Patienten sind so unterschiedlich wie ihre Krankheiten. Mit einigen klappt die Kommunikation gut, mit anderen gar nicht. Ich unterteile sie deshalb in Tierarten. Man nehme die würdevolle Löwin zum Beispiel: Kurz nach der Hüft-OP möchte sie schon wieder Skifahren.
„Der Kerl vor mir hat einfach nichts verstanden. Jetzt fragt er mich schon zum dritten Mal das Gleiche. Was ich sage, scheint überhaupt nicht anzukommen. Absolut sinnlos meine Bemühungen.“
Diesen Satz höre ich jeden Tag. In der Notaufnahme, auf den Stationen, bei den Anmeldungen. Dabei spreche ich nicht von fehlenden Deutschkenntnissen oder mangelnder Hörfähigkeit. Es geht um banale Kommunikation.
Das Gegenüber scheint nicht zu verstehen oder nicht verstehen zu wollen. Dabei ergibt sich das Problem meiner Meinung nach hauptsächlich aus den unerfüllten Erwartungen der Patienten. Wir können oft nicht die Antwort liefern, die sie gerne hören möchten.
Wie lässt sich mit dieser Schwierigkeit umgehen? Seit ich mit Menschen arbeite, teile ich sie in Kategorien ein. Das ist nichts Neues. Irgendwie macht das jeder unterbewusst. Es passiert ganz einfach. Schubladendenken? Mag sein. Aber es vereinfacht meine Arbeit ungemein.
In meinem Fall geht es meistens um Patienten. Aber meine Kategorien lassen sich ganz leicht auf alle Menschen übertragen. Und seit ich das weiß, habe ich meine Kommunikation angepasst. Denn es lässt sich nicht mit jedem gleich reden. Außerdem weiß durch diese Einordnung immer ganz genau, mit wem ich einfach überhaupt nicht reden sollte. Einfach, weil ich es nicht kann und er mich nicht verstehen wird, egal, was ich sage.
Kategorie 1: Der Rabe
Der unglückliche Rabe mit dem gebrochenen Flügel. Die Kranken, die krank sein wollen. Stichwort „chronischer Schmerzpatient“. Nimmst du ihnen die Krankheit, ist nichts mehr von ihnen übrig.
Kategorie 2: Der Strauß
Der Strauß, der den Kopf in den Sand steckt – die Kranken, die gesund sein wollen. „Ja, also, ich habe ein bisschen Blutzucker und Bluthochdruck. Aber da nehme ich nichts. Ist auch schon gute fünf Jahre her, dass ich beim Hausarzt war.“
Kategorie 3: Die Löwin
Die würdevolle Löwin – die ungeduldigen Kranken, die gesund sein wollen. Das ist der Patient mit elektiver Hüft-TEP, der am 3. Tag nach der OP an den Treppen geht und nach 12 Wochen zum Skifahren fährt. Es zwickt noch etwas? „Ach, das geht schon wieder weg.“
Kategorie 4: Die Biene
Die emsige Biene – die Gesunden, die noch gesünder sein wollen. Das ist die Patientin, die zur Akupunktur geht und alles über die Basentherapie weiß. „Ich dachte, ich gehe mal präventiv zum Arzt, nur um auch sicher zu sein, dass nichts ist und um zu erfahren, ob ich vielleicht noch etwas an meinem Lebensstil optimieren kann.“
Kategorie 5: Das Chamäleon
Tja. Das ist die schwierigste Gruppe. Es sind die Gesunden, die krank sein wollen. Das sind die Rückenschmerzen, die sogleich in Knieschmerzen umschlagen, um dann in Unterleibsschmerzen zu enden. Meistens nachts um 3 Uhr. Hier kann es sich sowohl um den ängstlichen Hasen, das einfältige Schaf, die schwache Fliege oder den etwas dümmlichen Esel handeln. Meistens jedoch begegnet man der falschen Katze oder der hinterlistigen Schlange. Nennen wir diese Kategorie also das Chamäleon.
Patientenkommunikation: So klappt’s
Nun bleibt die Frage: Wie spreche ich mit einem Raben oder einem Chamäleon?
Kann ich einem Löwen erklären, dass er nach seiner OSG-Fraktur, das Bein nicht belasten, aber vorsichtig frei bewegen darf? Sicherlich. Kein Problem. Aber einen Strauß packe ich doch lieber in den Unterschenkelgips für einige Wochen. Nein, auch keinen Vacoped. Den kann man nämlich selbstständig abmachen.
Verschreibe ich einer Biene mit muskuloskelettalen Verspannungen statt einem Haufen Schmerzmittel aktive Maßnahmen, ordne Physiotherapie und tägliche Spaziergänge an? Wunderbare Idee. Bei einem Chamäleon werde ich hier nur enttäuscht. Das wird in einer Woche erneut aufschlagen. Natürlich nachts um 2 Uhr.
Erwarte ich von einer Löwin, dass sie im Anschluss an einen Bandscheibenvorfall nach zwölf Wochen wieder arbeiten geht? Die Löwin wird nur mit den Augenbrauen zucken. Zwölf Wochen? So lange dauert das? Der Rabe hingegen wird nach drei Wochen Reha in Woche 16 einen Antrag auf Verlängerung einreichen.
Und welches Arzt-Tier bist du?
Was übrigens auch nicht ganz unwichtig ist: In welche Kategorie gehöre ich als Arzt eigentlich? Bin ich eher die Biene? Verordne ich schon Vitamin D und Calcium im Hochsommer, um einer möglichen Osteoporose im Winter entgegen zu wirken?
Oder bin ich ein Strauß und schiebe die Fußheberschwäche auf eine schmerzbedingte Kraftminderung statt auf den Bandscheibenvorfall? Bin ich vielleicht sogar selbst das Chamäleon und finde bei jedem Patientenkontakt eine neue Krankheit, die einer dringenden Intervention bedarf?
Also, Augen und Ohren auf. Die meisten Patienten zeigen ihr wahres tierisches Ich innerhalb weniger Sekunden.
Eine Frage, viele Antworten
„Was führt Sie heute zu mir?“
Der Rabe: schweigt oder wimmert.
Der Strauß: „Eigentlich wollte ich gar nicht kommen. Aber seit ich vor fünf Wochen gestürzt bin, schmerzt die Schulter.“ Achtung, höchst wahrscheinlich ist es eine Fraktur.
Die Löwin: „Ich habe eine Unterarmfraktur. Aber ich kann doch sicherlich weiter arbeiten, oder nicht?“
Die Biene: „Ich brauche ein Rezept für Physiotherapie, um meinen Rücken zu stärken.“
Das Chamäleon: „Seit drei Wochen schmerzt der Rücken. Aber eigentlich komme ich wegen der Schulter. Krank geschrieben bin ich vom Hausarzt aber schon seit sechs Monaten wegen der Kopfschmerzen.“
Ein Chamäleon wird niemals fliegen können und ein Rabe wird eben immer auf allem rumhacken. Halten wir es also wie die Tiere im Tierreich. Leben und leben lassen, oder war das anders?
Ganz hervorragend eignet sich diese Einordnung übrigens auch als Parameter für eine erfolgreiche Ehe. Oder schon mal eine Biene mit einem Chamäleon züngeln gesehen? Aber das ist ein anderes Thema.
Bildquelle: flickr.com, Rabe by Sebastian Bartoschek, Strauß by Martin Fisch, Löwin by Andreas März, Biene by dasWebweib, Chamäleon by Alvaro Rodriguez Alberich