Schenkt man den Statistiken Glauben, dann ist Alkohol in Maßen gesünder als völlige Abstinenz. Doch ist das so?
Seit die Menschen angefangen haben, vergorene Früchte und Getreidekörner zu trinken und deren Wirkungen spüren, geistert auch die Vorstellung durch die Welt, dass Alkohol Medizin ist. Wie schrieb einst der griechische Philosoph Plutarch im Jahre 100 nach Christi?: „Der Wein ist unter den Getränken das nützlichste, unter den Arzneien das schmackhafteste, unter den Nahrungsmitteln das angenehmste".
Die Franzosen tranken Wein und lieferten den Hinweis darauf, dass das Genussmittel gesünder ist als gedacht. Sie litten wesentlich seltener unter Herzinfarkten als Menschen, die in den mitteleuropäischen Ländern zuhause waren. Dies fanden die Forscher im vergangenen Jahrhundert heraus, denn die Bürger Frankreichs konsumierten schon damals Genussmittel, die als ungesund für Gefäße und das Herz galten.
Das „French Paradox“ war schnell erklärt, denn es musste der Rotwein sein. Die roten Weintrauben enthalten Polyphenol Resveratrol. Dies ist ein Wirkstoff, der in der Haut der Trauben sitzt und dem eine antioxidative Wirkung nachgesagt wird. So sollten laut Untersuchungen Abstinenzler eher sterben als Leute, die Alkohol in Maßen genossen. Die positive Wirkung des Alkohols wurde damit bestätigt.
Experten wie der Professor Karl Mann, der in Mannheim als Mediziner für Suchterkrankungen am Institut für Seelische Gesundheit tätig ist, gehen davon aus, dass bei diesen Studien der Lebensstil der Bewohner nicht berücksichtigt wurde. Die Menschen aus dem Mittelmeerraum ernährten sich überwiegend mediterran. Diese Kost besteht überwiegend aus Fisch, Gemüse, Obst, Nüssen und Olivenöl und ist gesund und gut für das Herz. Damit stellte sich die Annahme, Rotwein sei für die Gesundheit zuständig, als falsch heraus.
Im Jahre 2014 fand eine US-Studie heraus, dass ein hoher Resveratrol-Spiegel keinen Nutzen auf die Gesamtsterblichkeit hat. Damit wurde der Verdacht vom preiswerten Resveratrol widerlegt.
Studien, die besagen, dass gelegentliche Trinker länger leben, beruhen auf schlechten Untersuchungsergebnissen. Bei diesen Analysen wurden Abstinenzler, trockene Alkoholiker und Wenigtrinker in einen Topf geworfen und ausgewertet. Dies ergab sich aus einer Studie, die im März 2016 im „Journal of Studies on Alcohol and Drugs“ abgedruckt wurde. Zu den Abstinenzlern wurden die trockengelegten Alkoholiker hinzugerechnet. Abstinenzler sind jedoch Menschen, die gegen den Alkoholkonsum sind, während trockene Alkoholiker eine Entziehung gemacht haben. Werden die Ex-Alkoholiker aus den Abstinenzlern herausgerechnet, so verschwindet der günstige Effekt, der dem moderaten Konsum von Alkohol auf die Gesamtsterblichkeit zugesprochen wird.
Alkohol ist für Menschen, die an Herzproblemen leiden, nicht empfehlenswert. Die Herzkranzgefäße werden durch den Alkohol zwar geweitet und das Risiko für Herzversagen vermindert, aber dieser Effekt ist mehr statistischer Natur und nicht allgemeingültig anwendbar. Das sagt der Professor der Universität Heidelberg Steven Dooley, der an der Medizinischen Fakultät Mannheims als Leiter der Sektion für Alkoholerkrankungen tätig ist. Da der Blutdruck durch Alkohol erhöht wird, steigt gleichzeitig das Risiko eines Herzinfarktes. Deshalb ist es empfehlenswert, auf Alkohol zu verzichten, wenn Herzprobleme bekannt sind.
Der Griff nach einem Glas Wein oder Bier hat keinen gesundheitlichen Aspekt und entfällt als Begründung. Mittlerweile sind rund 200 Krankheiten im Zusammenhang mit Alkohol bekannt, die durch die Inhaltsstoffe verstärkt oder ausgelöst werden können. Bei dem Genuss von alkoholischen Getränken muss die Leber jedes einzelne Molekül vom Alkohol abbauen. Innerhalb bestimmter Grenzen kann der gesunde Körper die Zell- und Nervengifte gut verarbeiten, jedoch kann die schädliche Wirkung durch verschiedene Faktoren verstärkt werden.
„Leider ist nicht bekannt, welche Faktoren generell dazu gehören“, sagt Dooley. Auch innerhalb der risikoarmen Konsumgrenze kann es zu Gefahren kommen. Dies ist u. a. vom allgemeinen Zustand und der individuellen Verfassung des Trinkenden abhängig und spielt eine große Rolle. Wer täglich ein Glas Wein oder Bier trinkt, rutscht durch die Gewohnheit schnell in eine Abhängigkeit. Bei der Einschätzung ob eine Abhängigkeit vorliegt, können verschiedene Tests behilflich sein. Der CAGE-Test wurde aus vier leichten Fragen konstruiert und ist der bekannteste von allen.
Täglich sollten Frauen nicht mehr als 12 Gramm reinen Alkohol zu sich nehmen, was einem kleinen Glas Wein oder 0,3 Liter Bier entspricht. Männer sollten eine Menge von 24 Gramm nicht überschreiten, empfiehlt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen. Eins bis zwei alkoholfreie Tage in der Woche beugen außerdem einer Gewöhnung vor. Wer innerhalb dieser Grenzen bleibt, liegt in der risikoarmen Konsumgrenze, jedoch kann nicht verallgemeinert werden, dass der Genuss dann ganz gefahrlos möglich ist.
Wer sich hin und wieder zum Feierabend oder am Wochenende ein Gläschen Alkohol gönnt, kann das auch bedenkenlos genießen und das psychische Wohlbefinden damit unterstreichen. Jedoch sollte der Aspekt der Gesundheit für den Körper weggelassen werden, da er falsch ist. Menschen, die selten Alkohol trinken, dafür aber dann große Mengen konsumieren, leben gesundheitlich gefährlicher als Leute, die sich zwar regelmäßig ein Gläschen Bier oder Wein gönnen, es aber auch bei einem Glas belassen.
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