Die Zahl der Kniegelenkprothesen bei Patienten unter 60 Jahren steigt in Deutschland. Das ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung. Kritische Stimmen sagen: Die Erhöhung der Fallpauschalen führt zu vorschnellen Operationen. Chirurgen verteidigen sich.
Die Fallzahlen der Erstimplantationen von Knieprothesen steigen. Zwischen 2013 und 2016 ist die Zahl der Eingriffe von 143.000 auf 169.000 gestiegen. Das sind plus 18 Prozent in drei Jahren. In der Altersgruppe unter 60 Jahren ging die Zahl der Operierten von 27.000 auf 33.000 um 23 Prozent nach oben. Die Bertelsmann Stiftung und das Science Media Center Deutschland warnen, dass sich dieser Trend fortsetzen könnte. „Dass immer mehr jüngere Patienten Knieprothesen bekommen, lässt fragen, ob die Operationen wirklich medizinisch notwendig indiziert sind“, kommentiert Brigitte Mohn von der Bertelsmann Stiftung. Sie verweist auf das Risiko von Revisionseingriffen. Bei Patienten zwischen 50 und 60 Jahren sind es 15 bis 35 Prozent, bei über 70-Jährigen zwischen vier und acht Prozent.
Außerdem berichtet die Stiftung von regionalen, medizinisch nicht erklärbaren Besonderheiten. An der Spitze des Operations-Rankings stehen Bayern (260 Eingriffe je 100.000 Einwohner) und Thüringen (243), während in Berlin (153) und in Mecklenburg-Vorpommern (164) deutlich weniger Menschen ein künstliches Kniegelenk erhielten. Hier einige Beispiele für extreme Unterschiede auf Kreisebene:
Auf Basis von Experteninterviews mit Ärzten und Krankenkassenvertretern kommt das Science Media Center zu mehreren Erklärungen für den bundesweiten Trend:
Wie die regionalen Auffälligkeiten entstehen, bleibt offen.
Im Kommentar fordern die Autoren von Ärzten, Patienten besser zu informieren und ihnen die möglichen Alternativen aufzuzeigen. In etlichen Fällen seien auch konservative Therapien möglich, schreiben sie. Dafür brauchen niedergelassene Kollegen aber höhere Budgets.
Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), die Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik (AE), die Deutsche Kniegesellschaft (DKG) und der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) äußerten sich umgehend zur Kritik. In einer gemeinsamen Meldung sprechen sie mehrere aus ihrer Sicht falsch dargestellte Sachverhalte an. Experten zufolge liege der Anstieg seit 2009 mit acht Prozent im internationalen Durchschnitt. Sie erwarten aufgrund der demographischen Entwicklung steigende Zahlen: Deutschland liege beim Altersdurchschnitt weltweit auf einem Spitzenplatz. Außerdem seien die OP-Ergebnisse besser als noch vor Jahren, so dass das Interesse bei Jüngeren steige. In einem Punkt geben alle Fachgesellschaften den Studienautoren jedoch Recht: Knieerhaltende Therapien sollten besser vergütet werden.