Der Tod von drei Patienten hat die Debatte um den Berufsstand des Heilpraktikers erneut angeheizt. Dabei geht es auch um Widersprüche: 3-Bromopyruvat ist kein zugelassenes Medikament, aber das Verabreichen durch den Heilpraktiker „nicht unzulässig“.
Im Juli 2016 starben drei Menschen, nachdem ein Heilpraktiker sie in einem „alternativen Krebszentrum“ in Brüggen nahe der niederländischen Grenze behandelt hatte. Als Todesursache steht die Substanz 3-Bromopyruvat im Verdacht, die den Krebspatienten kurz vor ihrem Tod per Infusion verabreicht wurde. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Betreiber, Heilpraktiker Klaus Ross, wegen fahrlässiger Tötung in drei Fällen, und der fahrlässigen Körperverletzung bei zwei weiteren Patienten. In den vergangenen zwei Jahren sind außerdem 70 ehemalige Patienten, die durch den Heilpraktiker behandelt wurden, verstorben. Für diese Fälle ist die Frage offen, ob die Todesursache auf die Krebserkrankung selbst zurückgeht oder aber mit der Behandlung des Heilpraktikers im Zusammenhang steht. Unter Politikern und Gesundheitsexperten löste der Fall eine Grundsatzdiskussion darüber aus, was Heilpraktikern in der Behandlung erlaubt ist, und wer ihre Therapie kontrolliert.
Bei der Aufklärung der Todesursache der Heilpraktiker-Patienten steht die synthetische Substanz 3-Bromopyruvat, kurz 3-BP, im Fokus der Ermittler. Schon seit längerem erforschen Wissenschaftler, wie das Molekül in den Energiehaushalt von Krebszellen eingreift: 3-BP fungiert als Inhibitor des Enzyms Hexokinase II, das den ersten Schritt der Glykolyse katalysiert. Da Tumorzellen ihre Energie in erster Linie aus dem schnellen Abbau von Glukose beziehen, besteht in der Hemmung der Glykolyse eine potenzielle Möglichkeit, Tumore „auszuhungern“. Tatsächlich konnten in vitro-Experimente eine hemmende Wirkung auf Krebszellen zeigen. Das Phänomen bezeichnen Forscher auch als Warburg-Effekt. Doch auch wenn die Untersuchungen hoffnungsvoll klingen, befindet sich der aktuelle Wissensstand über diese Substanz noch auf der Ebene der Grundlagenforschung. So gibt es laut Aussage von Susanne Weg-Remers, Leiterin des Deutschen Krebsinformationsdienstes, bis dato keine abgeschlossene klinische Untersuchung des Wirkstoffs. „Deshalb handelt es sich dabei auf keinen Fall um ein zugelassenes Medikament“, so Weg-Remers weiter. Auf einer Pressekonferenz im August 2016 teilte der ermittelnde Krefelder Oberstaatsanwalt Axel Stahl allerdings mit, dass das Verabreichen des Präparats 3-Bromopyruvat durch den Heilpraktiker „nicht unzulässig“ war. Es stellt sich jedoch die Frage, warum ein nicht zugelassenes Mittel durch die Hand eines Heilpraktikers – zudem intravenös – verabreicht werden darf, während für die ärztliche Therapie viel strengere Auflagen gelten. Ob der Wirkstoff selbst, Verunreinigungen der Produkt-Charge oder eine falsche Dosierung mit den Todesfällen in Verbindung steht, ist bislang weiter unklar.
