Ein Patient kommt mit Stechen am Herzen zu uns. Er berichtet, dass er viel schnaufen muss und macht sich Sorgen, er könne eine Rippenfellentzündung haben. Viel Zeit hat er aber nicht mitgebracht. „In meinem Laden läuft gar nichts ohne mich, alles faule Schweine“, erklärt er. Wie nett.
„Schwester. Ich kann momentan nicht so gut schnaufen atmen. Und es sticht immer so am Herzen! Ich glaube, ich hab eine Rippfellentzündung!“ Der ältere Herr wird in den Behandlungsraum gebeten und das Krankenhausprozedere beginnt:
Diese Standards sind geklärt und haben sich bewährt.
Der Patient ist arg gestresst. In seinem Laden – eigentlich hat er das Rentenalter längst überschritten – geht es drunter und drüber: „Ohne mich geht nichts, sage ich Ihnen. Gar nichts!“
„Ohne mich läuft gar nichts“
Die Aushilfen wollen wohl nicht so, wie er sich das denkt. Fegen mögen sie nicht, obwohl es aussehe wie Sau. Kisten stapeln können sie nicht, weil sie es alle im Rücken hätten.
„Was zahlen sie Ihnen denn?“ Wenn man so inniglich im Leid beisammen sitzt, den Arm massiert, um die schönste Vene zu finden, spricht man oft Klartext.
Er nennt einen Betrag unter dem Mindestlohn.
„Viel Ansporn ist das nicht!“
Er seufzt schwer. „Alles faule Schweine!“
„Ja. Oder so!“
Die Vene ist gefunden, das Blut ist „literweise!!!“ abgenommen, der Vorgang vielfach kommentiert:
„Haha. Da macht ihr doch Blutwurst heimlich aus den Resten, haha, kleiner Scherz. Muss ja wohl erlaubt sein!“
„Haha, hab ich ja noch nie gehört. Ganz köstlich, dieser kleiner, Scherz!“
„Ich kenn mich nämlich aus. Mein Cousin ist Arzt. Alles Halsabschneider und Kurpfuscher!“
„Was für ein Glück, dass sie jetzt im Krankenhaus sind und nicht beim Cousin!“
Zum Glück keine Rippenfellentzündung
Der Patient war also ein überaus lustiger Zeitgenosse. Humorvoll. Einer, der das Leben kennt. Nach einiger Zeit sind die Laborwerte da, die Lunge geröntgt, der Mann von Kopf bis Fuß untersucht.
„Hab ich eine Rippfellentzündung?“
„Nein. Aber Anzeichen für einen Herzinfarkt.“
„Ach so. Na dann. Immerhin keine Rippfellentzündung!“
„Aber Herzinfarkt ist schlimmer.“
„Aber es ist keine Rippfellentzündung. Und das wollte ich ja ausschließen. Ich geh jetzt heim.“
„Äh. Besser nicht. Sie haben Anzeichen für einen Herzinfarkt! Da wäre es gut, wenn sie zur Beobachtung hier blieben!“
„Ja, aber das geht auf keinen Fall! Zuhause fegen die Jungs ja nicht, wenn ich nicht da bin. Nein, nein. Ich komm dann halt morgen noch mal. Gottseidank hab ich ja keine Rippfellentzündung. Das wollte ich nur wissen. Mein Onkel ist daran gestorben.“
„Die Wahrscheinlichkeit, an einem Herzinfarkt zu sterben ist aber ungleich höher als die an einer Rippfellentzündung zu sterben.“
„Aber die hab ich ja jetzt nicht.“
„Nein. Die haben sie nicht.“
„Dann geh ich jetzt heim.“
Ratlosigkeit auf unserer Seite
Die Ärztin ist ratlos. Sie ist mit einer Engelsgeduld gesegnet. Aber hier wird es schwierig. Ich schalte mich ein. Ich hab nicht so eine Engelsgeduld.
„Haben Sie schon erklärt, dass es vielleicht kein „Morgen“ gibt? Ein Herzinfarkt kann tödlich sein – wie Sie sicherlich wissen.“
„Jaja. Aber ich wollte ja nur abklären lassen, ob ich nicht vielleicht eine Rippfellentzündung habe. Und jetzt machen Sie mir das Ding raus!“ Er zeigt auf den Zugang. „Ich habs eilig.“
Wir diskutieren hin und her. Es ist kompliziert. Vielleicht ist sein Hirn bei den Wollmäusen in seinem Laden, jedenfalls ist er für keinerlei Argumente zugänglich.
Er geht. Schließlich hat er ja keine Rippfellentzündung. Ohne mit der Wimper zu zuzucken hat er den Aufklärungsbogen unterschrieben. Die Ärztin ist Schritt für Schritt die möglichen Gefahren mit ihm durchgegangen. „Geben Sie mir jetzt endlich den Stift!“, hat er nur sehr unwillig geantwortet.
So ist der Mensch auch. Er macht sich Sorgen. Er hat Angst. Aber auch einen Plan für „danach“. Den gilt es einzuhalten. Komme, was wolle. Schließlich war es in diesem Fall ja keine Rippfellentzündung. Also keine Panik.
Die Ärztin und ich irrten ein wenig durch die nächsten Stunden und konnten den Mensch an sich und hier im speziellen nicht verstehen.