Auf der Jahrestagung des 'American College of Cardiology' wurde die ODYSSEY OUTCOME-Studie mit der Fragestellung präsentiert: Was bringt die zusätzliche LDL-Cholesterin-Absenkung auf 25-50 mg/dl durch den PCSK9-Inhibitor Alirocumab von Sanofi-Aventis/Regeneron Pharmaceutical Inc. bei Zustand nach akutem Koronarsyndrom (ACS) gegenüber Placebo, um Morbidität und Mortalität zu reduzieren?
Ausgangslage war bei allen Patientinnen und Patienten eine traditionelle Statin-Therapie mit CSE-Hemmung durch Cholesterin-Synthese-Enzym-Hemmer (HMG-CoA-Reduktase-Hemmer) in maximal tolerabler Dosis, um LDL-Werte zwischen 70-100 mg/dl zu erreichen. Laut Studienleiter Professor Gabriel Steg, Hopital Bichat der Universität Paris Diderot funktionierte das in einer placebokontrollierten Studie mit fast 19.000 Patienten: Die PCSK9-Hemmer (Proproteinkonvertase Subtilisin Kexin Typ 9-Hemmung) Behandlung mit Alirocumab (Praluent®) verringerte über im Durchschnitt 2,8 Jahre das Risiko für Herztod, Herzinfarkt, Schlaganfall und instabile Angina (primärer Endpunkt). Die relative Risikosenkung habe 15 Prozent betragen.
Professor Valentin Fuster, Kardiologe am Mount Sinai Hospital/New York, zieht aus den Ergebnissen dieser Studie m.E. fünf vorschnelle und z.T. zu kurz gedachte Konsequenzen:
- "Die klinische Praxis wird sich verändern. Die Bemühungen, KHK-Patienten vor weiteren vaskulären Komplikationen zu schützen, dürfen bei erreichten LDL-Werten zwischen 70 und 100 mg/dl nicht aufhören".
- "Die Dimension der klinischen Verbesserung ist bemerkenswert: 15-prozentige Senkung des relativen Risikos für Koronartod, Herzinfarkt, Schlaganfall oder instabile Angina (9,5 vs. 11,1 Prozent) im Gesamtkollektiv. 24-prozentige relative Risikosenkung (11,5 vs. 14,9 Prozent) bei Patienten mit LDL-Werten größer 100 mg/dl zu Studienbeginn nach Ergebnissen einer Post-hoc-Analyse".
- "Auch die Überlebensaussichten verbessern sich: Das relative Mortalitätsrisiko verringerte sich im Gesamtkollektiv um 15 Prozent (3,5 vs. 4,1 Prozent, p=0,026). Bei Patienten mit LDL-Werten größer 100 mg/dl sank es um 29 Prozent (4,1 vs. 5,7 Prozent)".
- "Die aktuellen LDL-Zielwerte von unter 70 mg/dl sind noch zu hoch. Besser ist ein Bereich zwischen 25 und 50 mg/dl".
- "PCSK9-Inhibitoren werden zu den aktuellen Preisen in vielen Ländern gar nicht oder nur sehr eingeschränkt erstattet. Der Zugang der Patienten zu diesen Medikamenten muss verbessert werden".
Doch die Mitteilungen des American College of Cardiology (ACC) sind und bleiben dubios: "ODYSSEY Outcomes: Results Suggest Use of PCSK9 Inhibitor Reduces CV Events, LDL-C in ACS Patients" unter http://www.acc.org/latest-in-cardiology/articles/2018/03/05/15/53/sat-9am-odyssey-outcomes-cv-outcomes-with-alirocumab-after-acs-acc-2018 ist zweifelhaft bzw. wissenschaftlich unglaubwürdig und ethisch fragwürdig.
Denn hier wurden bewusst Hochrisiko-Patientinnen und Patienten, bei denen selbst hochdosierte CSE-Hemmung in der Sekundärprävention nach stattgehabtem Akutem Kornarsyndrom (ACS) nicht gut funktionierte, mit dem PCSK9-Hemmer Alirocumab behandelt oder blieben mit Placebo z.B. ohne zusätzliches Ezetemibe ihrem Schicksal überlassen.
