Ich muss zugeben, dass ich bisher noch nicht oft auf ein wissenschaftliches 'Paper' gestoßen bin, das ich mit Begeisterung gelesen habe. Entweder habe ich noch nicht genug Paper gelesen. (Was durchaus möglich ist. Bisher habe ich nämlich auch noch nicht 'zum Vergnügen' recherchiert, sondern für einen Unikurs oder meine Doktorarbeit und dann schon eher 'aus Zwang' oder für das gute Gewissen.)
Oder aber ich bin einfach nicht Naturwissenschaftlerin genug. Wie dem auch sei. Diesmal ist es anders. Das habe ich schon gewittert, als ich auf Titel und Abstract dieses kleinen Schmuckstücks gestoßen bin.
Medical Students' Exposure to the Humanities Correlates with Positive Personal Qualities and Reduced Burnout: A Multi-Institutional U.S. Survey
Zu deutsch sinngemäß: Medizinstudenten, die sich mit geisteswissenschaftlichen Themen beschäftigen, zeigen positive Persönlichkeitsqualitäten und haben ein niedrigeres Risiko, an Burnout zu erkranken. Juhu! Mein Herz hüpft. Was eigentlich logisch erscheint und uns von so manchem Dozenten auch mit auf den Weg gegeben wird, wurde schwarz auf weiß erhoben: Wer seine Zeit (egal ob aktiv oder passiv) mit visueller Kunst, Gesang, einem Instrument, Musik, Tanz, Schreiben, Lesen, Theater, Museums- oder Konzertbesuchen verbringt, verfügt über so manche Eigenschaften, die im Beruf des Arztes durchaus erwünscht sind. Darunter: mehr Weisheit (hört hört!), Empathie (in aller Munde!), eine eine höhere Ausprägung an Selbstwirksamkeit (also das Vertrauen darauf, mit Problemen umgehen zu können. Das stärkt die Resilienz, also Widerstandsfähigkeit, und schützt somit vorm Burnout). Wer sich mit Kulturgut umgibt, kann seine eigenen Gefühle besser verstehen und verarbeiten und sich besser in andere hineinversetzen. Ist toleranter. Und weniger anfällig, dem stressigen Alltag irgendwann nicht mehr gewachsen zu sein.
Ich freue mich über diese Ergebnisse. Und bin gespannt, ob für zukünftige Studentengenerationen im Wahlfachbereich bald Kurse in Philosophie oder Literatur zu finden sein werden. (Ein, zwei gibt es auch heute schon an meiner Uni, ich will mal nicht so sein. Aber breit kann man das Angebot dennoch nicht nennen.)
Befragt wurden gut 3.000 amerikanische Medizinstudenten von fünf verschiedenen Universitäten. Und obwohl die Rücklaufquote bei nur knapp 24% lag, sind die Ergebnisse statistisch repräsentativ. Und in allen erhobenen Persönlichkeitsqualitäten wurden signifikante Unterschiede festgestellt.
Nun ist der Gang ins Unikino, der Griff zum neuen Roman, ja selbst das Berichten über neue Erlebnisse auf meinem Blog also nicht nur für mich da; zum Entspannen, Abschalten, Verarbeiten. Sondern tatsächlich sind sie auch ideale Vorbereitung für meine zukünftige Rolle in der Patientenversorgung. (Wobei gerade der 'Zweckgedanke' natürlich nicht in den Mittelpunkt rücken sollte... ich denke mal, genau darin liegt der Punkt - dass gerade der Blick nach rechts und links erlaubt ist, ohne zu erwarten, dass dabei etwas 'bei rumkommt'. Und gerade bei diesem ziellosen Streifen durch die Kulturlandschaft um des Denkvergnügens willen doch etwas Entscheidendes passiert, ganz ungeplant.)
Interessante Ideen werfen die Autoren auch im Diskussionsteil ihrer Arbeit auf; als wären ihre Ergebnisse nicht schon spannend genug. Aber passend zum Thema handelt es sich hier offensichtlich genau um die Spezies Mediziner, die sich gern auch mal in die Geisteswissenschaften wagen.
Sie bringen den Gedanken auf, dass es ja eigentlich logisch ist, dass diejenigen, die sich mit Kultur beschäftigen, nebenbei ein bisschen weiser werden - schließlich hören sie ja den 'Weisen von gestern' zu. Und dass es bedauernswert ist, dass es heutzutage nicht mehr wie selbstverständlich zum Berufsethos des Mediziners dazugehört, 'kultiviert' zu sein, wie es noch vor 100 Jahren der Fall war.
Und schließlich die erleichternde Überlegung für all diejenigen unter euch, die eventuell für Sport, Meditation, einem Ehrenamt oder Politik mehr brennen als für Shakespeare, Brecht und Monet: vielleicht geht es auch nicht unbedingt primär nur um Kultur.
Spannend. Denn da ist diese eine Frage, die ich schon seit längerem besonders spannend finde. Die nach der üblichen ersten Frage 'Und was machst du?' und dem ersten Satz 'Ich studiere Medizin' kommt. Für manche mag das ihre Leidenschaft sein, das, was sie ausmacht und was ihre Augen zum Strahlen bringt. Bei vielen anderen kommt der wichtige Teil, die Antwort, die mehr darüber preisgibt, mit wem man es zu tun hat, nach der nächsten Frage: Und was machst du noch, was begeistert dich? Da stößt man auf Ehrenämtler, die Kinderfreizeiten begleiten, Sportler, die die Alpen überwandert oder mit dem Fahrrad durch Vietnam geradelt sind, Künstler, die zu Hause eine Staffelei stehen haben, Yogalehrer, Möbelbastler, heimliche Sterne-Konditoren.
Wie dem auch sei. Ich finde, das sind schöne Neuigkeiten. Und empfehle wärmstens einen Blick in die primäre Quelle, die ihr hier findet. Wie es in der Wissenschaft so üblich ist.
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