Im Zuge der Transparenzinitiative gaben 20.000 Mediziner preis, wie viel Geld ihnen 2015 von der Pharmaindustrie gezahlt worden war. Die Initiative zielte ursprünglich darauf ab, das Vertrauen in die Branche zu vergrößern. Ist dies gelungen? Oder wurde eher der Ruf des Arztes beschädigt?
DocCheck Research hat das Thema aufgeriffen und rund 150 Allgemeinmediziner, Internisten und Praktiker befragt. Die Ergebnisse zeigen: Zumindest ein Drittel der Ärzte befürwortet die Initiative schon jetzt generell. Die Mehrheit ist jedoch noch skeptisch. Viele Ärzte ärgern sich vor allem über die Art der Berichterstattung. „Die Transparenzinititiative ist gut; die unreflektierte Publikation auf Spiegel Online aber eine Katastrophe. Der wedelnde Geldschein auf den begleitenden Bildern schafft das Bild des korrupten Arztes“, schreibt ein Arzt, den DocCheck im Rahmen einer Umfrage kontaktierte. „Warum werden Referenten eingeladen? Weil sie auf ihrem Gebiet Experten sind. Meine achtstündige Abwesenheit von Praxis und Wohnort wurde durch Honorare von 500-750 Euro (selten 1000) vor Steuern im Rahmen eines Vertrages mit einer Pharmafirma kompensiert. (...) Ich werde aber keine Vorträge mehr halten. Die von mir fortgebildeten Kollegen müssen sich andere Referenten suchen. Tut mir leid, es hat Spaß gemacht, aber ich will mich nicht noch mal öffentlich an den Pranger stellen lassen. (...) FSA ist gut, wenn alle mitmachen und wenn eine seriöse Berichterstattung möglich ist. Im Neid-Land Deutschland geht das aber nicht.“ Mit dieser Aussage steht der zitierte Arzt nicht alleine da. Die Mehrheit der befragten Ärzte – immerhin 59 % – ist besorgt, dass das Bild von Ärzten in der Öffentlichkeit durch die Berichterstattung über die Honorarbezüge Schaden genommen hat. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die DocCheck Research im August durchführte und dabei rund 150 niedergelassene Allgemeinmediziner, Internisten und Praktiker befragte. *Hierbei bedeutet „angemessen“: Aufwände werden dem Stand eines Durchschnittsarztes entsprechend honoriert © DocCheck Research; Basis: n = 150 ndgl. APIs; Feldzeit: 16.08.-29.08.2016 Neben konkreten Fragen innerhalb der Umfrage, gab es für Ärzte auch die Möglichkeit, sich frei zu äußern: Ein niedergelassener Hausarzt beklagt dort, dass die Transparenzinitiative eher das Image des Arztes beschädigt habe: „Leider behandelt die Presse das Thema nicht differenziert, sondern diffamiert alle, die Honorare erhalten haben, egal wofür. Durch eine solche Berichterstattung werden in Zukunft noch weniger Ärzte einer Veröffentlichung zustimmen.“
Der Transparenzkodex ist, nach amerikanischen Vorbild, eine Initiative des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (VfA) und des Vereins Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA). Ziel des Projekts sei, ein wachsendes Verständnis für die Zusammenarbeit von Ärzten und Unternehmen zu schaffen, erklärte der VfA. Ende Juni legten 54 Pharmakonzerne erstmals offen, wie viel Geld sie an Ärzte in Deutschland im Jahr 2015 gezahlt haben. 575 Millionen Euro flossen demnach im vergangenen Jahr an mehr als 71.000 Ärzte und Fachkreisangehörige wie Apotheker sowie an 6.200 medizinische Einrichtungen. Ein knappes Drittel dieser Ärzte (rund 20.000) stimmte zu, dass die an sie geleisteten Zahlungen veröffentlicht werden dürfen. Die Veröffentlichung der Zahlen allein sorgte zunächst für wenig Aufsehen. Doch Spiegel Online und das Recherchezentrum „Correctiv“ werteten die Daten aus und veröffentlichten Mitte Juli eine Datenbank mit den Namen der Ärzte, die im Jahr 2015 Geld von der Pharmaindustrie erhalten hatten und einer Veröffentlichung zugestimmt hatten. Unter der Überschrift „Vielen Dank für die Millionen!“ konnte nun jeder Leser anhand von Namen, Ort oder Postleitzahl nach Ärzten und ihren Verdiensten suchen. Fast alle Medien, egal ob Print oder Online, griffen das Thema auf und verwiesen stets auf die Online-Datenbank. Diese Berichterstattung bereitet Ärzten nach wie vor Sorgen: In unserer Umfrage erzählt ein Arzt: „In den Veröffentlichungen wird nicht benannt, welchem Zweck diese Honorare dienten, etwa großen regionalen Fortbildungsveranstaltungen mit Sponsoring vieler großer Unternehmen. Aus dem Munde meiner Patienten wird diese Veröffentlichung lediglich als Bestechung einzelner Ärzte durch Pharamakonzerne interpretiert.“
