Ich habe Notaufnahmedienst mit Notfallpfleger Karl. Er macht den Job schon eine halbe Ewigkeit und wechselt die Kliniken wie andere ihre Unterhosen. Als Arbeitskraft von der Zeitarbeitsfirma bleibt er höchstens sechs Monate an einem Ort.
Das ist lukrativ. Er verdient um einiges mehr als die fest angestellten Pfleger, bekommt Wohnung und Auto gestellt und es ist ihm egal, ob er seine Familie sieht. Er ist geschieden, die Kinder sind längst erwachsen und die Katze kann überall hin mit. Dass die Klinik ihn hauptsächlich für Nacht- und Wochenenddienste einträgt, begrüßt er sehr. Mehr Geld, weniger Alltagskram, weniger Kollegen, die ihm in seine Arbeit reden.
Er ist flink, effizient und kann super gipsen. Natürlich weiß er alles besser. Die Schulterreposition wäre mit seiner Methode viel schneller gegangen, die Platzwunde hätte er mit Steristips versorgt und nicht mit einer Naht und außerdem sei es völlig unnötig, den der Urinstatus der Patientin zu bestimmen. Den Patienten mit dem Rückenschmerz hätte er ohne Schmerzmittel nach Hause geschickt und den Eltern des kleinen schreienden Jungen mal ordentlich den Marsch geblasen.
Karls Umgang mit den Patienten ist schrecklich
Grundsätzlich arbeite ich mit erfahrenen Pflegern sehr gerne zusammen. Man erfährt viel über alternative Methoden, kann dazu lernen und die Anekdoten von früher sind meist amüsant. Karl jedoch terrorisiert meine Ohren. Mein Versuch auf Durchzug zu stellen, geht mächtig in die Hose. Er interpretiert mein Schweigen als stumme Zustimmung. Ich versuche, mich an meine gute Kinderstube zu erinnern und Respekt zu zollen, der Erfahrung und des Alters wegen.
Irgendwann verliere ich jedoch die Geduld. Er schreit den Dementen im Flur an, er solle endlich seine Klappe halten und versucht, ihm die Arme an das Bettgitter zu binden. Ich komme in das Behandlungszimmer, als er einer stark adipösen Frau erklärt, dass es für sie lediglich Schmerzmittel in Form von Suppositorien gäbe. Denn man könne nicht von ihm erwarten, bei ihr eine Vene zu finden. Er warnt einen vermeintlich homosexuellen Patienten davor, ihn zu begrapschen, während er ihm einen Unterschenkelgips anlegt.
Pflege ohne Herz und Verstand
Meine Schilderungen sind leider geschönt und in schreibbare Worte gefasst. Die tatsächliche Art und Weise der Kommunikation erinnert an einen Gefängniswärter aus einem Horrorfilm. Ich schreite ein, unterbinde, verweise ihn des Raumes. Ich versuche mehrere Male, ihn zu mäßigen und an soziale Verhaltensnormen zu erinnern. Es misslingt gänzlich.
Als er einer depressiven, alkoholisierten, gestürzten Frau rät, das nächste Mal einfach noch ein bisschen mehr zu trinken oder wenigstens die Treppe direkt ins Bahnsteiggleis hinunter zu stürzen, bleiben mir die Worte im Hals stecken. Ich erkundige mich bei Kollegen und Pflegedienstleitung. Mehrfache Beschwerden von Patienten, Kollegen und ärztlichem Personal seien eingegangen. Man habe bereits zwei Verwarnungen ausgesprochen. Aber der Pflegedienstmangel sei nun mal ernst zu nehmen.
Wir brauchen Pflege. Ja. Aber eine, die gut ausgebildet ist und mit Herz und Verstand arbeitet. Eine, die aufbaut und keine, die zerstört.