Das ist unethisch und m.E. bei der gegenwärtigen Datenlage unverantwortlich!
Ergebnissen der mittlerweile 24 Jahre alten 4-S-Studie (Scandinavian Simvastatin Survival Study) belegten [The Lancet, Vol 344, November 19, 1994 von Terje Petersen (Oslo) et al.], dass durch die Behandlung mit dem CSE-Hemmer Simvastatin die Progression kardiovaskulärer Erkrankungen statistisch signifikant verlangsamt werden konnte. Einzelheiten siehe als PowerPoint http://clintrialresults.org/Slides/4S2000.ppt
Damals war eine Prüfung gegen Placebo wissenschaftstheoretisch und -ethisch korrekt, weil man mit dieser Therapie Neuland betrat: - "In der 4-S-Studie waren 4 444 Patienten mit manifester KHK bzw. überlebtem Myokardinfarkt doppelblind randomisiert über im Mittel fünf Jahre mit Simvastatin (Zocor®) [und Denan®] oder Plazebo behandelt worden. - Ergebnis: Im Vergleich zur Kontrollgruppe waren unter Verum die Gesamtmortalität um 30 Prozent, die kardiovaskuläre Letalität um 42 Prozent, die Gesamtrate nicht letaler atherosklerotisch bedingter Ereignisse (Myokardinfarkt, Herz-Kreislauf-Stillstand, Schlaganfall/TIA) um 26 Prozent niedriger. Außerdem musste etwa ein Drittel weniger Patienten revaskularisiert oder stationär behandelt werden. - Einschlusskriterium war neben der klinischen Diagnose ein Gesamtcholesterin (nach zweimonatiger Diät Vorlaufphase) zwischen 213 und 310 mg/dl gewesen. Auch bei niedrigen Ausgangswerten nahmen das Gesamtcholesterin durchschnittlich um 25 Prozent, das LDL-Cholesterin um 35 Prozent, die Triglyzeride um zehn Prozent ab; das HDL-Cholesterin nahm um acht Prozent zu. In der Plazebogruppe gab es dagegen keine nennenswerten Veränderungen." Quelle: "Simvastatin bei koronarer Herzkrankheit: Fettstoffwechsel bestimmt Prognose" - Dtsch Arztebl 1996; 93(6): A-332 / B-266 / C-251 http://www.aerzteblatt.de/archiv/374/Simvastatin-bei-koronarer-Herzkrankheit-Fettstoffwechsel-bestimmt-Prognose
Ich kann mich genau erinnern: Damals versuchten "arznei-telegramm" und "Arzneimittel-Brief" geradezu verzweifelt, mit fadenscheinigen pseudowissenschaftlichen, aber auch gesundheitsökonomischen Argumenten gegen diese Studienergebnisse anzurennen - aus falsch verstandener Kritikwütigkeit gegenüber Pharmafirmen, die mit Medikamenten auch noch Geld verdienen wollten.
Heute, nachdem geradezu alle großen CSE-Henmer- und auch Ezetemibe-Studien die damalige 4-S-Studie und damit die LDL -Theorie bestätigt haben, sehe ich mich gezwungen, vor dieser Industrie-gesponsorten (SANOFI-REGENERON) Studie zu warnen:
Deren Ergebnisse sind bei einem Milliardenaufwand der PCSK9-Hemmer Entwicklung, Produktion, Vertrieb, Marketing und Anwendung nicht nur ethisch relativierend marginaler als gedacht. Hinzu kommt ein m.E. unzulässiger Eingriff in die Datenerhebung: Patienten mit LDL-C Spiegeln (Druckfehler LCL-C) ständig unterhalb von 15 mg/dL wurden in die Placebogruppe überstellt. ["Patients who had LCL-C (LDL-C) levels consistently below 15 mg/dL were switched to placebo."]