Der Brüggener Fall um Heilpraktiker Klaus Ross ruft derzeit gesundheitspolitische Debatten um die rechtlichen Handlungsspielräume von Heilpraktikern hervor. So fordert Rudolf Henke, erster Vorsitzender des Marburger Bundes, Bundestagsabgeordneter und Präsident der Ärztekammer Nordrhein, zu Konsequenzen hinsichtlich des Heilpraktikergesetzes auf. „Vielleicht muss man diese Grenze klarer definieren. Es gibt keine praktische Ausbildung, wo künftige Heilpraktiker am Patienten lernen, Infusionen anzulegen – das müssen sie sich autodidaktisch aneignen“, argumentiert Henke. In der Praxis sei es jedoch gängig, dass Heilpraktiker intramuskuläre Injektionen vornähmen oder auch Infusionen anlegten. „Daher muss man prüfen, ob nicht der Weg, den die Schweiz gegangen ist – alle invasiven Therapien auszuschließen – zu mehr Sicherheit führt“, lautet die Forderung von Henke weiter. Rudolf Henke, 1. Vorsitzender des MB, Bundestagsabgeordneter, Präsident der ÄK Nordrhein Das Heilpraktikergesetz aus dem Jahr 1939 regelt bis heute die Ausbildung von Heilpraktikern. Nach einem verbindlichen Prozedere für die Prüfung praktischer Fähigkeiten für invasive Verfahren, wie Injektionen, Blutentnahmen oder das Anlegen von Infusionen sucht man hier allerdings vergeblich. Das Gesetz legt auch nicht fest, wie, wann oder wo angehende Heilpraktiker diese Kenntnisse während der Ausbildung erwerben sollen. Während Henke den Berufsstand der Heilpraktiker per se nicht gänzlich in Frage stellt, gehen andere in diesem Punkt sehr viel weiter: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht zum Schutz der Patienten auch ein Verbot des Berufsstands als eine Möglichkeit an. „Die über 40.000 Heilpraktiker in Deutschland dürfen alles einsetzen, was nicht nachgewiesenermaßen schädlich ist. Wir wissen nichts über das medizinische Wissen dieser Leute, nichts über ihre Methoden, nichts über die Komplikationen ihrer Therapien“, stellt Lauterbach zu den Heilpraktikerbehandlungen fest und bezeichnet das Heilpraktikerwesen als „riesige Blackbox“. Im ersten Schritt fordert der SPD-Politiker zunächst eine verbesserte Dokumentation von Behandlungen durch Heilpraktiker.
Nach den Todesfällen von Patienten der Brüggener Heilpraktikerpraxis wehren sich Vertreter des Berufsstands gegen die Vorwürfe und Forderungen der Politik. So weist der Vorsitzende der Freien Heilpraktiker, Dieter Siewertsen, darauf hin, es gebe ein umfangreiches Regelwerk, an das sich Heilpraktiker halten müssten. „Heilpraktiker dürfen eine Behandlung nur dann vornehmen, wenn sie hierfür fachlich qualifiziert sind“, sagt Siewertsen. Zudem sei die Ausbildung so angelegt, „dass sie in jedem Behandlungs-Einzelfall fachlich abschätzen können, ob sie eine Behandlung übernehmen dürfen und ob sie mit alternativen Behandlungsmethoden einen Erfolg erzielen können“, meint Siewertsen weiter. Er betont zudem die Aufklärungspflicht seiner Kollegen: „Verschleiernde oder das realistisch erreichbare Behandlungsziel verzerrende Aussagen erfüllen nicht die Aufklärungspflicht des Heilpraktikers.“. Außerdem könne laut Siewertsen einem krebserkrankten Patienten allein die Linderung seiner Schmerzen, nicht jedoch Heilung seiner Krebserkrankungen in Aussicht gestellt werden. Der Argumentation steht entgegen, dass deutschlandweit gültige, einheitliche Standards in der Berufsausbildung von Heilpraktikern fehlen, darüber hinaus bleibt die Frage nach einer kontrollierenden Instanz offen. Immerhin legt ein Dachverband (DDH), bestehend aus fünf einzelnen Heilpraktiker-Verbänden, Regeln und Strukturen für deren Mitglieder fest. In einer Berufsordnung wird auf Sorgfaltspflichten wie der Aufklärung über Risiken oder über Behandlungsalternativen hingewiesen. Das Regelwerk ist jedoch rechtlich nicht bindend und zahlreiche Verbände unterstehen nicht dem Dachverband DDH. Solchen Berufsordnungen aus dem Weg zu gehen, dürfte nicht allzu schwierig sein. Die Frage, wer die Kontrolle über verabreichte Mittel durch Heilpraktiker übernimmt, beantwortet Jörg Heymann, Fachanwalt für Medizinrecht, folgendermaßen: „Im Grunde kontrolliert erst mal niemand, welche Mittel verabreicht werden, bis etwas passiert ist. Wenn es zu einem Schaden kommt, wird kontrolliert, aber nicht im Vorfeld.“