Ich bin zugegeben immer etwas misstrauisch, wenn medizinische Sensationen verkündet werden und dann direkt in wenigen Jahren reif für den breiten Klinikeinsatz sein sollen. Die aktuelle Erfolgsmeldung eines Patienten, der dank Knochenersatz aus seinen eigenen Stammzellen nach einem Schienbeinbruch wieder normal laufen kann, lässt jedoch für viele Menschen neue Hoffnung aufkeimen.
4 Zentimeter, die nicht heilen wollten
Im HaEmek Medical Center in Israel war ein Mann in Behandlung, der sich bei einem Sturz vom Fahrrad das Bein gebrochen hatte. Was nach einer Alltagssituation und ein paar Wochen Gips klingt, gestaltete sich in der Praxis deutlich schwerwiegender: Bei dem 44-Jährigen war bei der Fraktur ein Stück aus dem Schienbein gebrochen, sodass eine vier Zentimeter lange Lücke entstand. Obwohl in einer OP mittels Nagel die Knochenteile fixiert wurden, wuchsen sie nicht wie erhofft zusammen.
Der Leiter der dortigen Orthopädie und Rehabilitation, Nimrod Rosen, hatte eine Idee, wie man dem Patienten helfen kann: durch einen im Labor gezüchteten Knochen und zwar aus den patienteneigenen Stammzellen.
Aus Fettgewebe wird Knochensubstanz
Der Patient erklärte sich für das Pionierprojekt bereit und ließ sich in einem kleinen Eingriff etwas Fettgewebe entnehmen. Dieses wurde im Labor in eine spezielle Nährlösung gelegt und nach einiger Zeit entnahm man aus dem Gewebe gesunde Stammzellen. Diese Zellen kamen ihrerseits in eine Nährflüssigkeit und wurden in einem Bioreaktor weiter gezüchtet. In diesem Reaktor wurde die Körpertemperatur des Menschen sowie sein pH-Wert simuliert, sodass für die Stammzellen eine menschliche Umgebung simuliert wurde. Es dauerte nur 14 Tage, bis die Forscher funktionstüchtiges Knochengewebe des Mannes im Labor gezüchtet hatten.
Der Patient erhält den Knochenersatz gespritzt
Bis zu diesem Moment des Berichtes dachte ich beim Lesen, dass die Forscher den neuen Knochen im Labor bis zu seiner endgültigen Form züchten und dann in einer aufwendigen Operation in den Patienten einsetzen. Ähnlich wie beim operativen Verbinden mit Nägeln ist das ein aufwendiger Prozess für den Patienten.
Doch die Forscher des Stammzellen-Knochenersatzes gingen anders vor: das gezüchtete Knochengewebe wurde dem 44-Jährigen via Spritze verabreicht. Exakt an der Stelle, an der die vier Zentimeter große Lücke war, wurde eine Spritze gesetzt und das flüssige Knochengewebe appliziert. Die umliegenden Muskeln wurden dafür nur leicht zur Seite geschoben und nach dem Setzen der Spritze wieder um das Knochengewebe gelegt, um es zu stabilisieren. Weitere Eingriffe in den Körper waren nicht notwendig.
Im konkreten Fall dauerte es zwei Monate, bis sich stabiles Knochengewebe gebildet hatte. Die Lücke war danach effektiv geschlossen. Bei Nachuntersuchungen nach sechs Monaten konnte man auch deutlich zeigen, dass das Ersatzstück normales Knochenmark gebildet hatte.
Noch besser: der Knochenersatz wächst mit
Und als ob diese gesamte Prozedur nicht bereits bemerkenswert genug ist, präsentieren die Forscher in ihren Laborversuchen noch eine weitere Besonderheit: der Knochenersatz aus Stammzellen verhält sich so natürlich, dass er bei jungen Menschen auch beim natürlichen Entwicklungsprozess mitwachsen wird. Das wäre ein enormer Vorteil für alle Kinder und Jugendliche, die durch Unfall oder Krankheit einen Knochenersatz benötigen.
Wie wird bislang gearbeitet?
Bei Menschen, deren Knochen aus welchen Gründen auch immer nicht zusammenwachsen wollen, setzt die Medizin derzeit noch auf konventionellen Knochenersatz aus dem eigenen Körper. Das bedeutet, dass eine Stelle im Körper des Patienten ausgesucht wird (meist ist es der Beckenkamm) und dort ein gesundes Knochenstück entnommen wird.
Welche Nachteile das hat, ist klar: Erstens kann der Arzt natürlich nicht beliebig viel Knochensubstanz entnehmen, denn sonst entstehen neue Schäden nur an anderer Stelle. Zweitens muss der Patient auch bei kleinen Knochenentnahmen wieder neue Operations- und Heilungsrisiken hinnehmen. Diese Doppelbelastung ist für niemanden schön. Und für Kinder und Jugendliche kommt erschwerend hinzu, dass konventioneller Knochenersatz eben nicht mitwächst.
Spruchreif in wenigen Jahren?
Neben dem 44-Jährigen wurden noch zwei weitere Patienten auf dieselbe Weise therapiert und können nach einer Reha-Phase wieder mit einem funktionstüchtigen Knochen durch den Alltag gehen. Nebenwirkungen sind bislang nicht aufgetreten, weshalb die Forscher sich sicher sind, dass nur wenige Jahre vergehen werden, bis ihr Modell für den breiten Einsatz reif ist. Drei bis vier Jahre wird als Prognose in den Raum gestellt. Und wenn alles gut geht, könnte es in einem Jahrzehnt vielleicht auch neue Knie- und Hüftgelenke aus patienteneigenen Stammzellen geben.
Quelle:
https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/skelett_und_weichteilkrankheiten/article/958318/schlecht-heilende-fraktur-labor-gezuechteten-knochen-implantiert.html hier
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