Die absolute Reduktion des LDL-C betrug 54,7 mg/dL ["LDL-C levels were 53.3 mg/dL in the alirocumab group compared with 101.4 mg/dL in the placebo group"].
Trotzdem waren und bleiben die alles entscheidenden Zahlen der absoluten Risiko Reduktionen (ARR) in sich widersprüchlich:
- ARR von 1,6% bei den primären Endpunkten war insgesamt signifikant ["primary endpoint of major adverse cardiovascular events (MACE) – the time to first occurrence of coronary heart disease (CHD) death, nonfatal myocardial infarction (MI), unstable angina requiring hospitalization or ischemic stroke – was significantly lower in the alirocumab group versus the placebo group (9.5 vs. 11.1 percent)."]
- ARR von 3,4% bei größeren negativen kardiovaskulären Ereignissen ["major adverse cardiovascular events (MACE)"]
- ARR von 0,9% bei Tod durch Koronare Herzkrankheit ["CHD death"]
- ARR von 1.3% bei kardiovaskulärem Tod ["CV death"]
- ARR von 1,7% bei der Gesamtmortalität ["all-cause death"]
Keine Signifikanz wiesen übrigens die Unterschiede in der Entwicklung einer KHK auf.
Anhang: "ODYSSEY Outcomes included 18,924 patients at 1,315 sites in 57 countries who had an ACS within the previous 12 months. Patients had residual LDL-C levels ≥70 mg/dL, non–HDL-C ≥100 mg/dL or apolipoprotein B ≥80 mg/dL after two to 16 weeks of intensive or maximally tolerated statin therapy (atorvastatin or rosuvastatin). Most patients (92.5 percent) qualified due to LDL-C ≥70 mg/dL. Patients were randomized to either subcutaneous injections of alirocumab 75 mg every two weeks (n=9,462) or placebo (n=9,462). The target LDL-C level was 25 to 50 mg/dL. To maximize the number of patients in the target range, alirocumab was uptitrated to 150 mg every two weeks in patients with LDL-C ≥50 mg/dL. Patients who had LCL-C levels consistently below 15 mg/dL were switched to placebo. After a median follow-up of 2.8 years, LDL-C levels were 53.3 mg/dL in the alirocumab group compared with 101.4 mg/dL in the placebo group, for an absolute reduction of 54.7 percent. The primary endpoint of major adverse cardiovascular events (MACE) – the time to first occurrence of coronary heart disease (CHD) death, nonfatal myocardial infarction (MI), unstable angina requiring hospitalization or ischemic stroke – was significantly lower in the alirocumab group versus the placebo group (9.5 vs. 11.1 percent). Looking at the individual components, researchers found nonfatal MI was reduced by 14 percent, stroke by 27 percent and unstable angina by 39 percent (all significant) with alirocumab compared with placebo. While the rate of all-cause death was significantly lower by 15 percent with alirocumab versus placebo (3.5 vs. 4.1 percent), there was no significant difference between the groups for CHD death (2.2 vs. 2.3 percent) and cardiovascular death (2.5 vs. 2.9 percent). In terms of safety, treatment-emergent adverse events occurred in 75.8 percent and 77.1 percent of the alirocumab and placebo groups, respectively. Minor local site reactions at the injection site were the only significant difference between the two groups, occurring in 3.1 percent of those receiving alirocumab and 2.1 percent of those receiving placebo. In the prespecified post hoc analysis by LDL-C level at baseline, patients with an LDL-C ≥100 mg/dL experienced reductions in all endpoints. The 24 percent reduction in MACE translated to an absolute risk reduction (ARR) of 3.4 percent. CHD death was reduced by 28 percent (ARR 0.9 percent), CV death by 31 percent (ARR 1.3 percent) and all-cause death by 28 percent (ARR 1.7 percent)."http://www.acc.org/latest-in-cardiology/articles/2018/03/05/15/53/sat-9am-odyssey-outcomes-cv-outcomes-with-alirocumab-after-acs-acc-2018