Wer gesund lebt, erkrankt seltener an Krebs und umgekehrt. Dafür gibt es wissenschaftliche Beweise. Gesetzliche Krankenkassen überdenken deshalb das eigene Geschäftsmodell. Schon lange versuchen sie, Risikofaktoren beim Tarif zu berücksichtigen. Ist das legitim?
Etliche Krebserkrankungen stehen eng mit Lebensstil-Faktoren in Verbindung, das haben Wissenschaftler herausgefunden. Die nennenswerten Faktoren sind in diesem Zusammenhang Nikotin- und Alkoholkonsum, Übergewicht, UV-Strahlung, Sexualgewohnheiten (HPV-Infektionen) oder ein zu niedriger Konsum von Obst und Gemüse. Von Krebserkrankungen abgesehen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen in hohem Maße mit wenig Sport, Übergewicht und falschen Ernährungsgewohnheiten assoziiert.
Medial kam in den vergangenen Jahren immer wieder die Diskussion auf, ob es eine gesundheitspolitische Konsequenz geben sollte, die man aus diesem Wissen zieht und wenn ja, wie diese aussehen sollte. Konkret betrifft das in erster Linie das Geschäftsmodell der gesetzlichen Krankenkassen. Heruntergebrochen stellt sich hier die Frage: Sollen brave Patienten belohnt bzw. jene, die das Gesundheitssystem belasten, benachteiligt werden oder nicht?
Liest man sich Kommentarspalten, Foreneinträge oder Tweets zum Thema durch, lassen sich zwei unterschiedliche Standpunkte herauszukristallisieren, die ich im Folgenden beschreiben werde. Dass es in dieser Diskussion nicht nur schwarz und weiß, sondern auch einen Graubereich gibt, versteht sich von selbst. Beginnen möchte ich aber mit einem praktischen Beispiel, das deutlich macht, wie der Status Quo hinsichtlich Tarifmodellen aussieht.
Beispiel: Privatversicherungen
Aufgrund gesetzlicher Einschränkungen sind Tarifmodelle, die Risikofaktoren ins Kalkül ziehen, nur bei privaten Anbietern möglich. Generali ist einer der Vorreiter. Der Konzern formuliert Zusammenhänge deutlich positiver: „Generali Vitality ist mehr als eine Versicherung. Es ist ein Programm, das Sie für jeden Schritt in ein gesünderes Leben belohnt.“
Im ersten Schritt ermittelt die Versicherung per Online-Test, wie fit ein Mitglied tatsächlich ist. Gesundheitstipps und ärztliche Checks folgen. Dann ist es an der Zeit, den eigenen Lebensstil zu ändern. User übermitteln ihre Ernährungsgewohnheiten, ihre Fitness und sonstige Lebensgewohnheiten online oder per App. Sie erhalten je nach Leistung Boni in Form eines Punktesystems.
GKVen wären diesem System auch nicht abgeneigt. Vor zwei Jahren hatte TK-Chef Jens Baas laut darüber nachgedacht, Daten von Fitnesstrackern künftig in der elektronischen Patientenakte zu sammeln. Er sah aus technischer Sicht vor allem gesetzliche Krankenkassen am Zuge. Sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten sorgt das Thema für reichlich Gesprächsstoff. Dabei haben sich im Wesentlichen zwei Lager gebildet.
Standpunkt 1: Solidarisch handeln
Kritiker sehen genau hier ein Problem: Wo endet das eigene Fehlverhalten und wo beginnen Risiken, auf die Patienten keinen Einfluss haben? Gerade das Beispiel Krebs ist heftig umstritten. Studien zeigen oft nur Assoziationen zwischen malignen Erkrankungen und Lebensstil-Einflüssen, aber keine Kausalitäten. Wissenschaftler sprechen von Gen-Umwelt-Interaktionen, um das komplexe Zusammenspiel darzustellen.
Es bleibt, eine schon fast philosophische Frage zu klären. Trifft Bürger immer eine Schuld im Sinne falscher Verhaltensweisen? Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben Daten der gesetzlichen Rentenversicherung ausgewertet und Probanden anhand ihrer ökonomischen Situation in zehn Gruppen eingeteilt. Bei westdeutschen Männern einer Kohorte der Geburtsjahrgänge 1926 bis 1928 im Alter von 65 Jahren unterschied sich die Lebenserwartung zwischen dem obersten und dem untersten Zehntel um vier Jahre. In der Geburtskohorte 1947 bis 1949 waren es mit 65 sogar sieben Jahre.
Forscher führen ihre Beobachtungen vor allem auf eine starke Zunahme der Lebenserwartung im einkommens- oder rentenstarken oberen Bereich zurück. Sie bewerten auch Punkte wie mangelnde Bildung und einen niedrigen Sozialstatus als gesundheitliche Risikofaktoren. Nicht alle Menschen hätten gleiche Chancen, kritisieren sie im Artikel.
Standpunkt 2: Gesundheit belohnen
Befürworter von Bonusmodellen kritisieren die Vollversorgungsmentalität vieler Versicherter. Gleichzeitig stellen sie das Solidarprinzip infrage: Warum sollen Menschen, die gesund leben, sich viel bewegen, wenig trinken und nicht rauchen, für die Sünden anderer Menschen finanziell aufkommen?
Während man sich in Deutschland eher zurückhält, findet Josef Dittli, Präsident eines Schweizer Krankenkassenverbandes, in der NZZ deutliche Worte: „Wieso müssen die Krankenversicherer Xenical gegen Fettleibigkeit bezahlen?“, führt er als Beispiel an. Das Medikament Xenical wird bei starkem Übergewicht abgegeben und ist aus medizinischer Sicht umstritten.
Viele Bürger verstünden es nicht, dass sie Behandlungen solidarisch mitfinanzieren sollten, die bei einzelnen Menschen möglicherweise aufgrund ihres Lebenswandels nötig würden. Gesundheitliche Vorsorgemaßnahmen und Präventionsangebote scheinen sich in den Augen vieler Menschen nicht zu lohnen. Es gibt zwar etliche Modellprojekte, großartige Effekte blieben bislang aber aus. Diese Lücke könnten Bonussysteme als Anreiz einer gesünderen Lebensweise schließen. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es zumindest Hinweise, dass finanzielle Anreize tatsächlich zu gesünderen Lebensweisen führen.