gibt der Patient eine Gefühlsminderung an.
Kai liegt gekrümmt im Bett
Sie hat den dringenden Verdacht eines akuten Bandscheibenvorfalls mit Wurzelteilschaden. Deshalb hat sie mich, parallel zur stationären Aufnahme, als Stationsärztin angerufen. Das MRT muss noch heute laufen, der Oberarzt zeitnah informiert werden. Wenn sich der Verdacht bestätigt, empfehlen wir ihm die OP noch heute.
Als ich bei Kai ankomme, geht es ihm nicht besonders gut. Trotz der Schmerzinfusionen liegt er in Schonhaltung im Bett. Ich untersuche ihn erneut und kann den klinischen Befund bestätigen. Ab ins MRT.
Zwei Schmerzinfusionen später treten der Oberarzt der Wirbelsäulenchirurgie und ich zu Kai ans Bett. Sein MRT-Befund ist blande. Nichts. Eine gesunde, junge Wirbelsäule ohne Bandscheibenvorfälle.
Mein Oberarzt untersucht den Patienten. Kraftgrad: 5/5. Er runzelt die Stirn und legt den Kopf schief. Kai geht noch heute nach Hause.
Kopfschüttelnd bleiben wir zurück
Kollegin Frischling und ich stehen, leider nicht zum ersten Mal, kopfschüttelnd vor dem Patientenzimmer. Der Wirbelsäulenoberarzt tröstet uns mit einem Zwinkern im Auge: „Machen Sie sich nichts draus. Ich glaube Ihnen den Untersuchungsbefund von heute morgen. Wer weiß. Vielleicht war die Kraftminderung rein schmerzbedingt. Vielleicht wollte der Patient nur ein schnelles MRT. Oder es war mal wieder die heilende Kraft der oberärztlichen Autorität. Die ist nicht zu unterschätzen.“