Bisher war es technisch nicht machbar, den Weg einzelner Zellen im Gehirn zu beobachten. Ein neues System ermöglicht es Forschern nun, Stammzellen farbig zu markieren und dann ihre Wanderung im Bulbus olfactorius live zu verfolgen.
Auch im Gehirn erwachsener Säugetiere werden noch Stammzellen gebildet. Aus ihnen können neue, auf bestimmte Aufgaben spezialisierte Nervenzellen entstehen, die von ihrem Entstehungsort in den Bereich wandern, in dem sie eingesetzt werden. Erstmals ist es Wissenschaftlern gelungen, die Wege einzelner neuer Nervenzellen in Echtzeit zu beobachten.
Wie der Entwicklungsprozess der neuen Nervenzellen vor sich geht, war bislang wenig bekannt ‒ technisch war es nicht möglich, den Weg einer Zelle im intakten Gehirn zu verfolgen. Ein Forscherteam um Prof. Garaschuk vom Institut für Physiologie der Universität Tübingen versuchte gemeinsam mit Kollegen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und der Universität Southampton eine Lösung zu finden. Sie entwickelten ein optisches Zellpositionierungssystem. Mit diesem ließen sich die farbig markierten Zellen über längere Zeit hinweg direkt im Gehirn von Mäusen beobachten.
Jede einzelne Zelle erhielt eine einmalige Farbkodierung. Diese wurden wiederholt mit In-vivo-2-Photonen-Mikroskopie im Mausmodell beobachtet. Die genauen 3D-Koordinaten der Zellen wurden mit Hilfe gleichzeitiger Gefäßdarstellung (Angiografie) ermittelt. So konnten sie erstmals das Wanderungsmuster der Zellen im Bulbus olfactorius beschreiben.
Im erwachsenen Säugerhirn werden Stammzellen unter anderem in der Subventrikulärzone (SVZ) gebildet, einer dünnen Schicht unterhalb der Auskleidung der Hirnventrikel. Die Nerven-Vorläuferzellen wandern während ihrer Reifungsstadien über eine Migrationsroute zum Bulbus olfactorius, der für die Geruchswahrnehmung zuständig ist. Dort entwickeln sie sich in zwei unterschiedliche Nervenzell-Typen, die Körnerzellen und die juxtaglomerulären Zellen. Beide sind für die Signalverarbeitung im Riechkolben wichtig; ohne sie wäre es für die Tiere zum Beispiel nicht möglich, ähnliche Gerüche voneinander zu unterscheiden.
Die Untersuchungen bilden eine Grundlage, um die Entwicklung von Stammzellen im Gehirn besser zu verstehen. Auf lange Sicht eröffnen sie auch neue Strategien der Stammzelltherapie, beispielsweise für Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson. Long-term in vivo single-cell tracking reveals the switch of migration patterns in adult-born juxtaglomerular cells of the mouse olfactory bulb. Liang, Li et al.; Cell Research, doi: 10.1038/cr.2016.55; 2016