Es ist 18 Uhr, als die Spätvisite zu Ende geht. Ein Arzt und eine Krankenschwester öffnen die Tür und begrüßen den Patienten. Sie schütteln sich die Hände und plaudern weiter, während der Arzt die Infusion des Patienten einstellt. Zu diesem Zeitpunkt könnten bereits gefährliche Bakterien und andere Keime in den Körper des Patienten gelangt sein – weil das medizinische Personal vergessen hat, seine Hände zu reinigen.
„Es ist eine typische Szene, die ich schon oft beobachtet habe“, sagt Hygiene-Experte Dr. Arjun Srinivasan. „Es ist nicht so, dass medizinische Fachkräfte keine Ahnung von richtiger Händehygiene haben. Die Herausforderung besteht darin, ihre Hände oft zu desinfizieren und sich jedes Mal daran zu erinnern, auch in Stress- und Notfallsituationen.“ Srinivasan arbeitet als stellvertretender Direktor des Programms Healthcare Associated Infection Prevention bei der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde Centers for Disease Prevention and Control (CDC). „Wir müssen medizinisches Personal nicht davon überzeugen, dass es wichtig ist, seine Hände zu desinfizieren – über diese Notwendigkeit ist sich jeder bewusst. Stattdessen wollen wir Ansätze finden, die den Profis dabei helfen, sich jedes Mal daran zu erinnern.“
Dr. Arjun Srinivasan, Centers for Disease Prevention and Control
„Es gibt keine Richtlinie für Verhaltensänderungen”
Die Einführung alkoholbasierter Handreiniger „hat die Menschen dabei unterstützt, ihre Hände sauber zu halten“, sagt Srinivasan. Darüber hinaus arbeiten Institutionen wie die CDC kontinuierlich an Richtlinien und Empfehlungen für die richtige Händehygiene. „So wertvoll Richtlinien auch sein mögen um faktengestützte Praktiken zu identifizieren, so ineffektiv sind sie manchmal, wenn es um direkte Verhaltensänderungen geht.“ Beispielsweise untersuchte eine Arbeitsgruppe [1] die Verbreitung, Umsetzung und Auswirkung der überarbeiteten CDC-Händehygiene-Richtlinien auf die Praxis in 40 Krankenhäusern, die mit nationalen nosokomialen Infektionsüberwachungssystemen ausgestattet sind. Die Forscher stellten fest, dass das Krankenhaus-Personal die Richtlinien gut kannte. Zudem waren strukturelle Änderungen vorgenommen worden, um neue Richtlinien umzusetzen und sicherzustellen, dass die Produkte dem Personal zur Verfügung standen. Im Vergleich von Krankenhäusern mit hohen und niedrigen Richtwerten für die Umsetzung [2] gab es jedoch keinen Unterschied in der Ausführung der Händehygiene oder im Ergebnis der Infektionsraten.
„Man muss den psychologischen Aspekt hinter einer Verhaltensänderung verstehen“, sagt Srinivasan. Es gibt verschiedene theoretische Modelle und Verbesserungsstrategien, aber manchmal funktionieren Maßnahmen nicht in allen Organisationen gleichermaßen gut. Experten gehen davon aus, dass Interventionen die Personalpraxis oft nicht verbessern, weil sie nicht auf bestimmte Problembereiche innerhalb einer Organisation zugeschnitten sind. „Führungskräfte spielen eine große Rolle, um Verhaltensänderungen zu erzielen, da sie Vorbildsfunktionen für das gesamte Team einnehmen. Wenn Teamleiter eine gute Handreinigung praktizieren, wird der Rest des Teams es ihnen nachmachen. Leider ist das auch umgekehrt der Fall“, erklärt Srinivasan. Aus diesem Grund richten die CDC bestimmte Botschaften speziell an Oberärzte, um sie auf ihren Einfluss hinsichtlich der Händehygiene aufmerksam zu machen.
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Was sind die CDC?
Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sind die führende öffentliche Gesundheitsbehörde der USA und eine Bundesanstalt des US-Ministeriums für Gesundheit und Soziales mit Hauptsitz in Altlanta, Georgia. Das Kernziel der CDC ist der Schutz der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit durch die Kontrolle und Prävention von Krankheiten, Verletzungen und Behinderungen in den USA und auf internationaler Ebene. Die Behörde will national auf die Entwicklung und Anwendung der Seuchenbekämpfung und -prävention aufmerksam machen.
