ADHS, Autismus, Asthma – Paracetamol soll während der Schwangerschaft viele ungewünschte Nebenwirkungen haben. Eine neue Studie will nun einen Zusammenhang von Paracetamol und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern beweisen. Reine Panikmache?
Da es keine randomisierten, placebokontrollierten Studien zu Nutzen und Risiken von Schmerzmitteln bei schwangeren Frauen gibt, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich auf andere, weniger aussagekräftige Untersuchungen zu verlassen. Im Fall von Paracetamol haben verschiedene Beobachtungsstudien eine Assoziation zwischen der Einnahme während der Schwangerschaft und diversen Erkrankungen wie ADHS, Autismus, Asthma und Kryptorchismus gefunden. DocCheck berichtete darüber zuletzt im Juli, als eine Studie aus Spanien ihren Beitrag zu der Debatte leistete. Bei der nun in JAMA Pediatrics veröffentlichten Studie handelt es sich um eine prospektive Kohortenstudie, die im Rahmen der „Avon Longitudinal Study of Parents and Children“ (ALSPAC) 7.796 Mütter aus Bristol, England umfasste. Die Verwendung von Paracetamol wurde mithilfe eines von den Frauen ausgefüllten Fragebogens ermittelt, und zwar in der 18. und 32. Schwangerschaftswoche sowie kurz nach dem 5. Geburtstag des Kindes. Als die Kinder 7 Jahre alt waren, berichteten die Mütter mit Hilfe eine Fragebogens zu „Stärken und Schwächen“ („Strengths and Difficulties Questionnaire“, SDQ) über Verhaltensprobleme bei ihren Kindern. Strukturformel von Paracetamol (N-Acetyl-p-aminophenol) Quelle: Wikimedia Commons Bei der Auswertung der Daten zeigte sich, dass die Einnahme von Paracetamol häufig war – in der 18. Schwangerschaftswoche berichteten 53 % der Mütter, dass sie innerhalb der letzten drei Monate Paracetamol verwendet hatten, in der 32. Woche waren es 42 %. Die Forscher stellten außerdem fest, dass das relative Risiko für Verhaltensstörungen und Hyperaktivität in der Paracetamol-Verwendergruppe 31 bzw. 42 % höher war als in der Nichtverwender-Gruppe. Zudem war die Verwendung von Paracetamol in der 32. Schwangerschaftswoche mit einem um 29 % erhöhten Risiko für emotionale Symptome bei den Kindern und einem um 46 % erhöhten Risiko für Verhaltensschwierigkeiten insgesamt assoziiert.
Doch wie sind diese Zahlen einzuordnen? Zuallererst kann eine Beobachtungsstudie wie diese nie eine Kausalität nachweisen – andere, bei der Analyse nicht bedachte Faktoren könnten die Ergebnisse beeinflusst haben. Eine Schwäche der Studie ist außerdem, dass die Einnahme von Paracetamol nicht direkt gemessen, sondern anhand der Antworten der Frauen bestimmt wurde – das Erinnerungsvermögen spielt hier also eine wichtige Rolle. Außerdem wurden keine Angaben zur Dosis und zur Behandlungsdauer mit Paracetamol erhoben. Weiterhin handelt es sich bei den angegebenen Risk Ratios um relative Werte – tatsächlich sind die absoluten Werte gering, denn Verhaltensprobleme traten nur bei 5-6 % der Kinder von Paracetamol-Verwenderinnen und bei 4-5 % der Nicht-Verwenderinnen auf (bestimmt anhand des Gesamt-SDQ-Score). Sofern der beobachtete Effekt von Paracetamol also nicht nur auf Artefakte oder Störfaktoren zurückzuführen ist, handelt es sich dabei nur um eine kleine Erhöhung eines ohnehin schon geringen Risikos. Dies sieht auch Studienleiterin Dr. Evie Stergiakouli so und warnt vor einer Panikmache: „Es gilt weiterhin als sicher, Paracetamol während der Schwangerschaft zu verwenden, daher sollten Ärzte und andere Angehörige der Gesundheitsberufe schwangeren Frauen nicht dazu raten, den Gebrauch von Paracetamol einzuschränken.“ Trotzdem ist es wichtig, das Phänomen näher zu untersuchen, um auf Basis einer besseren Datenlage eine genauere Abschätzung der Nutzen und Risiken von Paracetamol vorzunehmen, denn bislang gilt Paracetamol aufgrund seines guten Sicherheitsprofils als der Wirkstoff der Wahl zur Linderung von Schmerzen bei schwangeren Frauen: Das Risiko für Fehlbildungen ist unter Paracetamol nicht erhöht und es gibt keine Hinweise auf eine Feto- oder Neonataltoxizität.
