Darum ging’s schon etwas im letzten Beitrag: um Routine. Im Laufe der Zeit – ja, ich weiß, meine Zeit als Chirurgin dauert noch keine Jahrzehnte – gewöhnt man sich an Vieles. Vor wenigen Wochen habe ich mit der Pflege während dem Mittagessen darüber geplaudert. Woran haben wir uns in der Viszeralchirurgie gewöhnt?
An Stuhlgang und Erbrochenes haben wir uns gewöhnt. Urin? Pah, das ist doch nur Wasser. Man gewöhnt sich an den Anblick und an den Geruch von Stuhlgang, der einem schon um 7 Uhr morgens um die Nase weht. Stuhlgang im Bett, aus dem Anus, aus dem Stoma, Stuhlgang aus dem Mund. Ja, das passiert wenn aus irgendeinem Grund die Passage von Mund Richtung Rektum nicht mehr funktioniert, dann erbrechen die besagten Patienten Stuhlgang.
Alles irgendwann ein alter Hut, zwar ein Grund zur Sorge, aber nicht zur Aufregung. Frau R. erbricht frisches Blut und der Blutdruck sinkt? Als Frischling steigt der eigene Puls direkt auf 150, heute ist das Routine: Kopf tief, mehrere großlumige Zugänge, Volumen in Form von beispielsweise Ringer, im Labor Konserven bestellen, Testblut abnehmen, gastroskopieren. Ein cooler Hund ohne jegliche Emotionen bin ich dabei zwar auch nicht, aber die Tachykardie hält sich in Grenzen.
Wenn einem jemand unter den Händen wegstirbt ...
Woran ich mich nicht oder noch nicht gewöhnen kann, ist der Moment, wenn einem ein Mensch unter den Händen wegstirbt. Bevor jetzt lustig gemeinte Sprüche kommen: Ja, ich operiere gerne und ich finde, auch ganz gut. Es gibt jedoch Traumapatienten, die schlicht und einfach beschissene Karten haben.
In der Traumachirurgie geht es nicht nur um Unfälle, bei denen Knochen brechen, sondern es gibt auch viszeralchirurgische Traumata. Also spitze/stumpfe Bauchverletzungen, Pfählungsverletzungen, Schussverletzungen (selten bei uns), Überrolltraumata und so weiter. Ein geplatzter Darm ist dabei das kleinste Problem. Einen Darm kann man resezieren, nähen, ein Stoma ausleiten oder wenn es sich um eine echte Damage-control-Operation handelt, stapelt man den Darm einfach ab und nach der Stabilisation auf der Intensivstation erfolgt dann nach ein bis zwei Tagen der second look.
Zur Situation: Der Heli wird angekündigt
Genug gelabert: Es kommt der berühmt-berüchtigte Anruf: „In 10 Minuten landet der Heli!“. Frau lässt alles liegen und stehen, geht in den Schockraum, lässt sich die oft nur spärlichen Infos geben (X-jährige Frau, Autounfall, Hochgeschwindigkeitstrauma, intubiert, semistabil). Man wird ruhig, der Ablauf ist klar und geordnet, die Hierarchien im Schockraum sind klar, jeder hat seine Aufgabe. Wenn der verunfallte Mensch Glück (oder was auch immer) hat, ist er so stabil, dass er es in die Röhre schafft.
Manchmal läuft es so ab, dass der Hubschrauber landet, die Person intubiert vom Landeplatz Richtung Schockraum geschoben wird, man aber schon auf dem Weg den Ernst der Lage erkennt. Es gibt keine Zeit für den Schockraum und schon gar nicht für eine Traumaspirale. Trotz der zahlreichen Infusionsbeutel, die vom Notarztteam in den Kreislauf gedrückt werden, hört man den Blutdruck sinken. Ein Blick auf den Monitor ist eigentlich gar nicht mehr notwendig, denn der Alarm trötet unüberhörbar die tiefe Systole in den Raum.
Keine Zeit für den Schockraum
Der Bauch der Patientin weist Prellmarken auf, ist gebläht, hart und die Hautfarbe der Frau wechselt von blass zu fucking-scheiße-blass. Vergiss den Schockraum, ab in den Lift und in den Operationssaal. Während wir im Lift stehen und sich die Notärztin um die brenzlige Situation kümmert, habe ich einige Sekunden Zeit, um die OP-Schwester zu informieren. Die Arme hat eine Minute, um die Instrumente vorzubereiten, also um das Bauchsieb in den Saal zu holen. Der Springer läuft, um einen Sauger zu holen.
Die ansonsten so penibel eingehaltene Sterilität ist unwichtig, die Patientin muss schnellstens in den Saal, mein Oberarzt und ich schlüpfen in die Mäntel, streifen uns nicht wie üblich zwei, sondern nur ein Paar Handschuhe über. Skalpell, Bauch auf. Kein Waschen, kein Abdecken. Ich muss aufpassen, nicht verletzt zu werden, denn während man mit einem scharfen Messer durch die Schichten gleitet, drückt die Anästhesie hektisch auf dem Herz herum.
Und eigentlich ist allen längst klar: Wir können nichts tun
Es fühlt sich an, als würden Sekunden vergehen, während man sich in einem See aus Blut und Stuhlgang zur Problemquelle vorarbeitet: ein zerfetzer Truncus coeliacus und ein Leberhilus, der aussieht als ob man einen Böller darin hochgehen lassen hätte.
Lange Rede, kurzer Sinn: Nach 10 Minuten ist allen Beteiligten klar, dass es vorbei ist. Der Monitor wird ausgeschaltet, der Alarm erlischt und es kehrt diese Ruhe ein, an die ich mich noch immer nicht gewöhnt habe. Mit den Händen im oder auf dem Bauch steht man fassungslos vor der jungen Frau und hofft, dass die Türe aufgeht, ein Clown hereinkommt und „Verstehen Sie Spaß?“ oder „Versteckte Kamera!“ schreit.