Blasenentzündungen kommen häufig vor und werden meist mit Antibiotika behandelt. Jetzt haben Forscher entschlüsselt, wie die Bakterien ihre Form verändern, um sich tief in der Blasenwand einzunisten. Dies eröffnet neue Wege zur Behandlung und Vorbeugung von Zystitiden.
Jedes Jahr erkranken mehrere Millionen Menschen an einer Blasenentzündung – hauptsächlich Kinder und sexuell aktive Frauen. Die Symptome sind für die Betroffenen sehr unangenehm: Sie umfassen Schmerzen und Brennen beim Wasserlasssen, häufigen Harndrang, bei dem nur geringe Mengen Urin abgegeben werden, Blasenkrämpfe und teilweise auch Blut im Urin. Häufigste Auslöser sind Bakterien aus der Darmflora – in 70 bis 95 Prozent der Fälle Escherichia Coli-Bakterien. Aber auch andere Bakterienarten, Hefepilze, Clamydien oder Viren können eine Blasenentzündung auslösen. Die Infektion wird in den meisten Fällen mit Antibiotika behandelt – bei einer unkomplizierten Entzündung sind meist ein bis fünf Tage Behandlungsdauer ausreichend. Einmal aufgetreten, kommt die Blasenentzündung allerdings bei vielen Betroffenen immer wieder vor. Das liegt unter anderem daran, dass die Bakterien die Fähigkeit haben, die antibiotische Behandlung zu überleben und neue Infektionen auszulösen. Trotz ihrer Häufigkeit sind die Zusammenhänge bei einer Blasenentzündung bisher wissenschaftlich nicht genau verstanden. Nun hat ein dänisches Forscherteam entdeckt, wie die verantwortlichen Bakterien zu einer anhaltenden Entzündung führen. Dies könnte die Grundlage sein, um bessere Behandlungsansätze und neue Methoden zur Vorbeugung von (wiederkehrenden) Blasenentzündungen zu entwickeln.
Für ihre Untersuchung entwickelten die Forscher um Jacob Møller-Jensen vom Institut für Biochemie und molekulare Biologie an der Universität Süddänemark ein künstliches Blasenmodell. Dieses besteht aus einer kleinen Kammer, die mit Blasenzellen ausgekleidet ist und mit menschlichem Urin gefüllt wird. In diese Kammer gaben die Forscher Escherichia Coli-Bakterien und konnten so das Verhalten der Bakterien in jedem Stadium der Entzündung beobachten und analysieren. Die Ergebisse veröffentlichte das Forscherteam jetzt in der Fachzeitschritft „mBio“. Bisher war bekannt, dass Escherichia Coli-Bakterien in die Zellen der Harnblase eindringen können, wo sie sich anheften und wachsen. Als Reaktion darauf stößt die Blase ihre äußere Zellschicht ab, so dass viele der Bakterien mit dem Urin ausgeschieden werden – die Ursache des charakteristischen trüben Urins bei einer Blasenentzündung. Allerdings sind einige der Bakterien „schlau“ genug, um die Abstoßung zu vermeiden: Studien an Mäusen und beim Menschen haben gezeigt, dass sie während der Blaseninfektion ihre Form verändern und extrem lang und dünn werden – ein Prozess, den man auch als Filamentbildung bezeichnet. Dieser Vorgang ist entscheidend dafür, dass die Entzündung entsteht: Denn so können sich die Bakterien besser an die Blasenwand anheften, sich ausbreiten und mehr und mehr Blasenzellen befallen. Schließlich dringen sie auf diese Weise in die tiefsten Schichten der Blasenwand ein, wo sie aufhören, sich zu teilen. In diesem Stadium können weder das körpereigene Immunsystem noch Antibiotika die Bakterien erreichen.
Bis jetzt war unbekannt, wie Escherichia Coli-Bakterien es schaffen, ihre Form im Verlauf der Infektion zu verändern. Nun konnte das Forscherteam mithilfe des künstlichen Blasenmodells den Verlauf der Entzündung per Mikroskop genau beobachten. „Außerdem haben wir Bakterien aus verschiedenen Stadien des Entzündungsprozesses gesammelt und die Genexpression während der Umwandlung der Bakterien analysiert“, berichtet Møller-Jensen. „Auf diese Weise konnten wir herausfinden, welche Mechanismen dazu führen, dass die Bakterien fadenförmig werden.“ Bereits in früheren Studien ging es darum, die Gene zu identifizieren, die an der Filamentbildung von Bakterien beteiligt sind. „Unsere Studie ist jedoch die erste, die die Genexpression von Escherichia Coli systematisch in jeder Phase des Erkrankungsprozesses untersucht hat“, so Møller-Jensen. Bei ihren Analysen entdeckten die Forscher, dass das Zellteilungs-Gen damX mit der Filamentbildung der Bakterien zusammenhängt. Im nächsten Schritt schalteten sie dieses Gen in einem Versuch mit Mäusen aus und prüften, ob die Bakterien nach wie vor zu einer Blasenentzündung führen. „Dabei haben wir beobachtet, dass die Bakterien nicht mehr fadenförmig wurden. Sie waren nicht mehr in der Lage, die Blase langzeitig zu besiedeln und eine anhaltende Entzündung auszulösen. Darüber hinaus war auch ihre Fähigkeit, in die tieferen Schichten der Blase einzudringen, deutlich vermindert“, berichtet Thomas Emil Anderson von der Odense Universitäts-Klinik, einer der leitenden Autoren der Studie. „In anderen Worten: Wenn wir diesen genetischen Mechanismus ausschalten, untergraben wir die schädlichen Fähigkeiten des Bakteriums.“
Dies sei das erste Mal, dass ein so detaillierter Einblick in den Veränderungsprozess der Bakterien gelungen sei, schreiben die Autoren. Das künstliche Blasenmodell sei dabei von großem Vorteil, um eine Infektion der Zellschichten der Blasenwand zu simulieren und Untersuchungen durchzuführen, die im Tiermodell nur schwer zu realisieren seien. „Die Ergebnisse eröffnen neue Möglichkeiten, um die Aktivität von Escherichia Coli-Bakterien zu kontrollieren“, sagt Møller-Jensen. „Wenn man sie durch Ausschalten des damX-Gens daran hindert, einen fadenförmigen Zustand anzunehmen, könnte schon das erste Stadium der Erkrankung verhindert werden.“ Auf diese Weise könnte auch wiederkehrenden und problematischen Harnwegsinfektionen vorgebeugt werden. Darüber hinaus ist Escherichia Coli nicht das einzige Bakterium, das die Filamentbildung als Überlebensstrategie einsetzt. Diese wird zum Beipiel auch von Salmollen und Bakterien der Gattung Klebsiella genutzt, die inzwischen gegen viele Antibiotika resistent sind. „Es wird interessant sein zu sehen, ob diese Bakterien auf die gleiche Art unter Kontrolle gebracht werden können“, sagt Andersen. Im nächsten Schritt wollen die Forscher untersuchen, wie damX auf molekularer Ebene die Zellteilung beeinflusst.