Gerade in der Schwangerschaft haben Frauen häufiger mit Schmerzen zu kämpfen, denn zusätzlich zu den auch bei Nicht-Schwangeren häufigen Ursachen wie Kopfschmerzen und Erkältungskrankheiten macht der weibliche Körper während der Gravidität starke Veränderungen durch. Das zusätzliche Gewicht belastet beispielsweise Gelenke und Wirbelsäule – etwa jede zweite Frau klagt über Rückenschmerzen während der Schwangerschaft. Halten die Schmerzen an, kann dies eine erhebliche psychische Belastung darstellen, wodurch das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen steigt. „Schmerzen oder Fieber während der Schwangerschaft nicht zu behandeln, birgt Risiken,“ meint auch Dr. Stergiakouli, „und diese sollten sorgfältig gegen mögliche Schäden für das Kind abgewogen werden. Zum Beispiel kann unbehandeltes Fieber während der Schwangerschaft zu vorzeitigen Wehen führen.“ Bei Schmerzen während der Schwangerschaft sollte natürlich immer zuerst auf nicht-medikamentöse Therapieoptionen zurückgegriffen werden, doch in vielen Fällen lässt sich so leider keine ausreichende Schmerzlinderung erreichen. Als Alternative kommen nichtsteroidale Antirheumatika (NSAIDs) wie Ibuprofen und Diclofenac in Frage, doch können gerade bei dauerhafter Gabe schwere gastrointestinale Nebenwirkungen wie Ulzeration und Blutungen die Folge sein. Im dritten Trimenon sind sie außerdem aufgrund der Gefahr eines vorzeitigen Verschlusses des kindlichen Ductus arteriosus Botalli kontraindiziert. Weiterhin weisen NSAIDs eine Vielzahl an Arzneimittelinteraktionen auf und es kann zudem während der Behandlung zu kardiovaskulären Komplikationen wie Myokardinfarkt und Schlaganfall und zu Nierenfunktionsstörungen kommen. Eine Alternative zur Behandlung mittelstarker bis starker Schmerzen sind bei entsprechender Indikation auch Opioidanalgetika, allerdings besteht bei deren Verwendung die Gefahr einer psychischen und physischen Abhängigkeit. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass nach der Einnahme durch die Mutter Atemdepression und Entzugserscheinungen beim Neugeborenen auftreten können.
Da kein Schmerzmittel frei von unerwünschten Wirkungen ist, sollte während der Schwangerschaft kein Medikament ohne triftigen Grund eingenommen werden. Und wenn berechtigte Zweifel am Nutzen oder der Sicherheit eines altbewährten Wirkstoffs aufkommen, sollten diese auch Berücksichtigung in der Therapie finden. Aktuell scheint die Datenlage jedoch darauf hinzudeuten, dass Paracetamol unter den verfügbaren medikamentösen Optionen weiterhin die sicherste Wahl ist. Weitere Studien müssen nun klären, ob die mütterliche Einnahme tatsächlich mit einem erhöhten Risiko für kindliche Verhaltensauffälligkeiten einhergeht, doch die derzeit grassierende Sorge vor möglichen Schäden sollte nicht dazu führen, dass schwangere Frauen unnötig unter Schmerzen leiden.