Drücken und beatmen. Der Piepston des Defibrillators gibt den Rhythmus vor und wir passen uns an. Wir animieren Herrn Rhein. Es ist meine erste Reanimation am Patienten. Nach einer halben Stunde bekommt er dann seine letzte Chance.
Dies ist die Geschichte meiner ersten Reanimation. Was bisher geschah, findet ihr im ersten Teil, hier.
Wir reanimieren Herrn Rhein. Initial habe ich mich in die Reihe der „Drücker“ gestellt und mache zwei, drei Zyklen Kompressionen, während mein Oberarzt jeweils nach 30 Kompressionen zweimal mit dem Beatmungsbeutel beatmet.
Nach einer Viertelstunde winkt mich mein Oberarzt zum Kopf, ich darf die Beatmungen durchführen. Anscheinend kommt damit auch die Aufgabe, zu bestimmen, wer als nächstes drückt. Das finde ich erst heraus, als die Assistenzärztin der Intensivstation 5 Zyklen hinter sich hat und noch einen sechsten anhängen muss, weil niemand übernimmt. Ich weise den chirurgischen Assistenzarzt an, am Ende ihrer dreißig Kompressionen zu übernehmen.
Der Piepston gibt den Rhythmus vor
Es fühlt sich seltsam an, wie wir drei unerfahrenen Ärzte zusammen arbeiten. Auch wenn ein Intensivmediziner und ein Oberarzt der Anästhesie über unsere Schultern schauen. Das Wort „Kinderspielplatz“ schießt mir durch den Kopf. Aber wir arbeiten gut miteinander – fast wortlos. Die Beatmungen sind kein Problem, schließlich mache ich das auch sonst jeden Tag bei den Vollnarkosen vor der Intubation.
Der Defibrillator hat an der Kompressionstiefe meiner Kollegen nichts zu meckern. Sein Piepston gibt den Rhythmus vor und wir passen uns an. Auf dem Display stehen Geschwindigkeit und Tiefe des Drucks. Grüner Bereich überall.
„Wir machen hier so lange, wie wir müssen.“
Nach einer halben Stunde hebt der Intensivmediziner die Hand. Alle halten inne, nehmen die Hände weg vom Patienten und starren auf den EKG-Monitor. Das ist Herrn Rheins letzte Chance.
Alle paar Sekunden hebt sich eine winzig kleine Zacke aus der Nulllinie. Kein echter Rhythmus, aber besser als nichts. Der Intensivmediziner nickt und sagt: „Weiter.“
Der chirurgische Assistenzarzt übernimmt auf mein Zeichen hin die Kompressionen. Dreißig Mal drücken, zweimal beatmen. Fünfmal. Ich deute auf die Intensivpflegekraft für den nächsten Zyklus. Wir machen hier so lange, wie wir müssen. Als sie ihre 5 Zyklen beendet hat, hebt der Intensivmediziner erneut die Hand.
Die Linie ist flach. Nichts. Keine Zacken.
Das war’s.
Keine Gefühle, nur Ratlosigkeit
„Also, alle Hände weg vom Patienten. Wir lassen alles genau, wie es ist, keiner fasst ihn an. Wir entscheiden, ob das hier als natürlicher oder nicht natürlicher Tod gilt. Bis dahin betritt niemand das Zimmer.“ Mit diesen Worten verlässt der Intensivmediziner den Raum. Ich stehe etwas verloren am Kopf. Herr Rhein liegt noch genauso da wie vorhin.
Einer nach dem Anderen verlässt das Patientenzimmer wortlos. Vielleicht auch nicht wortlos, aber ich höre keine Gespräche. Ich lausche stattdessen angestrengt in mich hinein, finde aber keine Gefühle, nur eine Art Leere. Eine Ratlosigkeit.
Draußen stehen der chirurgische Assistenzarzt und seine Oberärztin, die noch leise das weitere Vorgehen besprechen. Der Assistenzarzt ist nicht besonders interessiert – er sollte eigentlich auf dem Notfall sein, nicht hier. Er kennt auch den Patienten nicht. Er ist nur zuständig, weil heute Samstag ist und er Dienst hat.
Zurück zum Alltag
Bleiben nützt jetzt nichts. Meine Schmerzpatienten warten auf mich. Zwei junge, gesunde Männer mit Schmerzkathetern nach Knieoperationen. Mir ist aber gerade nicht danach, sie zu sehen.
Ich belohne mich für die harte Arbeit mit einem Gipfeli und gehe dann auf die Visitenrunde. Meine jungen Patienten sind fröhlich und freundlich. Einer sitzt mit seiner Freundin auf dem Balkon und frühstückt in der Sonne. Schmerzen hat er keine. Spätestens morgen darf er dann nach Hause. Auch der andere ist schmerzfrei und wird schon heute Nachmittag entlassen. Ihre Fröhlichkeit steckt mich nicht an – obwohl ich sonst gut auf Patientenstimmungen reagiere.
Nach der Visite verkrieche ich mich ins Büro. Ich bin unendlich müde. Das ist das Adrenalin. Das kenne ich schon.
Am Anfang meiner Karriere hat mich der Adrenalinausstoß immer etwas überrascht. Ich wurde nervös davon, habe mich zu wenig davon abgrenzen können und unnötige Hektik verbreitet. Seit mir das schließlich klar wurde, setze ich mich bewusster solchen Situationen aus, um zu lernen, den Klumpen im Brustkorb zu bekämpfen. Ruhig bleiben in Stresssituationen ist eine der Haupteigenschaften eines Anästhesisten.
Ich kann inzwischen meist recht gut damit umgehen. Was bleibt, ist die Müdigkeit, wenn die Wirkung nachlässt. Ich könnte mich einfach hinlegen und ein Nickerchen machen, so erschöpft bin ich. Natürlich ist dafür keine Zeit. Ich habe Sprechstunden, Notfälle und eine Liquorpunktion (Hirnwasseruntersuchung, siehe zB hier) auf dem Programm.
Bei der Punktion zittern meine Hände leicht, aber sie klappt auf Anhieb.
Ich bin froh, als ich endlich zu Hause bin. Reden mag ich nicht – fernsehen oder lesen auch nicht. Ich gehe schon vor Neun ins Bett. Grundsätzlich zufrieden mit meiner Leistung, aber gänzlich unzufrieden mit dem Resultat.