Nach dem Tod mehrerer Krebspatienten durch die Behandlung eines Heilpraktikers laufen Standesvertreter Sturm. Sie fordern, Therapien ohne Evidenz zu verbieten – sogar für Selbstzahler. Auch der Druck auf Gesundheitspolitiker wächst.
Vor mehreren Wochen hatten sich in einer alternativen Krebs-Praxis in Brüggen am Niederrhein fünf Patienten behandeln lassen. Drei von ihnen starben kurz darauf, und zwei mussten mit lebensbedrohlichen Symptomen in eine Klinik gebracht werden. Der Heilpraktiker hatte 3-Bromopyruvat als experimentellen Wirkstoff verabreicht, um den Zuckerstoffwechsel zu regulieren. Damit trat er eine bundesweite Diskussion über Grenzen seines Berufsstandes los.
Die Staatsanwaltschaft Krefeld erklärte, der Heilpraktiker sei grundsätzlich berechtigt gewesen, den nicht zugelassenen Stoff zu verwenden. Aus der fehlenden Zulassung den Schluss zu ziehen, seine Anwendung sei deshalb verboten, sei nicht korrekt. Heilpraktiker dürften in Deutschland derartige experimentelle Verfahren anwenden, solange sie nicht verboten seien. Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bunds, entgegnet: „Es gibt im Arzneimittelrecht keine Bestimmung, die diese bindenden Regelungen für sämtliche klinischen Studien im Fall von Heilpraktikern außer Kraft setzen würde.“ Er verweist auf geeignete Einrichtung von angemessen qualifizierte Prüfer beziehungsweise Studienleiter. „In meinen Augen wäre es ein massiver Wertungswiderspruch, wenn Ärztinnen und Ärzte sich an all diese Bestimmungen halten müssten, Heilpraktiker sich aber darüber hinwegsetzen könnten“, ergänzt Henke.
Mehr und mehr Politiker teilen seine Sichtweise. „Wir wissen nichts über das medizinische Wissen dieser Leute, nichts über ihre Methoden, nichts über die Komplikationen ihrer Therapien“, sagt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gegenüber dem Spiegel. Er fordert von Heilpraktikern, Behandlungen zu dokumentieren, wie dies bei Ärzten schon längst üblich sei. Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, geht sogar noch einen Schritt weiter. „Es sollte den Kassen untersagt werden, Dinge zu bezahlen, für die es keine Evidenz gibt“, erklärte er gegenüber der FAZ. Bei schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs müsse eine homöopathische Therapie auch Selbstzahlern untersagt werden können, so lange die Wirksamkeit nicht mit Studien belegt worden sei. Hecken fordert „klare Verbote“, auch bei der Homöopathie. „Es gibt keine Überlegenheit gegenüber Placebos“, sagt er mit Hinweis auf eine australische Studie. Unterstützung erhält Hecken vom Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Ohne nachgewiesenen Nutzen dürfe es keine Finanzierung durch GKVen geben, so Gassen. Das Geld solle eher in die unterfinanzierten ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen der Regelversorgung fließen.
Rudolf Henke wünscht sich jetzt, „die Regelungen des Heilpraktikerwesens völlig neu zu überdenken“. Zum Hintergrund: Das Heilpraktikergesetz und die erste Durchführungsverordnung gelten in weiten Teilen noch in ihrer Fassung aus dem Jahr 1939. Entsprechende Hürden – ein „Volksschulabschluss“, Gesundheit, keine Vorstrafen und eine Prüfung – sind vergleichsweise niedrig. Im Examen selbst werden klassisch-medizinische Inhalte, aber kaum alternative Therapien, abgefragt. Jetzt ist der Druck auf Gesundheitspolitiker groß, endlich aktiv zu werden.