Viele Ärzte stören sich also nicht an der Veröffentlichung der Daten, aber an der Berichterstattung darüber. Gerade die Veröffentlichung auf Spiegel Online mit der Überschrift „Vielen Dank für die Millionen!“ und dem provokanten Bild, das einen Arzt zeigt, der sich Geldscheine in die Brusttasche steckt, sorgte für Unmut. Daraufhin baten wir Spiegel Online um eine Stellungnahme. Der Verlag antwortete prompt: „Spiegel Online kritisiert die Praxis, dass Ärzte in geschäftlichen Beziehungen mit Pharmafirmen stehen. Deshalb haben wir ausführlich über den Transparenzkodex berichtet und alle öffentlich verfügbaren Daten in eine eigene Datenbank eingepflegt und diese online gestellt. Die Headline ‚Vielen Dank für die Millionen!‘ spitzt das Ganze zu - aber wir halten das für angemessen.“ Und auch zur Wahl des Fotos liefert der Spiegel-Verlag eine Erklärung: „Gleiches gilt für das Foto, das einen Arzt zeigt, der sich Geld einsteckt. Viele Ärzte kassieren schon seit Jahren Honorare von der Pharmabranche – nur hat kein Patient bislang etwas davon mitbekommen. Diese Zahlungen waren bislang geheim - und ein Teil der Ärzte will und kann sie auch weiterhin verheimlichen. Die gesetzliche Regelung zum Transparenzkodex erlaubt dies ausdrücklich (was wir ebenfalls kritisieren). Patienten sollten wissen, welche Zahlungen ihr Arzt von Pharmaherstellern bekommt, denn diese Zahlungen könnten, wie Studien zeigen, die Auswahl von Medikamenten durch die Ärzte beeinflussen.“
Auch bei der Bundesärztekammer fragten wir nach, wie sie als Standesvertreter die Berichterstattung zur Transparenzinitiative beurteilen. Können Sie die Sorgen der Ärzte verstehen? Sieht die Kammer Handlungsbedarf bei der Transparenzinitiavie und der Berichterstattung darüber, weil der Ruf des Arztes geschädigt worden ist und auch weiterhin in Verruf geraten könnte? Leider erhielten wir auf unsere Fragen keine Antwort. Dabei wäre ein Statement angebracht gewesen, denn 59 % der befragten Ärzte haben Sorge, dass das Bild von Ärzten in der Öffentlichkeit durch die Berichte über die Honorarbezüge Schaden genommen hat. Dabei war es doch genau das Gegenteil, was die VfA mit der Aktion erreichen wollte: Ziel war es ja schließlich, ein nach eigenen Angaben wachsendes Verständnis für die Zusammenarbeit von Ärzten und Unternehmen in der Öffentlichkeit zu schaffen. Doch dieses Verständnis bringt die Öffentlichkeit derzeit nicht auf. Und dennoch haben weiterhin viele Ärzte Vertrauen in die Initiative. 34 % stimmen der Aussage zu, dass der Transparenzkodex der Weg in die richtige Richtung ist. Er ist geeignet, um das Vertrauen in eine seriöse Zusammenarbeit zwischen Pharmaunternehmen, Heilberuflern und Institutionen zu stärken. Ganz anders sieht das rund ein Viertel der befragten Ärzte: 24% halten den Transparenzkodex für ein völlig falsches Signal an die Öffentlichkeit. © DocCheck Research; Basis: n = 150 ndgl. APIs; Feldzeit: 16.08.-29.08.2016 Ein Arzt erklärt dazu: „Wenn es in der Vergangenheit nicht das Fehlverhalten weniger gegeben hätte, müsste jetzt nicht allen Misstrauen entgegen gebracht werden (...).“ Dieser Aussage würden sicherlich auch viele andere Ärzte zustimmen, denn die Mehrzahl sieht kein Problem in der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Industrie. 69 % halten es für legitim, dass Ärzte auf Experten- und Beratungsebene mit der Industrie zusammenarbeiten und für ihre Aufwände in angemessenem Rahmen honoriert werden.
Andererseits halten es auch Ärzte für sinnvoll, wenn in der Branche mehr Transparenz herrscht. Und zwar dann, wenn sie selbst einen medizinischen Fachmann und seine Aussage einschätzen wollen. So halten es 66 % der befragten Ärzte für hilfreich, wenn sie genauer überprüfen können, ob ein Experte, der etwa auf einem Kongress spricht, Gelder erhalten hat oder nicht. In diesem Zusammenhang schreibt ein Arzt: „Extreme Aussagen in beide Richtungen sollten vermieden werden, wie etwa: Alle Ärzte sind bestechlich. Oder: Alle Aussagen auf Kongressen sind gekauft.“ Bei all der Berichterstattung muss man bedenken: Durch die Initiative zum Transparenzkodex wurde das Thema Honorarvergütung medizinischer Experten durch die Industrie zum allerersten Mal in dieser Ausführlichkeit ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht. Der Plan ist es, diese Zahlen nun jedes Jahr zu veröffentlichen. Die Zeit wird zeigen, ob das die Chancen für eine zunehmende Akzeptanz erhöht oder ob die Öffentlichkeit diese Zusammenarbeit kritisch sieht – je mehr sie darüber weiß. Durch die Offenlegung der Daten bietet sich aber auch für Ärzte die Möglichkeit der wechselseitigen Kontrolle. Die Medien haben ihrerseits die Verantwortung durch differenzierte Berichte die honorierten Leistungen öffentlich zu machen und gegebenenfalls Missstände aufzudecken. Pauschale Verurteilungen dienen weder Ärzten noch Patienten. Letztlich würden sie dazu führen, dass alle Geschäfte wieder hinter geschlossenen Türen abgewickelt werden und die Transparenzinitiave eingestellt wird. Weitere Infos zur Studie bei DocCheck Research