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„Patienten einbeziehen für eine bessere Hygiene”
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Patienten und ihre Familien in den Prozess miteinzubeziehen. Mit Informationsbroschüren und gut sichtbaren Schildern neben Spülbecken oder Handabstreifern machen medizinische Einrichtungen auf das Thema Händehygiene aufmerksam. „In den USA ist in den letzten Jahren eine andere Form der Kampagne populär geworden, weil sie effektiv und günstig ist", sagt Sriniviasan. Er bezieht sich auf Ansteckschilder für Mediziner, auf denen Sätze stehen wie ,Fragen Sie mich, ob ich meine Hände desinfitziert habe’. Diese Aktionen ermutigen Patienten und Besucher, ihre Pfleger und Ärzte an die richtige Händehygiene zu erinnern, ohne die Verantwortung vom Pflegepersonal auf Patienten und Besucher zu übertragen. [3] Die meisten Patienten werden hören: „Ja, ich habe mir die Hände gewaschen, aber ich wiederhole es gerne auch noch einmal in Ihrer Anwesenheit“. Diese aktive Maßnahme stärkt das Vertrauen. Das Wohlbefinden des Patienten zu steigern, ist nur ein Ergebnis solcher Kampagnen [4].
„Es gab viele Studien, die zahlreiche Erkenntisse hervorgebracht haben. Zum einen sind die Compliance-Raten bei Händehygiene-Kampagnen von 50 Prozent auf weit über 90 Prozent gestiegen. Gleichzeitig sanken die Infektionsraten“, erklärt Srinivasan. Therapie-assoziierte Infektionen (HAIs, Healthcare–associated infections) stellen eine große Belastung für das US-amerikanische Gesundheitssystem dar. Die CDC schätzen, dass täglich etwa jeder 25. Krankenhaus-Patient von mindestens einer HAI betroffen ist; fast 75.000 von ihnen sterben jedes Jahr. Ein Artikel des JAMA Internal Medicine-Magazins aus dem Jahr 2013 prognostizierte, dass sich die jährlichen Kosten der fünf größten HAIs auf 9,8 Milliarden Dollar [5] summieren werden. Organisationen, die an Kampagnen des Joint Commission's Center teilnehmen, haben durch gezielte, durchgeführte Händehygiene bis zu 2,8 Millionen Dollar an direkten medizinischen Kosten eingespart. [6]
„Ein Kulturwandel für eine bessere Gesundheit”
„Natürlich können Ansteckschilder sowohl für Patienten als auch für medizinisches Fachpersonal einschüchternd sein. Aber es hat bereits zu einem Sinneswandel geführt. Vor einer solchen Ermutigung hätten Patienten es nie gewagt, ihren Arzt oder ihre Krankenschwester zu fragen, ob sie ihre Hände desinfiziert haben“, sagt Srinivasan. Obwohl heute viele medizinische Fachkräfte an solchen ,Button-Kampagnen’ teilnehmen, versteht Dr. Srinivasan die Hemmungen. „Ich würde nie verharmlosen, wie schwer es für Patienten ist, danach zu fragen. Es fällt mir schwer, die Kollegen daran zu erinnern – und sie alle wissen, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene.“
Srinivasan beobachtet eine positive Entwicklung in den USA. „Ein kultureller Wandel hat hier auf beiden Seiten begonnen. Wir müssen nicht nur die Patienten ermutigen zu fragen, sondern auch unseren Gesundheitsexperten helfen, richtig darauf zu reagieren.“ Dr. Srinivasan trägt immer das blau-weiße Ansteckschild an seinem Arztkittel. „Ich gebe zu, dass auch ich als Hygiene-Experte schon einige Male fragenden Patienten antworten musste: ,Ich habe es vergessen. Danke fürs Erinnern.’“
Weiterführende Informationen
[1] Larson E.L., Quiros D., Lin S.X.: Dissemination of the CDC's hand hygiene guideline and impact on infection rates. Am J Infect Control 35:666-675, Dec. 2007.
[2] Measuring Hand Hygiene Adherence: Overcoming the challenges. By The Joint Commission, 2009
[3] Ontario, Canada, Ministry of Health and Long-Term Care: A Quick Guide to Just Clean Your Hands: A Provincial Hand Hygiene Improvement Program for Hospitals. 2008.
[4] McGuckin M., et al.: Global Perspectives on Patient Empowerment and Hand Hygiene Compliance: A Realistic Goal for a Multifaceted WHO Strategy. Society for Healthcare Epidemiology of America scientific meeting, Orlando, FL, April, 2008.
[5] Eyal Zimlichman, et al.: Health Care-Associated InfectionsA Meta-analysis of Costs and Financial Impact on the US Health Care System, JAMA Intern Med. 2013;173(22):2039-2046. doi:10.1001/jamainternmed.2013.9763
[6] Hand Hygiene Buttons and Stickers.
https://www.jointcommissioninternational.org/hand-hygiene-buttons-and-stickers/
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